Sterbende Riesen: Freiburgs Wald kämpft ums Überleben Politik & Wirtschaft | 16.10.2019 | Till Neumann

Kahle Äste, braune Baumkronen, gefällte Stämme. Wer sich in Freiburgs Wäldern umschaut, sieht viele Anzeichen des Zerfalls. Die Lage ist dramatisch, bestätigen Experten. Hitze und Trockenheit setzen vielen Bäumen zu. Besonders schlimm ist es am Schönberg. Revierförster Jürgen Bucher kämpft dort gegen ein nie dagewesenes Sterben. Forscher arbeiten mit Nachdruck an Lösungen. So manches, was politisch geplant ist, beschimpfen sie als Aktionismus. Asien freut sich dafür über unzählige Containerladungen.

Seit 17 Jahren ist Jürgen Bucher Förster beim Landrats­amt Breisgau-Hochschwarzwald. Nie zuvor hat er die Lage seiner Wälder so dramatisch erlebt wie jetzt. Das größte Sorgenkind des 56-Jährigen ist der Schönberg. Ein neues Ausmaß sei dort erreicht: Buchen sterben reihenweise ab. Der „Mutter des Waldes“ geht’s schlecht.

Zur Demonstration fährt er mit seinem PKW Richtung Gipfel. Im Wagen liegt eine Axt, „Landesforstverwaltung“ steht auf seiner grünen Arbeitsjacke. Der Mann mit Schnauzer spricht mit ruhiger Stimme: „Dieses Jahr ist ein neues Ausmaß erreicht. Maßgeblich war der Sommer 2018.“ Hitze und Trockenheit haben seinen Buchen zugesetzt. Vor allem große, ältere Bäume litten. Viele 120 Jahre alten Baumriesen müssen daher gefällt werden. Den Wegesrand säumen Stämme. Motorsägen kreischen. Hin und wieder hört man das dumpfe Krachen fallender Bäume. Ein riesiges Fahrzeug zieht die Reste knackend an den Wegesrand.

„Wir dachten eigentlich, Buche geht immer“, erzählt Bucher. Die Art galt als hitzeresistent. Doch nun werde man eines Besseren belehrt: Früher seien einzelne Bäume gestorben, jetzt ganze Waldteile. 600 Hektar umfasse das Gebiet am Schönberg. Ganze 50 Hektar seien am Absterben. Fast zehn Prozent. Rund 6000 Festmeter werden daher im Winter geschlagen. Normalerweise sind es 2000.

Macht sich Sorgen: Förster Jürgen Bucher am Schönberg. Reihenweise werden Buchen gefällt.

Er steigt aus dem Wagen und läuft zur Ruine Schneeburg. Schon nach wenigen Metern sieht man ein Feld gefällter Bäume. „Hier war vor vier Wochen ein kleiner Wald“, erklärt der Förster. Er war nicht mehr zu retten, musste weg. Auch aus Sicherheitsgründen. Denn bei toten Buchen fallen schnell Äste zu Boden. Für Spaziergänger eine tödliche Gefahr.

Wenige Meter weiter greift Bucher in die Blätter eines kleinen Baumes. „Das ist Walnuss, eine fremde Art.“ Auch Mehlbeeren, Feldahorn oder Elsbeeren machten sich neuerdings breit. „Eine Naturverjüngung“, so Bucher. Bäume zweiter Ordnung seien das. Kleiner als die mächtigen Buchen. „Stämmchen“ nennt er die dünnen Dinger.

Oben bei der Schneeburg fällt der weite Blick auf Freiburgs Dächer. Doch spannend sind für den Förster andere Ansichten: Kahle Äste und dunkle Baumkronen prägen das Bild auf Hängen und Gipfeln. „Sie müssten eigentlich grün und saftig sein“, sagt Bucher. Braun heißt abgestorben.

Auf dem weiteren Weg stehen sie dann doch, die grünen Bäume. „Das sind jüngere Buchen, 60, 70 Jahre alt“, erklärt Bucher. Denen gehe es prächtig. Leiden würden insbesondere die älteren. Denn die brauchen mehr Wasser für ihre gewaltigen Baumkronen. Mehrere Tausend Liter benötige ein einziger Baum an einem heißen Tag. Und das sei gerade am Schönberg wegen des Kalkbodens rar. Der speichert das Wasser schlecht.

Zur Veranschaulichung streicht er mit der Hand über einen abgesägten Stamm. Die glatte Fläche ist hellbraun und „staubtrocken“. Ein klares Zeichen des Todes. Bei einem gesunden Baum wäre das Holz nass. Auch feine Schlangenlinien im Holz kann der Förster zeigen. „Das sind Spuren der Borkenkäfer“, erklärt der Experte. Die befallen hier reihenweise Bäume. Gesunde Buchen könnten sich dagegen wehren. Sie ertränken die Eindringlinge mit Wasser oder Harz. Doch fehle dem Baum Flüssigkeit, sei das Immunsystem geschwächt. Dann könne der millimetergroße Schädling ungestört wüten. Ein gnadenloser Killer für Bäume unter Dauerstress.

Baut seit Jahren um: Nicole Schmalfuß

Das Problem kennt auch Nicole Schmalfuß. Die Leiterin des Freiburger Forstamtes erzählt von einer signifikanten Borkenkäfer-Population im Stadtgebiet. „Viele der heimischen Fichten und Tannen sind geschwächt“, berichtet die 46-Jährige. Etliche seien wegen Trockenstress im Laufe des Jahres ausgefallen. 2018 sei nach 2003 und 2006 schon das dritte Jahr innerhalb kurzer Zeit mit solch harten Bedingungen. Die Lage dürfte sich weiter zuspitzen. Vor allem Fichten würden daher „entnommen“. Ihre Leidensliste ist lang: Trockenschäden an Nadelbäumen, Buchen und Bergahorn. Geschädigte Tannen am Rosskopf und Schauinsland. Sterbende Eschen im Mooswald. Die Natur verändere sich mancherorts stark.

Wurde zu spät reagiert? Ja, beim effektiven Klimaschutz – nein, bei der Adaption der Wälder, sagt Schmalfuß. Viele Maßnahmen würden im Wald seit fast 30 Jahren umgesetzt. Passende Baumarten werden gefördert, Mischwälder forciert. „Die Maßnahmen dürfen jedoch nicht radikal und überstürzt stattfinden“, betont Schmalfuß. Sie müssten auf Wissenschaft und Erfahrung beruhen. Schließlich wirkten Änderungen über 100 Jahre.

Das sieht auch Thomas Seifert von der Uni Freiburg so. Der Forstwissenschaftler warnt vor „Aktionismus“. Gemeint ist damit auch die geplante 800-Millionen-Euro-Soforthilfe von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). „Wir wissen noch nicht, welche Baumarten den Wald in Zukunft ausmachen werden“, sagt Seifert. „Es geistern derzeit zu viele Patentrezepte durch die Medien, die nicht auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhen.“

Der 48-Jährige übt auch Selbstkritik: „Wir Forstwissenschaftler haben unterschätzt, wie schnell die negativen Reaktionen im Wald kommen.“ Jetzt gelte es, schnell zu sein. Forstpraktiker zu bashen, sei nicht sinnvoll. Schließlich werde der Wald schon seit Jahrzehnten umgebaut. Ein Mix aus einheimischen und klimaangepassten fremden Arten scheint ihm der zukunftsweisendste Weg. Doch: „Pauschalansätze werden nicht funktionieren.“ Je nach Hanglage, Boden und Klima müsse man Fall für Fall entscheiden, welche Kombination am besten sei.

Das bestätigt Reinhold John von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt des Landes mit Sitz in Freiburg. Man lerne zwar über die Jahre und habe begriffen, dass Mischwald angelegt werden müsse. Aber: „Man kann den Wald nicht rasch umbauen.“ Anfang 2019 sei man gut vorbereitet gewesen, sagt der Borkenkäfer-Experte. Man habe schnell eingreifen können und Bäume gefällt. Ist der Käfer nicht mit natürlichen Feinden zu bekämpfen? „Doch, es gibt mehrere hundert Tiere, die ihm nachstellen“, sagt John. Käfer, Wespen oder Vögel zum Beispiel. Aber Borkenkäfer vermehrten sich gewaltig. „Da kommen ihre Feinde einfach nicht mit.“

Das ist auch Jürgen Bucher bewusst. Er ist dennoch überzeugt: „Wald wird es immer geben.“ Bloß werde der in Zukunft deutlich anders aussehen. Am Schönberg dürften die 40 Meter hohen Riesen mit meterdickem Stamm weichen. Die Nachfolger seien eben nur 25 Meter hoch, der Stamm nur halb so dick. „Wir werden ein Waldbild bekommen wie am Mittelmeer“, erklärt Bucher. Die Toskana lässt grüßen.

Das erste Waldsterben erlebte er mit 18 Jahren. Damals setzte saurer Regen den Bäumen zu. Erbost schrieb er einen Brief an die Regierung: „Ich will Förster werden, Sie haben mir die Zukunft versaut!“ Die antwortete ihm mit einem Standardschreiben und bekam die verpestete Luft mit Filteranlagen sauber. Der Wald erholte sich. So einfach gehe es dieses Mal nicht, glaubt Bucher.

Weg damit: Die gefällten Buchen am Schönberg werden krachend an den Wegesrand gebracht.

Verantwortlich sei jetzt zu viel Kohlendioxid, der Klimawandel. Ein langfristiges globales Problem, das nicht kurzerhand in den Griff zu kriegen sei. Waldsterben 2.0. Schwer zu korrigieren. Ob es auch Gewinner des Dramas gibt? „Ein großer Teil der gefällten Bäume geht nach China oder Vietnam“, erzählt Bucher. Dort freue man sich über riesige Containerlieferungen des so wichtigen Rohstoffes. Besser mache das die Lage nicht. „Die Wälder sind vorgeschädigt, wird’s 2020 wieder richtig trocken, wäre das fatal.“ Ein Segen wäre Dauerregen. Nicht tagelang, sondern über Wochen. Früher habe es im März oder April oft wochenlang geregnet. Doch das sei lange her.

Sieben Jahre lang war Bucher als Entwicklungshelfer in Südamerika. Nach seiner Rückkehr legte er am Schönberg einen NatUrwaldpfad an. Alte und absterbende Bäume bieten dort Lebensraum für viele seltene Pflanzen- und Tierarten. Dazu installierte er ein Schild: „Hier kommen Urlaubsgefühle auf.“ Dass sich der Wald nun im großen Stil selbst Richtung Mittelmeer wandelt, lässt ihn lachen. Toskana trifft Schwarzwald. Nur das Meer fehlt noch.

Wald in Zahlen

  • 180.000 Hektar Wald sind in Deutschland geschädigt
  • Das entspricht etwa 252.000 Fußballfeldern
  • 800 Millionen Euro will die Regierung als Nothilfe bereitstellen
  • 2,1 Milliarden Euro soll allein das Fällen und Abtransportieren kosten (Quelle: Waldeigentümerverband AGDW)
  • 38,4 der Fläche Baden-Württembergs sind Wald
  • In Freiburg sind 48 Prozent der Fläche Wald
  • In Freiburg gibt es 9 Millionen Bäume

Fotos: © Till Neuman; Stadt Freiburg