Wirtschaft der Zukunft: Acht Freiburger Unternehmen erstellen Gemeinwohl-Bilanz Politik & Wirtschaft | 22.07.2021 | Paulina Flad

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„Ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft“. So präsentiert sich die Gemeinwohlökonomie (GWÖ)-Bewegung. Ziel ist eine Wirtschaft, die sich nicht nur am Gewinn, sondern auch an Nachhaltigkeit und Solidarität orientiert. Acht Freiburger Firmen haben gerade überprüft, inwieweit sie zum Gemeinwohl beitragen. Ein einmaliges Konzept, findet Uni-Wissenschaftler Benedikt Schmid. Für die große Masse fehlen bisher aber oft noch die Anreize.

In Freiburg und Umgebung gibt es aktuell 16 Firmen, die einen GWÖ-Bilanzierungsprozess durchlaufen haben. Acht weitere sind zuletzt dazugekommen. Darunter Wetell, Kuhs Architekten oder ForstBW. Bei einer Pressekonferenz der GWÖ-Gruppe Freiburg stellten sie ihre Ergebnisse vor. „Die Gemeinwohl-Bilanz macht Eindruck. Sie bringt Vorteile auf dem Markt“, freut sich Nona Bosse von Kuhs Architekten. Auch innerhalb des Unternehmens habe die Bilanzierung eine Strahlwirkung, sagt Andreas Schmucker vom Mobilfunkanbieter Wetell.

Bewertet werden viele Dimensionen: Es interessiert nicht nur, ob ein Produkt biologisch angebaut oder fair gehandelt wird, es zählen auch Menschenwürde, Gerechtigkeit und Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung. Diese Werte werden hinsichtlich aller am Wirtschaftsprozess beteiligten Akteur·innen überprüft.

Jedes Unternehmen kann dabei selbst entscheiden, wie es den Gemeinwohl-Bericht anfertigt: Als Firma selbst oder in einer Peer-Group. Das Freiburger Architekt·innen-Büro Kuhs Architekten hat sich für die Evaluierung in einer Peer-Group entschieden. Für Nona Bosse war dieser Prozess interessant, um „Einblicke darin zu erhalten, wie andere Unternehmen mit Nachhaltigkeit umgehen“.

Durch die Bilanz können Unternehmen Ziele setzen für einen langfristigen Entwicklungsprozess. Schmucker sieht die Gemeinwohl-Bilanz als Orientierungshilfe. „Wir werden auf jeden Fall nach gegebener Zeit nachbilanzieren.“ Viele Unternehmen betonten, wie überrascht sie vom eigenen guten Ergebnis seien.

Die fertige Gemeinwohl-Bilanz besteht aus einem ausführlichen Bericht und einem externen Prüfergebnis. Hierbei können insgesamt maximal 1000 Punkte erreicht werden. Punkte gibt es in der GWÖ allerdings nur, wenn sich Unternehmen über den gesetzlichen Rahmen hinaus engagierten.

Benedikt Schmid von der(GWÖ)-Bewegung.

Forscht zu alternativem Wirtschaften: Benedikt Schmid

Benedikt Schmid arbeitet am Institut für Geographie der Universität Freiburg. Dort forscht er auch zum Thema Alternatives Wirtschaften. Er stellt fest, dass „die Unternehmen, die sich bilanzieren lassen, grundsätzlich schon Vorreiter sind, wenn es um soziale und ökologische Belange geht.“

Für andere Unternehmen fehlten oftmals noch die Anreize, eine Bilanzierung durchzuführen. Sozial und ökologisch nachhaltig zu wirtschaften sei oft sogar noch teurer und der Bilanzierungsprozess stelle sowohl zeitlich als auch finanziell einen großen Aufwand für Unternehmen und Organisationen dar, so Schmid.

Kuhs Architekten hat rund 60 Stunden in die Bilanzierung investiert. Christoph Hartebrodt von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg, die die Bilanzierung von ForstBW geleitet hat, kennt die Herausforderung: Die Bilanzierung hat ein Jahr lang „deutlich mehr als eine Vollzeitstelle in Anspruch genommen“.

Bisher ist die GWÖ nicht weit verbreitet. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind rund 500 Unternehmen Mitglied oder haben sich bilanzieren lassen. Zu den Großen, die bereits bilanziert sind, gehören die Sparda-Bank München oder Vaude. Alessandra Hensel, Geschäftsführerin der GWÖ Baden-Württemberg, fordert Anreize von der Politik. Steuerliche Begünstigungen könnten mehr Unternehmen dazu bewegen, sich zu bilanzieren und so ihren Teil zum Gemeinwohl beizutragen.

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ Das steht unter Artikel 14 im Grundgesetz. Die GWÖ erinnert daran, dass Gemeinwohl in der Verfassung verankert ist. Schmid beklagt, dass alternative Wirtschaftsmodelle oftmals mit dem Argument abgetan würden: „Alles utopisch, das geht gar nicht.“ Für den 33-Jährigen gibt es aber ohne alternatives Wirtschaften gar keine lebenswerte Zukunft: „Wir müssen uns im Klaren sein, dass das ‚weiter so‘ die größte Utopie ist, der wir gerade nachhängen.“

Schmid sieht einen Vorteil der GWÖ darin, dass sie eine „Brücke zwischen dem bestehenden Wirtschaftssystem und einer möglichen zukünftigen Wirtschaft“ darstellt: „Das Beeindruckende ist, dass es vorstellbar ist, sie in bestehenden institutionellen Rahmenbedingungen umzusetzen.“ Gleichzeitig zeige sie, wie alternatives, nachhaltigeres und gerechteres Wirtschaften in Zukunft aussehen kann. Dem Freiburger sei kein anderer Ansatz bekannt, der das so grundsätzlich und überzeugend denkt, wie die Gemeinwohlökonomie. 

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