Rassismus in Freiburger Clubs? Der chilli-Test STADTGEPLAUDER | 19.02.2016

Es sind 239.000. So viele Ergebnisse bekommt, wer bei Google die Worte Flüchtlinge, Clubs und Freiburg eingibt. Ein Großteil davon ist keinen Monat alt. Ein Artikel in der Badischen Zeitung, wonach Flüchtlinge wegen Delikten wie sexuellen Übergriffen oder Diebstählen nicht mehr in Freiburger Clubs dürfen, hatte Ende Januar heftige Diskussionen und ein bundesweites Medienecho (siehe linke Seite) ausgelöst. Diskobetreibern wurde vorgeworfen, Flüchtlinge in Sippenhaft zu nehmen, Türstehern wurde Rassismus unterstellt. Auch die BZ musste viel Kritik einstecken. Doch wie sieht die Realität an der Tür aus? Eine Nacht mit drei syrischen Flüchtlingen und einem Türsteher.

Von Spiegel online bis Bild: Ende Januar hat Freiburg in ganz Deutschland Schlagzeilen gemacht. Allgemeiner Tenor: „Ausgerechnet im toleranten Freiburg“.

Der Türsteher mustert den jungen Syrer kritisch: „Tut mir leid. Heute nur für Stammkunden.“ Jan Mustafa versteht das Wort Stammkunden nicht. Was er versteht: In diesen Club kommt er heute Abend nicht rein.

Es ist Freitag, 22 Uhr. In dieser Woche hat Freiburg Schlagzeilen gemacht. „Weltoffen, grün – aber die Clubs sind für Flüchtlinge tabu“ hat die Rhein-Neckar-Zeitung getitelt. „Angebliche Belästigung: Freiburger Discos verbieten Flüchtlingen den Zutritt“ heißt es bei der Welt. Spiegel, Handelsblatt, Deutschlandfunk, FAZ – Medien in ganz Deutschland greifen das Thema auf. Auslöser ist ein Artikel in der BZ, wonach mindestens sechs Freiburger Clubs keine Flüchtlinge mehr einlassen, weil es zu sexuellen Übergriffen gekommen sei.

Wie sieht die Situation nach dem Medienaufruhr aus? Jan Mustafa, Malek Kassem und Amin Abdullah, drei syrische Flüchtlinge, sind bereit, es auszuprobieren. Man könnte erwarten, dass die Türpolitik gerade besonders locker ist, doch gleich die ersten drei Türen bleiben verschlossen.

Im Laufe des Abends wechseln sich offene und geschlossene Türen ab. Ein Muster ist nicht zu erkennen. Mal wird der lässig gekleidete Jan abgewiesen, mal muss Malek in seinem Hemd draußen bleiben, mal hilft die Begleitung von Frauen, mal nicht. Herrscht Rassismus an der Clubtür oder spielen doch andere Faktoren eine Rolle? Die Türpolitik ist undurchsichtig, einige Begründungen für eine Ablehnung – „nur Stammgäste“, „heute nur für Ältere“ – lassen sich an diesem Abend problemlos widerlegen. Für die drei Flüchtlinge, die sich im Freiburger Nachtleben nicht groß auskennen, bleibt es unverständlich, warum sie in manche Diskos reinkommen, in andere nicht. Nur eines ist klar: Kein Mal müssen sie, wie vereinzelt angekündigt, ihren Duldungsstatus vorzeigen und werden deshalb abgelehnt.

Dabei war es genau diese Idee, an der sich die Debatte entzündet hatte: Laut einer internen E-Mail vom White Rabbit an seine Veranstalter hatte der Nachtclub am Siegesdenkmal die Entscheidung getroffen, Menschen ohne Aufenthaltsgestattung nicht mehr reinzulassen. Grund sei eine Reihe von Vorfällen wie sexuelle Belästigung, Taschendiebstähle oder die versuchte Vergewaltigung eines Gastes. Besonders abstrus: Der Club gilt als linksliberal, hier feiern und arbeiten Menschen aller Nationen, auf der Toilette, die für Frauen, Intersexuelle und Transen ist, hängen Aufkleber der Antifa.

Die Reaktionen der Veranstalter des White Rabbits ließen nicht lange auf sich warten. „Die haben uns gehörig den Kopf gewaschen, und die Kritik war berechtigt“, heißt es in einer Stellungnahme des Clubs. „Das war ein interner Hilferuf“, sagt ein Mitarbeiter. Ein generelles Einlassverbot für Flüchtlinge – das rechtlich verboten ist – sei nie umgesetzt worden. Weitere Diskos wie El.Pi oder Crash schließen sich an und betonen auf ihren Facebook-Seiten, dass sie nicht nach Hautfarbe oder Nationalität auswählen.

„Dreist geheuchelt“ sei laut einer nicht namentlich gezeichneten Pressemitteilung des Autonomen Zentrums KTS zumindest die Stellungnahme des Crashs. Dessen Mitarbeiter würden regelmäßig Menschen brutal zusammenschlagen. Racial Profiling sei „in vielen Freiburger Clubs seit Jahren rassistischer Alltag“, heißt es weiter.

Über solche Vorwürfe kann Daniel Mattuscheck nur den Kopf schütteln. Seit 15 Jahren steht er im Eingang des Crash und passt auf, dass keine Minderjährigen oder stark Betrunkenen reinkommen.

Es ist kurz nach Mitternacht – Rush Hour an der Tür. An Mattuscheck vorbei drängen sich zwei Hipster, ein syrischer Flüchtling, ein Hippiemädchen mit Hennatattoos, zwei Schwarze mit Baggypants – und ein Mann im Rock. Keinen von ihnen weist der Türsteher ab. Auch Punks und Obdachlose, die in keinen anderen Club reinkämen, seien willkommene Gäste. Sogar ein Nackttänzer sei Stammgast. „Wichtig ist bei uns nicht das Aussehen, sondern das Verhalten“, sagt der bullige Mann mit den Tattoos, dem Totenkopfring und der schwarzen Lederjacke.

Neben ihm hängt – für jeden gut sichtbar – die Hausordnung, die seit 20 Jahren nicht mehr geändert wurde. Wer sich nicht daran hält, wird rausgeschmissen. Der kampfsporterfahrene Türsteher weiß, welche Griffe er bei Widerstand anwenden muss, schlagen würde er – entgegen der KTS-Behauptungen – nie jemanden. „Ich wurde schon x-mal angezeigt, wegen Beleidigung oder Körperverletzung, und wurde immer freigesprochen“, erzählt der 38-Jährige. „Ich habe nicht eine Vorstrafe. Das zeigt doch schon, dass an diesen Vorwürfen nichts dran ist.“ Dass Türsteher angezeigt würden, sei nichts Außergewöhnliches: Wer rausgeschmissen wird, fühle sich oft gekränkt und unfair behandelt.

Von vermehrten Übergriffen oder Diebstählen merke man im Crash nichts. „Wir hatten vor zwei Jahren Probleme mit umherziehenden Banden, doch jetzt ist es gerade extrem ruhig.“ Was in den vergangenen Wochen jedoch zugenommen habe: die Verunsicherung der Türsteher. „In der Diskussion wurden alle über einen Kamm geschert. An mich haben sich jetzt einige gewendet, die Angst haben, an den Pranger gestellt zu werden, wenn sie Randalierer anderer Hautfarbe rausschmeißen.“ Mattuscheck ärgert es besonders, dass gerade die südbadische Hauptstadt so in den Fokus geraten ist: „In Freiburg ist die Türpolitik sehr liberal. Da sieht es in anderen Städten ganz anders aus.“

Crash-Türsteher Mattuscheck: „Wichtig ist nicht das Aus- sehen, sondern das Verhalten.“

„Unserer Erfahrung nach ist Diskriminierung in den Freiburger Clubs gängige Praxis – und zwar in allen“, widerspricht ein KTS-Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden will. „Nachweisen lässt sich das den Clubs natürlich nicht, die passen auf, dass sie keine Diskriminierungsklage bekommen und erspinnen Ausreden.“ Paradebeispiel dafür sei das Kagan.

Ein Vorwurf, den dessen Inhaber Peter Bitsch nicht gelten lässt: „Leute, die friedlich feiern wollen, kommen bei uns immer rein.“ Dennoch gäbe es bestimmte Volksgruppen, die stressbereiter seien als andere – weil sie ein anderes Weltbild von Frauen hätten oder sich schnell in ihrer Ehre gekränkt fühlten. „Da sage ich an der Tür lieber einmal mehr Nein als einmal zu oft Ja“, erzählt Bitsch.

Der Hauptgrund, warum Gäste abgelehnt würden, sei aber ein ganz anderer: die Gruppenstärke. Größere Männergruppen, von denen Bitsch niemanden kennt, haben im Kagan keine Chance zu feiern. Falls einer der Gruppe Ärger mache, könne es sonst für die Türsteher kritisch werden, die dann in der Unterzahl sind. Gerade bei Nordafrikanern komme es häufig vor, dass sie in großen Gruppen weggingen – und dann nicht eingelassen würden.

Vermehrte Probleme wie sexuelle Belästigungen hat auch Bitsch nicht bemerkt. In seinem eher kleinen Club seien solche Übergriffe allgemein seltener als in einer Großraumdisko, wo sich die Täter weniger beobachtet fühlen. „Dass es Leute gibt, die Stress machen, ist nichts Neues, das haben wir seit 15 Jahren. Mit Flüchtlingen hat das überhaupt nichts zu tun.“

Wie bei einem Runden Tisch zum Thema Hausverbote im Rathaus klar wurde, gebe es schon seit Jahren Probleme mit bestimmten Gruppen, die sich weder mit einer Nationalität noch einer bestimmten Hautfarbe verknüpfen lassen. „Es gab in der Stadt schon immer verhaltensauffällige Leute“, so Harry Hochuli, Leiter des Polizeireviers Nord, „wer das ist, verschiebt sich immer wieder.“

Wie man diesen Problemgruppen begegnen kann, haben Freiburger Politiker mit Vertretern der Polizei, Freiburger Clubs, des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) und frauenspezifischen Einrichtungen diskutiert. Ein Ergebnis: Das überörtliche Hausverbot, das bereits 2006 eingeführt wurde, soll verstärkt genutzt werden. Wer einmal rausfliegt, kommt für zwei Jahre in keinen Club rein.

Dieses Hausverbot kann etwa für Diebstahl, Sachbeschädigung, das Verabreichen von K.O.-Tropfen oder sexuelle Belästigung erteilt werden, erklärt Alexander Hangleiter, Geschäftsführer der Dehoga Baden-Württemberg. Der Club teilt den Verstoß der Dehoga mit, die den Gast dann schriftlich mit seinem Hausverbot bekanntmacht. Eine Liste mit Namen oder gar Bildern an die anderen Diskos gebe es nicht: Das Hausverbot soll vor allem eine abschreckende Wirkung haben: Falls der Täter doch wieder eine Disko besucht und dort erneut auffällig wird, kann ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch eingeleitet werden.

Wer sich mehrfach strafbar macht, dem könnte zudem bald ein Betretungsverbot für die Innenstadt drohen. Dieses Verbot habe es in der Vergangenheit immer mal wieder für einzelne Plätze gegeben, weiß Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach, denkbar sei es jedoch auch für die komplette Innenstadt.

„Wir haben jetzt eine gute Analyse, darauf können wir aufbauen“, sagt von Kirchbach, der dem Runden Tisch ein weiteres Treffen in kleinerem Kreise folgen lassen möchte, um ein präventives Konzept zu erarbeiten. Denkbar wäre etwa eine verstärkte Videoüberwachung oder das Deponieren von Ausweisen beim Türsteher. Auch Mitarbeiter und Gäste müssten mehr sensibilisiert werden.

Freitagabend, 00.30 Uhr. Jan Mustafa, Malek Kassem und Amin Abdullah feiern im White Rabbit. Über Hausverbote muss sich an diesem Abend niemand Gedanken machen – die Stimmung ist friedlich. Überall im Club hängen Schilder mit Aufdrucken wie: „Keine Belästigung!“ oder „Take care of your drinks“. Das White Rabbit zeigt, dass es Übergriffen begegnen will, ohne zu diskriminieren. Deutlich macht das auch die Party, die für den nächsten Tag angesagt ist. Sie steht unter dem Motto: Make love not Flüchtlingskontrolle.

Text & Foto: Tanja Bruckert / Collage ©: chilli