Studis, Senioren und ein Sarg: Wie ein Erstsemester im Altenheim lebt STADTGEPLAUDER | 08.03.2018 | Jasmin Bantle

Wohnraum ist Mangelware. Einige Studierende weichen daher ins Freiburger Umland aus. Oder auf einen Campingplatz. Nicht so Raphael, der lieber anonym bleiben will. Der 20-Jährige lebte bis vor Kurzem im Altenheim. chilli-Autorin Jasmin Bantle hat er seine etwas andere Studentenbude vor Weihnachten gezeigt. Nicht immer geht’s dort fröhlich zu.

Hunderte Studierende waren im Herbst auf der Suche nach einer passenden Unterkunft. Gerade vor dem Wintersemester ist die Lage eng. Das spürte auch der Aachener Politikstudent Raphael, als er im Oktober nach Freiburg kam.

„Den Anfang hab’ ich mir anders vorgestellt“, sagt er. Bis zum Semesterstart fand er keine Bleibe. Es blieb nur die Notunterkunft der Studentensiedlung am Seepark. Die Zeit dort fand Raphael nicht sehr angenehm. „Es war irgendwie mehr ein Gegeneinander als ein Miteinander.“ Er habe sich einfach nur gedacht: „Scheiße, da muss ich raus. So wird das nichts!“

Also machte er sich auf die Suche: „Ich habe in der Erstiwoche mit vielen Leuten gequatscht und dann irgendwann von irgendjemandem die Nummer eines Altenheims bekommen.“ Und zwar die vom Carl-Mez-Haus, einer Senioreneinrichtung des Evangelischen Stifts. Gelegen in der Hermannstraße – mitten im Stadtzentrum. Er rief an und bekam ein Zimmer. In bester Lage. Zu bezahlbaren Preisen.

Die Wohnung wurde ursprünglich durch das Programm „Wohnen für Hilfe“ zwischen Studenten und Senioren vermittelt. Raphaels Einzug war jedoch ein Sonderfall. „Der Flügel hier wird demnächst abgerissen. Jetzt werden die alten Leute sozusagen evakuiert und die leeren Zimmer an Studenten vermietet. Hier wohnen auch viele Erasmus-Studenten“, erzählt Raphael. Da gehe es in der Gemeinschaftsküche bunt zu. „Genau das gefällt auch den meisten Senioren hier.“ Zwölf Studenten wohnen dort aktuell, berichten die Betreiber des Evangelischen Stift Freiburg. Raphael ist nicht mehr da. Er hat seit Januar ein anderes Zimmer. Mehrgenerationenprojekte wie dieses sind beim Evangelischen Stift kein Einzelfall, berichtet die Pressestelle.

Mit den rüstigen Mitbewohnern hat Raphael schnell Kontakt geknüpft: Früh lernte er eine Dame kennen. Die beiden unterhielten sich regelmäßig im Gang – bis es persönlicher wurde: „Eines Morgens stand sie plötzlich in meinem Zimmer und wollte mir ihren Verlobten vom Altenheim vorstellen“, sagt Raphael und grinst. Er habe da gerade total platt auf seiner Luftmatratze gelegen. Mit einem heftigen Kater vom Vortag. „Ich glaube, sie war schockiert“, erzählt der angehende Politologe und lacht.

Solche Anekdoten werden auch von traurigen Momenten begleitet: „Als meine Mitbewohnerin einmal nach Hause kam, wurde gerade ein Sarg rausgetragen.“ Leben und Tod liegen dort eng beieinander. Nicht jeder könne hier wohnen, glaubt der Student. Ihm machte das aber nichts aus: „Ich kam gut damit klar.“

In seiner Bude ging’s studentisch zu: „Wenn ich die Zimmertüre hinter mir geschlossen habe, war ich nicht mehr im Altenheim“, sagt Raphael. Mit seinen Freunden machte er hin und wieder Scherze: „Ich bin der Typ mit den 90-jährigen Mitbewohnern.“ Doch man schätze die Senioren. Waren Freunde zu Besuch, gelte die Regel: Respect the Elders.

Fotos: © pixabay.de; Jasmin Bantle