Bundestagswahl 2025 Politik | 11.02.2025 | David Pister, Philip Thomas & Lars Bargmann

Am 23. Februar wird der neue Bundestag gewählt. Nach dem Scheitern der Ampel-Koalition wurde der Termin vorgezogen. In Freiburg wurden rund 159.000 Benachrichtigungen für die Wahlberechtigten verschickt. Die Wahlvorbereitung läuft im Speed-Tempo. Wohl nicht alle, die wählen wollen, werden wählen können. Die Zeit ist knapp.
Kleinere Parteien hatten nur einen Monat, um Unterschriften zu sammeln. Die Landeslisten der Kleinparteien müssen von 0,1 Prozent der Wahlberechtigten des Bundeslands – maximal aber von 2000 Personen – unterschrieben sein. Die Partei der Humanisten und die Partei des Fortschritts etwa konnten nicht genügend Unterschriften sammeln und stehen nicht auf dem Stimmzettel. Dies gilt nicht für etablierte Parteien, die bereits im Bundestag vertreten sind oder schon mit mindestens fünf Abgeordneten im Landesparlament sitzen.
Wer eine Wahlbenachrichtigung erhalten hat, kann entweder wählen gehen oder Briefwahl beantragen. Normalerweise haben Wahlberechtigte dann einen guten Monat Zeit, zwischen dem Druck der Stimmzettel und der Wahl selbst – diesmal sind es nur zwei Wochen. Die verkürzte Frist ist vor allem für Auslandsdeutsche problematisch. „Es wird unheimlich schwer, dass die Wahlunterlagen wieder rechtzeitig aus dem Ausland zurückkommen“, sagt Freiburgs Wahlleiter Michael Haußmann.
Noch dazu gebe es einen neuen Rekord bei der Zahl derjenigen, die im Ausland leben und ihren vorherigen Wohnsitz in Freiburg hatten. Ob die Post rechtzeitig wiederkommt, hänge vom Land ab: „Italien, Frankreich und die Schweiz sind machbar. Sri Lanka wird eher schwierig“, sagt Adrian Becker, Leiter des Briefzentrums der Post in Freiburg.
Trotz der kürzeren Vorbereitungszeit stehen die Wahllokale und 1900 Wahlhelfer bereit, so Haußmann. Der Wahlleiter ist optimistisch: „Aber schiefgehen darf nichts.“
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Eine bleibt, eine geht
chilli-Interview mit Freiburgs abgeordneten Claudia Raffelhüschen und Chantal Kopf
Chantal Kopf (Grüne) und Claudia Raffelhüschen (FDP) kommen aus Freiburg, waren erstmals im Bundestag und Teil der Ampelregierung. Doch während Kopf weiter Politik macht, steigt Raffelhüschen aus. Im Interview mit den chilli-Redakteuren David Pister und Lars Bargmann sprechen sie am 27. Januar über ihre Erfahrungen, den Ampel-Bruch und Koalitionsfantasien.

Claudia Raffelhüschen
Foto: © Maurice L. Kubitschek

Chantal Kopf
Foto: © Britt Schilling
chilli: Frau Kopf, Frau Raffelhüschen, wie haben Sie die letzten dreieinhalb Jahre als Bundestagsabgeordnete erlebt?
Kopf: Es waren bewegte Zeiten, die noch nicht vorbei sind. Mögliche Mehrheiten im Bundestag jenseits des demokratischen Spektrums, die täglichen Ankündigungen von Donald Trump. Neben den großen politischen Debatten war mir die Arbeit im Wahlkreis wichtig: Die Menschen, Unternehmen und Vereine, die trotz dieser schwierigen Zeiten nicht die Hoffnung verlieren.
Raffelhüschen: Ich habe gemerkt, wie so ein Apparat arbeitet. Das war ernüchternd. Dieses ewige Gequatsche ohne anzupacken. Man könnte die Zeit manches Mal besser nutzen.
chilli: Ziehen Sie sich deshalb aus der Politik zurück?
Raffelhüschen: Wenn Sie diesen Politikbetrieb nicht kennen, ist das manchmal schwer zu ertragen. Es ist einfach nicht meins. Es gab aber auch Positives: Die persönliche Zusammenarbeit innerhalb der Koalition, auch wenn sie geplatzt ist.
Kopf: Mir ging es ähnlich. Ich hatte erwartet, dass die Abläufe im Bundestag lösungsorientierter laufen. Gerade wir jüngere Abgeordnete haben versucht, eine effizientere Diskussionskultur einzubringen. Vom Wahlkreis kann man sich in Berlin etwas abschauen. Die Zusammenarbeit zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Behörden und Wirtschaft etwa, wenn man sich den Windkraft- oder Solarausbau anschaut.
chilli: Frau Raffelhüschen, wie war die Zusammenarbeit mit den Grünen?
Raffelhüschen: Bei mir betrifft es vor allem den Haushaltsausschuss. Die Grünen haben den Fokus darauf gelegt, Gelder in die Kommunen zu stecken, damit etwa konsumkritische Stadtrundgänge in Freiburg finanziert werden. Das ergibt aus deren Sicht Sinn, aus meiner nicht. Was das Familienministerium anbelangt, klappte es gut. Beim Einzelplan zu Arbeit und Soziales nicht. Mit der SPD war es nicht möglich einzusparen. Daran ist es am Ende gescheitert. Am Anfang war die Koalition eine gute Sache.
chilli: Muss die Schuldenbremse reformiert werden?
Raffelhüschen: Wir geben so viel aus, das ist unverantwortlich. Es ist genug Geld da, das nur anständig verteilt werden muss.
Kopf: Über Kürzungsmöglichkeiten und Verteilung zu reden, klingt erst mal plausibel. Da bin ich auch offen. Aber das sind sehr hohe Milliarden-summen, die wir in unsere Verteidigung und Infrastruktur investieren müssen. Wir kommen nicht weiter, wenn wir hier und da ein paar Millionen kürzen.
chilli: Woran ist die Ampel gescheitert?
Kopf: Die ineffizienten Abläufe, die ich erlebt habe, waren vor allem von der FDP verschuldet. Auf allen politischen Ebenen war spürbar: Der politische Wille bei der FDP war offenbar nicht da, sich zu einigen – und der Kanzler hat zu wenig Führung bewiesen, um die Koalition zusammenzuhalten.
Raffelhüschen: Letztendlich ist es am Haushalt gescheitert. Es hätte viel früher passieren müssen. Jetzt sitzen wir vor dem Scherbenhaufen und die Bevölkerung ist genervt. Lindner hat daran genauso Schuld wie die anderen auch.
chilli: Wie sollen Koalitionen überhaupt noch funktionieren?
Raffelhüschen: Mir fehlt die Fantasie.
Kopf: Ich habe die Hoffnung, dass wir durch die Weltlage dazu verdammt sind, eine stabile Regierung zu bilden und diese Spielchen deswegen ein Ende haben müssen. Alle außer die AfD und das BSW müssen miteinander reden.
chilli: Frustriert es Sie, dass ein Ereignis wie in Aschaffenburg instrumentalisiert wird?
Kopf: In Aschaffenburg ist ein furchtbarer Mord passiert und es ist völlig verständlich, dass die Menschen Antworten fordern. Nicht die Gesetzeslage ist das Hauptproblem, sondern die Umsetzung und die Kommunikation zwischen den Behörden. Der Staat muss Sicherheit herstellen. Wenn Friedrich Merz aber mit dem Feuer spielt, um auch gemeinsam mit der AfD etwas zu beschließen, läuft es mir kalt den Rücken herunter.
Raffelhüschen: Die Leute wählen die AfD wahrscheinlich aus Protest, ohne sich Gedanken zu machen. Das ist gefährlich. Aschaffenburg war nicht der erste Fall. Wie oft war Nancy Faeser empört? Die Politik muss endlich liefern, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen.
chilli: Wieso sollten die Menschen nicht die Partei mit den extremsten Positionen wählen?
Kopf: Das Problem ist: Die AfD benennt immer nur Probleme, man muss aber auch umsetzbare Lösungen präsentieren.
chilli: Wieso braucht es Freiburger Abgeordnete im Bundestag?
Kopf: Der Wahlkreis ist von einer großen Vielfalt geprägt: kleinere Weinbaugemeinden bis hin zur Universitätsstadt Freiburg. Diese unterschiedlichen Perspektiven zusammenzubringen, ist politisch viel wert.
chilli: Frau Raffelhüschen, was sind die wichtigsten Themen im Wahlkreis?
Raffelhüschen: B31 West war ein heißes Thema. Mir lag auch am Herzen, dass wir die Mittel für das Außenbecken des Westbads organisiert haben.
Kopf: Bezahlbares Wohnen ist ein sehr akutes Thema, bei dem wir auf Bundesebene bessere Rahmenbedingungen brauchen. Zum Beispiel, dass Vermieter vom Staat dabei unterstützt werden, unter dem Marktpreis zu vermieten an Menschen mit wenig Geld. Was ich auch sehr eng begleite, ist die Energiewende in der Region, einschließlich der Erdwärme-Nutzung.
Raffelhüschen: Das sehe ich kritisch. Wir müssen mehr bauen. Nur das Angebot an Wohnungen wird den Mietpreis senken. Der Staat soll sich heraushalten.
chilli: Ihr Appell an die Wahlberechtigten?
Raffelhüschen: Sie sollten sehen, wie gut es uns geht und woher das kommt. Eine starke Wirtschaft ist essenziell. Man sollte sehen, wie wichtig es ist, dass Steuern hereinkommen, die wir in Bildung, Infrastruktur und Verteidigung investieren können. Das sind für mich die einzigen Punkte, wo der Staat sich hereinhängen darf.
Kopf: Wenn ich mit Schulklassen spreche, merke ich, dass viele mit einseitigen Infos bombardiert werden, gerade auf TikTok. Mein Appell: Wenn es Diskussionsbedarf gibt, kontaktiert mich.
Wahlergebnisse Wahlkreis 281 Freiburg 2021
Wahlberechtigte: 224.392
Wahlbeteiligung: 80,7 %
B‘ 90/DIE GRÜNEN 31,6 %
SPD 21,2 %
CDU 17,4 %
FDP 10,6 %
Die Linke 6,9 %
AfD 4,9 %
Andere 7,4 %
Weitere Infos zu Wahl 2021
Von Winterschlaf auf Wahlkampf
Die vorgezogene Bundestagswahl kam mit Ansage – und für viele doch überraschend. Gibt es genug Papier für Stimmzettel? Bleibt ausreichend Zeit, um Wahlhelfer zu rekrutieren? Spielen Winter und Glatteis vielleicht sogar eine Rolle?
Kalt erwischt wurden offenbar auch die Agenturen, denen sich die Parteien auf Plakaten anvertrauen: Am 27. Dezember hat Steinmeier den Bundestag aufgelöst. Am 13. Januar ging der Run auf die Laternen des Landes los.
Robert Habeck (Grüne) möchte mit einem Lächeln, um das ihn die Mona Lisa beneiden würde, „Zuversicht“ verbreiten. Maral, Kandidatin von Volt, zeigt zwar mehr Zähne, aber keinen Nachnamen. Freiburgs grüne Bundestagsabgeordnete Chantal Kopf will mit Interpunktion punkten, legt die Latte für ein politisches Amt mit Mensch sein und Wort halten („Ein Mensch. Ein Wort.“) aber arg niedrig.
SPD-Mann Ludwig Striet verzichtet komplett auf Palaver. „Code scannen. SPD wählen.“, steht auf seinem Plakat, das für Handykameras oft nicht einfangbar in drei Metern Höhe baumelt. Und bedeutet der Scan die unwiderrufliche Stimmabgabe? Wäre das legal?
In einer Grauzone bewegt sich auch Ruben Schäfer, Kandidat der
Freien Demokraten. Was bei Parteichef Lindner dank teurem Fotoshooting in Schwarzweiß funktioniert, klappt mit unruhig-dunklem Hintergrund allerdings nicht.
Und auch Die Linke hat in der Eile nicht ins oberste Regal gegriffen: Sie wirbt mit Slogans à la „Wenn deine Miete zu hoch ist, freut sich der Vermieter“. Von allen Möglichkeiten, teure Mieten anzuprangern, ist das wohl die billigste.
Immerhin: So bleibt mehr Zeit, über Wahlplakate zu meckern. Das ist schließlich auch eine fixe demokratische
Tradition.
Chilli-Umfrage: Das sagen die DirektKandidierenden des Wahlkreises 281
Ich will in den Bundestag, weil …
… ich weiter Verantwortung für ein starkes Europa, mehr Klimaschutz und für die Menschen in unserem Wahlkreis übernehmen möchte.
Chantal Kopf, Bündnis 90/Die Grünen
29 Jahre, Bundestagsabgeordnete
Foto: © Britt Schilling
... es der Ort ist, an dem wir das Leben der Menschen ganz konkret verbessern können – sei es durch bezahlbares Wohnen, Investitionen in den sozialen Zusammenhalt und unsere Infrastruktur oder die Sicherung der Zukunft unseres Industriestandorts. Als Stadtrat sehe ich täglich die Herausforderungen, vor denen wir stehen, und kenne die Stellschrauben, an denen gedreht werden muss.
Ludwig Striet, SPD
33 Jahre, Informatiker
Foto: © SPD
… sich grundlegend etwas ändern muss. In Deutschland, in unserer Gesellschaft. Und weil es dafür die FDP braucht. Wer etwas ändern will, muss bereit sein, sich selbst zu ändern. Daher habe ich mich entschieden, zu kandidieren. Daher habe ich mich zwei Monate lang von meiner Arbeit freistellen lassen. Meine Perspektive als Außenstehender ist meine Stärke. Ich kandidiere, um diesen Wandel voranzutreiben.
Ruben Schäfer, FDP
34 Jahre, IT-Unternehmensberater
Foto: © Ruben Schäfer
… ich mich für soziale Gerechtigkeit, bezahlbares Wohnen und gute Arbeitsbedingungen starkmachen will. Ich trete an, um die Interessen von Arbeitnehmer:innen, Rentner:innen, Familien und jungen Menschen zu vertreten. Es ist Zeit für eine Politik, die nicht Profite, sondern die Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Vinzenz Glaser, Die LINKE
32 Jahre, Sozialarbeiter
Foto: © Mirko Boysen
… der Job gut bezahlt ist und man sich auf Kosten der Lobbyismusverbände mit Sekt und Häppchen durchschlemmen kann. Außerdem möchte ich ein Atommüllendlager im Garten von Klaus Schüle installieren, ich möchte die CDU täglich daran erinnern, dass man nicht mit Faschisten kooperiert und Merzhausen soll nach meiner Machtübernahme in Drexlhausen umbenannt werden.
Josef Drexl, Die PARTEI
39 Jahre, Student
Foto: © Moritz Bross
… es dort keine Stimme gegen den Kapitalismus gibt. Mit Mieten und Lebensmitteln darf nicht spekuliert werden! Ich sorge mich um den versäumten Klimaschutz. Natürlich bewegt mich auch der antifaschistische Widerstand gegen die AfD. Es braucht eine moderne und solidarische gesellschaftliche Perspektive für Studis, unsere Eltern, Kinder und Großeltern. Ich will laut für den echten Sozialismus kämpfen.
Elias Krieger, MLPD
22 Jahre, Chemie-Student
Foto: privat
… progressive Mehrheiten dort nur noch mit Volt möglich sind. Mit zehn Jahren politischer Erfahrung, wirtschaftswissenschaftlichem Hintergrund und einer europäischen Biografie – von Bulgarien über Frankreich nach Freiburg – werde ich mit Volt im Bundestag die besten Lösungen aus ganz Europa nach Deutschland bringen und unser Land zur stärksten Stimme für die europäische Einigung machen.
Adrian Nantscheff, Volt
30 Jahre, Politischer Geschäftsführer der Freiburg For You Fraktionsgemeinschaft im Freiburger Gemeinderat
Foto: © Sabine Watzko
… ich meinen Beitrag dazu leisten will, dass wir mit einer stabilen Regierung unser Land wieder nach vorne bringen. Im Bundestag würde ich mich sehr gerne für die Stärkung der Deutsch-Französischen Freundschaft, des europäischen Zusammenhalts und die entschlossene Unterstützung der Ukraine einsetzen. Und, wir müssen die Wirtschaft in Schwung bringen, beim Klimaschutz besser vorankommen und mehr Ordnung in unsere Migrationspolitik bringen.
Klaus Schüle, CDU
61 Jahre, Leiter der Stabstelle für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und europäische Angelegenheiten im Regierungspräsidium Freiburg
Foto: © Martin Koswig
… ich dort meine Erfahrungen aus dem täglichen Leben, dem Leben in einem Kleinzentrum statt der großen Stadt und meine berufliche Erfahrung, Projekte zum Erfolg zu führen, einbringen möchte. Inhaltlich muss die Politik mehr von unten (der Kommune) nach oben (dem Bund) definiert werden. Deutschland ist, was es ist, weil es nicht zentralistisch aufgebaut ist.
Ulrich Kissel, Freie Wähler
59 Jahre, selbstständiger Berater in der Pharmaindustrie
Foto: © Thomas Huber
… unsere Bürger Schutz brauchen vor Kriminalität, die sich durch die unkontrollierte Einwanderung verschärft. Ich bin für christliche Werte wie einen besseren Schutz der Ungeborenen durch konkrete soziale Hilfen und die Förderung der Familien; für Frieden durch Diplomatie, weniger Windindustrie, die Besserstellung der Rentner und artgerechte Tierhaltung.
Martina Kempf, AfD
60 Jahre, Juristin
Foto: privat