Eine Tour durch Freiburger Telegram-Gruppen Szene | 24.04.2021 | Liliane Herzberg

App Telegram

Telegram wird als sicherer Messenger-Dienst vermarktet und ist deshalb dafür bekannt, Plattform für einschlägige Angebote, Drogendeals oder alternative „Wahrheiten“ zu sein. Aber wie einfach ist es, in diese Welt einzutauchen? Und welche geheimen Überraschungen verstecken sich in der Green City? chilli-Volontärin Liliane Herzberg ist mit ihrem Handy durch Freiburg spaziert und der Sache auf den Grund gegangen.

Es ist Feierabend – wegen der Pandemie bleibt dieser wohl höchst unspektakulär. Längst habe ich alle Apps auf meinem Handy durchgeklickt. Zeit für Abwechslung. Vielleicht kann der Messengerdienst Telegram Abhilfe verschaffen. Denn dort können sich Unbekannte in einem Radius von etwa zwei Kilometern miteinander vernetzen. Seit Januar hat Telegram 500 Millionen aktive User·innen – vielleicht ist da ja jemand dabei, der ein wenig Spannung in meinen Abend bringt.

Gedacht, getan. Ich schmeiße meinen Standort an, öffne die App und klicke auf die Funktion „Kontakte“. Es erscheint das Feld „Leute in der Nähe finden“. Ich scrolle durch und werde stutzig: Drogen, Waffen, Abtreibungsmittel – ist der Kauf wirklich nur einen Klick entfernt?

Die vom  Freiburger  Güterbahnhof  etwa 350 Meter entfernte Gruppe „Campo Novo Freiburg“ ist nicht sehr kommunikativ. Das Gespräch geht hier kaum über eine Reihe Kredit- und Sexangebote hinaus. Die sind übrigens en masse in jeder der Gruppen und Stadtteile zu finden. In „Corona nervt!“ decken fünf Personen Verschwörungen auf, schnell werde ich der Posts überdrüssig.

Spannend wird es schließlich in „Egon at night“ mit 33 Mitgliedern. Dort gibt es einen Link, der mich zu „Cocaine, pills, shrooms, marijuana, guns and armor“ führt. Übersetzt heißt das: Hier gibt’s das Darknet im offenen Internet. Ohne viel Aufwand könnte ich dort scheinbar illegales Zeug kaufen. Zumindest theoretisch. „Die Existenz der angebotenen Ware ist manchmal fraglich und nicht immer ernst zu nehmen. Wir haben Telegram auf dem Schirm, aber da geht es überwiegend um den Austausch in Chats, zum Beispiel von Kinderpornografie“, so Michael Schorr, Pressesprecher der Polizei Freiburg. Als ich draufklicken will, ist der Link verschwunden.

Irgendwie erleichtert schwinge ich mich auf mein Rad und mache mich auf den sonnigen Weg in die Innenstadt. Ich erinnere mich dunkel, dass das früher der Ort war, an dem was zu erleben war. Und wirklich: Selbst in stillen Pandemiezeiten bedeuten dort laute Bässe noch Lebenselixier – in „I Love (Herz) House Music Freiburg“ tauschen Fans ihre Lieblingstracks aus. Auch der ein oder andere Langfinger ist noch unterwegs – in „Verkauf Gruppe Freiburg“ vertickt jemand eine geklaute Rolex. Nur für die Weltverbesserung begeistert sich anscheinend niemand: Die „Mobilitätswende Freiburg“ hat genau ein trauriges Mitglied.

Weiter geht’s in die Wiehre. Die Telegram-Studie zeigt: Während Corona ähneln sich die Interessen überall. Zwar spielten die Bewohner·innen einst gerne Tischtennis „ping pong draußen Fr“, schnell wurde daraus aber das alkoholreichere Bier Pong und schließlich ein nächtlicher Rave, wie Videos vom Oktober in „Techlife“ belegen. Da liegt nah, dass es auch im studentischen Stühlinger ähnlich zugehen dürfte.

In der Nähe des gleichnamigen Parks wird in „Kryptowährung Sidechain Freiburg“ mit „Kryprotokens“ spekuliert, andere tanzten jüngst in einem engen Raum mit mehreren Menschen zu Techno. AHA-Regeln exklusive. Meine Beitrittsanfrage lässt der Inhaber der Gruppe unbeantwortet. Ist vielleicht auch besser so. Unverrichteter Dinge mache ich mich auf den Heimweg. Ein fahler Beigeschmack bleibt, hier ist scheinbar viel los und doch nichts dahinter. Die reale Welt und echte Freundesgruppen fehlen.

Foto: © pixabay.com/Thomas Ulrich