»Gewalt beginnt oft mit Worten« – Freiburgs Politiker über Stalking, Drohungen und Beschimpfungen Politik | 12.06.2024 | Philip Thomas

Verunstaltetes Wahlplakat von Franka Enderlein

Straftaten gegen Amtsträger haben in Baden-Württemberg einen Höchstwert erreicht. In Freiburg gehören Beleidigungen und beschmierte Wahlplakate quasi zum politischen Tagesgeschäft. Gerade in sozialen Medien werden die Hass-Botschaften schnell ausgesprochen. Auch eine Morddrohung gegen einen Freiburger Kandidaten hat es gegeben.

„Musste ins Krankenhaus“

Am 3. Mai wird der SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden beim Plakatieren angegriffen und schwer verletzt. Der Vorfall sorgt bundesweit für Entsetzen. In Freiburg weckt er Erinnerungen. „Vor sechs Jahren musste ich ins Krankenhaus, nachdem mir ein Mann auf meiner Wahlparty mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte“, so Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn, der eine gebrochene Nase und zwei zersplitterte Zähne davontrug. Auf Social Media warnt der Rathauschef jetzt: „Gerade in letzter Zeit gab es leider häufiger Attacken auf Wahlkämpfer:innen und Politiker:innen. Das darf nicht sein!“

Verunstaltetes Wahlplakat von Franco Orlando

Bis zum Redaktionsschluss gab es in diesem Wahlkampf keine tätlichen Angriffe auf Freiburger Entscheidungsträger. Allerdings wissen Politiker aller Couleur von Drohungen und Beleidigungen zu berichten. „Vereinzelt werden unsere Wahlhelfer:innen an Infoständen und beim Aufhängen der Plakate beschimpft. Zudem wurden viele Plakate beschmiert oder zerstört. Das hat natürlich einen Einfluss auf unsere Helfer:innen“, sagt Pauline Valentin, Geschäftsführerin der Grünen im Kreisverband Freiburg.

Morddrohung für den OB

Kai Veser, Vize-Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler Freiburg, und Quentin Gantert, Sprecher der CDU Freiburg, melden Beschimpfungen, Drohungen und anonyme Briefe. Auch handfeste Nachstellung ist aktenkundig: Vor knapp einem Jahr wurde die Haustür von Stadtrat Atai Keller (Kulturliste) mit dem Schriftzug „Atai verroht Freiburg“ beschmiert. „Er brachte es damals zur Anzeige. Der Fall wurde jedoch nicht aufgeklärt“, sagt sein Kollege Markus Schillberg.

Bei Horn bleibt es nicht bei Beschimpfungen und Stalking. „Eine meiner härtesten Morddrohungen bekam ich zum Thema Tempo 30. An dem Tag, an dem ich ein Foto vom Schlittenfahren mit meinen Kindern gepostet hatte. Was passiert da im Kopf“, fragt Horn und warnt: „Gewalt beginnt oft mit Worten.“ Auch im Zusammenhang der aktuellen Gemeinderatswahl wurde eine solche Drohung ausgesprochen. Der betroffene Kandidat möchte namentlich nicht genannt werden.

„Zielscheibe für Wut und Hass“

Verunstaltetes Wahlplakat von Andreas Schwab

540 Delikte gegen Amts- und Mandatsträger wurden laut dem Sicherheitsbericht des Landesinnenministeriums in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr angezeigt. Das sind 40 Prozent mehr als im Vorjahr (384) und stellt einen Fünfjahreshöchstwert dar. Angesichts der Lage hat das Landeskriminalamt reagiert und einen Leitfaden für Politiker vorgelegt. „Im Wahlkampf können Sie leicht zur Zielscheibe für Frustration, Wut und Hass werden“, warnt das zwanzigseitige Papier. Es gibt Tipps, wie sich Volksvertreter schützen können.

Freiburgs Mandatsträger und Listenkandidaten betonen, dass sie ihrer politischen Arbeit ohne Angst nachgehen können. Besonderen Schutz fordern sie nicht. „Wahlkämpfe führen zu Emotionalisierung“, erklärt Michael Wehner, Leiter von Freiburgs Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung. Auch er bemerkt, dass Angriffe auf Wahlplakate und Tumulte an Infoständen im Südwesten zunehmen.

„Eine neue Qualität“

Mit Sorge beobachtet der Experte einen „gesellschaftlichen Prozess der Individualisierung und Entsolidarisierung“. Laut Wehner können radikale Botschaften in den sozialen Medien schneller und geschützter ausgesprochen werden: „Gleichgesinnte jatzen sich mit extremistischen Äußerungen gegenseitig hoch. Das hat eine neue Qualität.“

Fotos: © pt, bar