Grüne behaupten Spitzenplätze – EU-Wahl: AfD mit landesweit schlechtestem Ergebnis in Freiburg Politik | 11.06.2024 | Lars Bargmann

Grafikmontage: Hand hält ein Megafon und neben dran stehen die Wahlergebnisse von der Freiburg-Wahl 2024

Freiburg hat gewählt. Und das bei der Europawahl völlig anders als bundesweit (siehe Infobox). Die Grünen blieben trotz Verlusten mit Abstand stärkste Partei, die AfD fuhr mit 5,9 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in Baden-Württemberg ein.

Die Grünen gewannen auch deutlich die Gemeinderatswahl und stellten mit der Spitzenkandidatin Sophie Schwer auch die bejubelte Stimmenkönigin. Die AfD brachte zwei Stadträte ins Gremium und hat damit wie bisher keinen Fraktionsstatus. Rund fünf Millionen Stimmen hatte das Wahlteam um Michael Haußmann zu zählen. Rekord. Bei der Europawahl hatte Freiburg unter den Großstädten mit 71,3 Prozent Wahlbeteiligung das beste im Land. Und auch die 66,9 Prozent Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl sind „die höchste Beteiligung in Freiburg seit Bestehen der Bundesrepublik“, sagte nicht ohne Stolz Oberbürgermeister Martin Horn bei der Bekanntgabe des Wahlergebnisses.

Es ist tatsächlich eine Wahl der Rekorde, denn noch nie hatten sich 20 Listen beworben, noch nie haben 17 Parteien und Gruppierungen mindestens einen Kandidaten durchgebracht, noch nie hatten 854 Menschen ihren Hut in den Ring geworfen. 21 neue Frauen und Männer sind im neuen Gemeinderat, die Frauenquote liegt bei 45,8 Prozent – der nächste Rekord, der ebenfalls heftig beklatscht wurde. „Die Demokratie in Freiburg lebt“, kommentierte Finanzbürgermeister Stefan Breiter, der auch fürs Wahlamt zuständig ist. Wenn es nach ihm ginge, müsste eine solche Wahl irgendwann auch mal papierlos möglich sein.

Platz zwei hinter den Grünen mit 12 Sitzen teilen sich mit je sechs Sitzen SPD (12,5 %) und CDU (12,0), die Linke Liste holte vier Sitze, die Freien Wähler drei (nachdem sich zwischenzeitlich schon auf fünf hoffen durften), je zwei Kandidaten brachten die die Grüne Alternative Freiburg (GAF), Junges Freiburg, FDP, AfD und – erstmals – auch VOLT über die Ziellinie. Einzelstadträte entsenden Freiburg Lebenswert (FL), Urbanes Freiburg, Bürger für Freiburg, die Partei, die Unabhängigen Frauen, die Kulturliste und die Liste Teilhabe und Inklusion auf die politische Entscheidungsbühne.

Leer gingen Querdenker Meinrad Spitz, die Liste Für Freiburg – Politik aus christlicher Verantwortung und die Anarchistische Pogo-Partei aus. Wer die AfD komplett als Liste gewählt hat, hat übrigens 28 von möglichen 48 Stimmen verschenkt, weil sie nur 20 Kandidaten ins Rennen geschickt hatte. Den letzten, den 48. Platz, hatten die Grünen noch den Freien Wählern abgetrotzt, wie Haußmann erzählte. Zunächst hatte es auch danach ausgehen, dass die AfD drei Kandidaten schafft und damit Fraktionsstatus erreicht. Am Ende waren es wie 2019 nur zwei. Auf die chilli-Frage, wie Horn das bewerte, sagte der Oberbürgermeister: „Ich bin zur Neutralität verpflichtet, aber voraussichtlich ist das einer gewinnbringenden und konstruktiven Arbeit im Gemeinderat nicht abträglich.“

Die größten Gewinne feierte VOLT mit einem Plus von 3,8 Prozent. Auch die Freien Wähler konnten um 1,5 Prozentpunkte zulegen. Zu den Verlierern zählen die GAF (-2,9 %), Grüne (-2,7) und FL (-2,1). Die jüngste Stadträtin im neuen Gemeinderat ist die 19-jährige Katharina Mohrmann (Grüne).

Stimmenkönigin: Sophia Schwer

Die neue Stimmenkönigin: Sophie Schwer von den Grünen holte 79.256 Stimmen.

Bei der Europawahl in Freiburg bleiben die Grünen mit der landesweiten Bestmarke von 30,3 Prozent zwar stärkste Partei, verloren aber kräftige 8,5 Prozent im Vergleich zu 2019. Den stärksten Zuwachs konnte VOLT feiern, die ihr 2019er-Ergebnis um stolze 6,1 auf 7,5 Prozent steigerten – während sie bundesweit nur 2,6 Prozent erreichten. Die FDP gewann 1,2 Prozentpunkte hinzu (5,5), BSW schaffte aus dem Stand 4,1. Relativ stabil blieben CDU (15,4 statt 16,2 in 2019), SPD (12,7 nach 13,9), Linke (6,2 nach 6,6) und die Freien Wähler (1,8 nach 1,3).

Auffällig ist, dass Freiburg auch für die Linke Liste eine Hochburg blieb: Bundesweit schaffte sie nur 2,7 Prozent, hier 6,2. Für die SPD ist es nach dem schon schlechtesten Ergebnis 2019 erneut das schlechteste. Auch die CDU fuhr in Freiburg mit 15,4 Prozent ihr landesweit (32 %) miesestes Ergebnis ein. Die AfD profitierte nicht vom Trend im Bund: 5,9 nach 5,3 Prozent werden keine Jubelstürme auslösen. Der Kreisvorsitzende Tilman Mehler postete in einem AfD-Chat, Freiburg sei ein „Lost-State“.

Wie dem Rechtsruck begegnen?

Die CDU ist mit dem EU-Ergebnis nicht zufrieden, so der Kreisvorsitzende Bernhard Rotzinger gegenüber dem chilli: „Ich hätte schon gehofft, dass wir von den Verlusten der Grünen auch etwas profitieren.“ Profitiert von den Verlusten von Grünen, SPD und CDU aber haben vor allem Volt (+6,1 %) und BSW (+4,1 %). Für die SPD-Fraktionschefin Julia Söhne kann nach den Ergebnissen „keiner zufrieden sein, der an dieser Demokratie festhalten will. Und wir als demokratische Parteien müssen uns nun fragen, wie wir diesem Rechtsruck entgegentreten können. Direkt nach der Wahl bin ich ehrlich gesagt etwas ratlos, weil auch die Linken nicht dazugewonnen haben.“ Sozialpolitik scheine aktuell nicht gefordert zu sein.

Allerdings stuft Mirko Boysen, Kreissprecher der Freiburger Linken, das Ergebnis positiv ein: „Mit 6,2 Prozent haben wir unser Ergebnis fast gehalten. In Freiburg konnten wir viele junge Mitglieder hinzugewinnen. Das hat sich ausgezahlt. Ich glaube, von unseren Learnings könnte die ganze Partei profitieren.“ Für die FDP freute sich Sascha Fiek, Spitzenkandidat zur Gemeinderatswahl, über das Plus von 1,2 Prozent: „Das ist für uns in Freiburg ein schönes Ergebnis. Wir konnten im Bund die Zahl der Mandate halten, obwohl natürlich die Ampel nicht nur Rückenwind hat.“ Die AfD hat sich trotz mehrfacher Anfragen auf verschiedenen Kanälen bei der Redaktion nicht gemeldet.

Info-Box mit Ergebnissen der Europawahl Freiburg im Vergleich mit Deutschland

Erstmals einen Sitz im EU-Parlament in Brüssel ergatterte die Freiburgerin Vivien Costanzo (SPD), die bis jetzt als Büroleiterin des Bundestagsabgeordneten Johannes Fechner in Emmendingen arbeitet. Bereits zum fünften Mal wurde Andreas Schwab gewählt, der bei der CDU für den „Wahlkreis“ Südbaden zuständig ist.

Die beste Wahlbeteiligung im Land hatte der Landkreis Tübingen (71,8 %), dicht gefolgt von Freiburg (71,3). „Danke Freiburg für die höchste Wahlbeteiligung einer Großstadt im Land bei der Europawahl. Und noch eine Besonderheit: Im Vergleich mit allen anderen Wahlkreisen im Land hat die AfD in Freiburg mit 5,9 Prozent ihr niedrigstes Ergebnis erzielt“, kommentierte Horn. Landesweit kamen die Rechtsextremen auf 14,7 Prozent.

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