chilli exklusiv: So lief die Rodung des Dietenbachwalds Politik | 11.12.2024 | Philip Thomas

Bei der Räumung des Protestcamps im Freiburger Langmattenwäldchen waren Journalisten nicht erwünscht. chilli-Redakteur Philip Thomas ist dennoch hinter die Absperrung gelangt und hat die umstrittenen Rodungsarbeiten hautnah miterlebt.

Aus einem Van mit abgeblebten Firmenlogos springen die angeheuerten Forstarbeiter. Vor knapp 15 Minuten haben sie die Ladefläche des Materialwagens bestiegen, schüttelnd und schaukelnd wurden sie geschlossen und geschützt zum Einsatzort transportiert. Zuvor gab es die Anweisung: „Seid höflich, lasst euch nicht provozieren. Wir wollen keinen Ärger.“ Trotzdem wurde jedes Gefährt noch mit einem Feuerlöscher ausgestattet. „Ich dachte, ich fahre heute ganz normal auf die Baustelle“, wundert sich ein Mitarbeiter mit Helm und Warnweste.

Noch bevor die Sonne aufgegangen ist, wird er angebrüllt. „Was soll dieser Lärm?“, will ein Mann durch sein Fenster an der Carl-von-Ossietzky-Straße erbost wissen. Es ist schließlich Samstag, fünf vor acht. Dabei tuckern die Bagger vor seiner Haustür noch im Standby. Wann genau die vom Freiburger Rathaus bestellte Forstfirma hier anrückt, um Teile des Langmattenwäldchens zu roden, war lange ein gut gehütetes Geheimnis.

Angesichts des seit Mitternacht vor Ort geltenden Betretungs- und Aufhalteverbots hatte das Aktionsbündnis „Dieti bleibt“ die Räumung in einer Telegram-Gruppen am Samstag nicht ausgeschlossen. Gerechnet worden war mit der Rodung des Waldstücks aber erst am Montag oder Dienstag. Um 8 Uhr schrillt dann die erste Motorsäge, die Fällung für den neuen Stadtteil Dietenbach beginnt und das bereits im Sommer 2021 hochgezogene Protestcamp schlägt auf sämtlichen Kanälen Alarm.

Der Mann mit der Weste soll die Zufahrtsstraße mit hüfthohen Schrankenzäunen sperren und Passanten umleiten. Wohl ist ihm dabei nicht. „Schämen Sie sich nicht?“, fragt ihn eine Frau. „Ich hoffe, ihr fühlt euch schlecht“, ruft eine andere Dame. Dahinter kniet ein Mann und erklärt seinem vielleicht fünfjährigen Sohn, was die Männer in den Warnwesten machen. Daneben steht eine weinende Fußgängerin, den Blick starr auf den sich bereits lichtenden Wald.

Um 8 Uhr geht die Sonne auf. „Ich will zur Mahnwache, das ist eine angemeldete Demonstration“, bedauert eine Frau mittleren Alters in die kalte und feuchte Luft hinein. Auf dem Kopf trägt sie eine grobmaschige Filzmütze, in den Händen schwenkt sie eine dunkle Satteltasche. Von einer Mahnwache weiß die Straßensperrung nichts. Nur eine Baustelle, die gebe es jetzt hier.

Die aufgebrachte Frau will sich nicht abwimmeln lassen. Die entsprechenden Dokumente befänden sich auf dem Grundstück. Ziemlich genau dort, wo gerade der tonnenschwere Holzernter steht und einen weiteren Baum fällt. „Wenn Sie mich durchlassen, zeige ich Ihnen die Papiere“, beteuert sie mehrmals. Nichts zu machen: Bitte klären Sie das mit der Polizei.

Die Frau lenkt ein. Sie schließt sich den knapp 40 Demonstranten an der geplanten Tramlinie weiter westlich an. Auch dort ist allerdings kein Durchkommen. „Ihr müsst das nicht tun, legt eure Sägen hin und geht nach Hause“, ruft die einberufene Versammlung über eine Polizeiabsperrung hinweg.

Ein junger Mann auf einem klapprigen Fahrrad lässt sich von Warnwesten und Flatterband derweil nicht aufhalten. „Das ist doch jetzt kein Akt. Ich fahre jetzt hier durch“, sagt er so genervt wie bestimmt. Dabei hat er zwei große Tüten mit Brötchen vom Bäcker.

Um 9:30 Uhr sind zwei laute Explosionen über dem Wald hören. Zu sehen sind knapp 50 vermummte Einsatzkräfte der Polizei, die mit voller Schutzkleidung sowie Schildern in das Wäldchen stürmen. Zwischen den Bäumen stoßen die Beamten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit auf bemalte Stehlen und vereinzelte Aktivisten. Widerstandslos lassen sie sich durch den dicken Morast abführen, darunter ist auch der Mann, der die Brötchen brachte. Sein Fahrrad ist Teil einer Blockade aus kaputten Möbeln und Holzresten geworden, sein Frühstück konnte er nicht beenden.

Vor einer großen Alteiche samt Baumhaus teilt sich der Polizei-Tross, rückt nur noch langsam auf das nun bis auf 150 Meter eingekreiste Camp vor. Über zunächst fiepende Lautsprecher ertönt um 9:45 Uhr die erneute Durchsage an die Aktivisten, sich zu stellen und das Gelände zu verlassen. „Verpisst euch!“, schallt es laut aus dem Wald zurück. Spätestens jetzt sind nur noch Vermummte im Wald.

Über Seilzüge bewegen sich mehrere Aktivisten durch die Baumkronen, besetzen weitere Verschläge und rücken ihrerseits vor. Sie rufen sich mit jugendlicher Stimme Mut zu: die Kabel sind in schwindelerregender Höhe gespannt, im einsetzenden Regen ist es nicht einfach, sich daran entlangzuhangeln.

Minutenlang hängt der Widerstand buchstäblich in den Seilen. Auch bei der Kommunikation hakt es. Ohne – wie in der Szene üblich – Namen zu nennen und Pronomen zu nutzen, ist die Ansprache nicht eindeutig: „Wie geht es der Person auf dem Baum?“ – „Ich?“ – Nein, der andere Mensch“ – „Wer?“. 20 Meter tiefer werden behelmte Köpfe geschüttelt. Die Männer hatten wohl mit handfestem Widerstand gerechnet.

Denn der Einsatzzug ist kampferprobt: Einige der stämmigen Beamten waren bereits bei er Räumung des Hambacher Forst im Jahr 2018 dabei. Damals ließ das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen knapp 80 Quartiere von der Polizei räumen – „aus Brandschutzgründen“. Im mittlerweile vollends eingesetzten Regen über dem Langmattenwäldchen ist zumindest Feuer nicht zu befürchten.

10 Uhr. Die in den Wald gestürmte Einheit dampft in der Dezemberluft nicht mehr. Sie wartet auf neue Instruktionen. Ein Maskierter bricht schließlich das minutenlange Schweigen und erinnert seine Kollegen ans Einsatzbriefing: „Keine Bilder produzieren, wie wir hier schreiende Menschen rausziehen.“

Zu diesem Zeitpunkt ist ein ausgewiesener Pressefotograf aber schon nicht mehr auf dem abgesperrten Gelände zu sehen. In einer Aktivisten-Gruppe kursiert ab 13 Uhr ein Bild von einem ausgesprochenen Platzverweis, überprüfen lässt sich das nicht. Klar ist jetzt jedoch: Journalisten sind auf dem Gelände nicht erwünscht.

Um 10:45 Uhr nähert sich eine vermummte Gestalt den Polizisten. Der Zugleiter gibt die vorsichtige Annäherung per Funk durch. „Im Wald gibt es unterirdische Strukturen. Menschen sind in Tunneln. Jede Bewegung kann die Tunnel zum Einsturz bringen“, betont die ebenfalls in schwarz gekleidete Person mit heller Stimme. Und tritt rasch den Rückzug ins nur noch wenige Meter entfernte Protest-Lager an.

Der Zugleiter wirft einen ungläubigen Blick auf seine schwarzen Stiefel und den dicht bewachsenen Waldboden. Tunnel? Hier? Sein Kollege hat die vermummte Gestalt nicht aus den Augen gelassen. „Die wolltest du schnappen, oder?“, fragt der Nebenmann. „Das ist hier zu rutschig, am Ende flieg‘ ich auf die Fresse“, entgegnet er.

Um elf Uhr steht nur noch ein loses, gerahmtes Fenster und ein gewundener, ausgetretener Pfad zwischen den Polizisten und dem Protestcamp. „Alle Tiere hassen die Bullen“, steht auf dem Glas. Es wird von den Polizisten – ebenso wie die Protestschreie aus den Baumkronen –nicht weiter beachtet.  

Die Kreise der Umweltschützer werden jede Stunde kleiner: Während die Polizei auf dem matschigen Boden vorrückt, kappen fünf ebenfalls maskierte Industriekletterer ihre Verbindungszüge und Kabellagen. Mit Äxten bringen sie die unbewohnten Baumhäuser zum Einsturz. Krachend fallen sie ins Unterholz. Dahinter dröhnen die Motorsägen, der Langmattenwald ist bereits sichtbar gelichtet. Für die Aktivisten ist das persönlich. Für die Baumarbeiter und Beamten ist es ein Job.

Widerstand regt sich nicht, als die Polizei keine zwei Stunden nach ihrer Ankunft ins Lager einrückt. Ein Tor oder nennenswerte Barrikaden müssen sie nicht nehmen. Die verbleibenden „Verteidiger“ haben sich bereits in höhere Stockwerte zurückgezogen, ihre Leitern und Seile haben Sie eingeholt.

Darunter hängen allerlei bemalte Transparente und Flaggen. Festgezurrte Planen bieten Schutz vor der gröbsten Witterung. Darunter stehen verstreute Klappstühle, ausrangierte Büromöbel und aus Europaletten zusammengenagelte Sitz- und Liegegelegenheiten. Ganz geheuer scheint die unübersichtliche Proteststätte den Beamten zunächst nicht.

Das Lager wirkt kürzlich verlassen und lange verwahrlost: Eine über Feuer erhitzte Kaffeekanne ist noch warm. Auf einem improvisierten Tisch liegt eine offene Packung Margarine. Überall liegt Müll. Mit jedem Schritt schmatzt der zentimeterhohe Schlamm. Es riecht nach nasser Jacke, welken Blättern und kalter Asche.

Der Einsatzleiter möchte den Küchenbereich des Lagers zuerst entfernt haben. „Diese Strukturen müssen wir nehmen“, erläutert er den Männern, die morgens die Straße gesperrt hatten. Was in dreieinhalb Jahren gewachsen ist, wird in einer Dreiviertelstunde abgetragen und von einem Bagger mit präzisen Bewegungen an der Baumgrenze zu Sperrmüll verarbeitet.

Auf dem Feld dahinter hat sich eine weitere Einheit aufgereiht. Monatelang sollten die Aktivisten das Lager verlassen, nun dürfen sie das in keine Himmelsrichtung mehr tun. Sie können nur noch zusehen, wie ihr Lager Stück um Stück verschrottet wird. Die jungen Stimmen sind jetzt verstummt.

Ein Polizist mit gelber Warnweste und Aufschrift „Anti-Konflikt-Team“ verhandelt mit den Verbliebenen. Man werde gleich Möglichkeiten kappen, die Bäume herabzusteigen. „Ich gehe nicht freiwillig“, lautet die entschlossene Antwort von oben. Auch die außerdem in knapp 25 Metern Höhe gesicherte Person macht keine Anstalten, ihren Posten zu verlassen. Eine große Linde fällt nahe der demontierten Festung zu Boden. In den dumpfen Aufprall mischt sich auch ein heller Schrei: Die verbleibenden Aktivisten leiden nun mit jedem Baum.

14 Uhr: Auf dem Gelände geht ein Video von einem Aktivisten um, der sich angeblich in einem Tunnel versteckt hält. Am Nachmittag ist dieser auch gefunden: In einem Bretterverhau vier Meter unter der Erde hat sich ein Naturschützer festbetoniert. Zähneknirschend verwünscht wird er von den buddelnden Beamten nicht – eher augenrollend belächelt. Ein Uniformierter reicht eine Flasche Cola und eine Decke ins schließlich freigelegte Loch.

Bis nach Einbruch der Dunkelheit schaufeln und leuchten mehrere Polizisten, um den Mann freizulegen. Das Technische Hilfswerk muss hinzugezogen werden und sein Gefängnis stabilisieren. Der ebenfalls eingetroffene Freiburger Baubürgermeister Martin Haag schaut derweil ungläubig zu. Bis um halb sieben harrt der Aktivist aus, nach seiner Rettung wird er zu einem Krankenwagen geführt.

16 Uhr: Bis auf zwei Baumhäuser haben die Einsatzkräfte alle Aufbauten der Aktivisten zerstört. Die letzten Stämme werden gefällt. Das ist Zentimeterarbeit. Am Boden beschwört die Leiterin der Forstfirma ihren Mitarbeiter im „Harvester“ über Funk: „Pass bloß auf, das ist mir viel zu knapp.“ Tatsächlich fällt der Baum nicht optimal, seine blattlosen Äste berühren einen noch von Aktivisten gehaltenen Baum. Ein entsprechendes Video der Szene geht später in den Kanälen der Besetzer um. Dort wird am späten Samstagabend noch eine Demonstration durch das Rieselfeld zusammengetrommelt.

17:30 Uhr: Für die Einsatzkräfte neigt sich der Arbeitstag auf dem gesperrten Gebiet dem Ende. Der war erfolgreich, sind sich die Kletterer, Forstarbeiter, Ordnungsamt, Polizisten und Bürgermeister einig. „Wir sind weiter gekommen als wir dachten.“

18 Uhr: ein letzter Blick in die noch verbliebende, über dem Lager thronende Baumkrone. In der Dämmerung ist der ausgestreckte Mittelfinger eines Besatzers gerade noch zu erkennen. Insgesamt vier Personen wurden heute in Gewahrsam genommen. Keine davon ist mit Wohnsitz in Freiburg gemeldet.

chilli-Bildergalerie

Info: Das chilli hat das Protestcamp bereits vor zwei Jahren besucht: Klick

Fotos: © pt