Hotspot der Helfenden: Freiburg unterstützt die Ukraine STADTGEPLAUDER | 18.03.2022 | Lars Bargmann, Till Neumann und Philip Thomas

Flagge: Ukraine

Die Welt steht Kopf seit dem Krieg in der Ukraine. Auch in Freiburg ist das zu spüren. Die Stadt hat auch durch ihre engen Verbindungen mit der Partnerstadt Lviv in Rekordzeit Transporte in beide Richtungen organisiert. 157 junge Menschen haben nach einer abenteuerlichen Evakuierung ein neues Zuhause im Breisgau gefunden. Die Landeserstaufnahmestelle LEA platzt zudem aus allen Nähten. Bei der evangelischen Stadtmission heißt es: „So eine Situation haben wir noch nicht erlebt.”

Schon seit 30 Jahren gibt es in Freiburg „S’Einlädele“. Von Beginn an unterstützte das Ladencafé Bedürftige in der Ukraine. „Aus dem kleinen Missionslädele mit großer Aufgabe wurde ein diakonisches Werk, das zahlreichen Menschen in der ­Ukraine Hoffnung schenkt und Hunderten bedürftiger Kinder, Familien und Senioren Existenzsicherung und Lebensqualität zurückgibt“, schreiben die Verantwortlichen um Geschäftsführer Volker Höhlein. Noch vergangenes Jahr war das Team in Jubiläumsfeierlaune. Schon kurze Zeit später steht es durch den Krieg im Fokus wie nie zuvor.

Am ersten Tag des Krieges sendete ein ukrainischer Busunternehmer einen Hilferuf über den Messengerdienst Viber. Ein ganzes Kinderheim in Kiew sollte evakuiert werden. Diese Info erreichte auch S’Einlädele: Das Team klemmte sich hinter die Evakuierung. Die Fahrt war abenteuerlich, 70 Stunden ging die Reise für 157 Kinder mit 30 Betreuenden über Polen. Die vier Busse gerieten noch in der Ukraine bei Nacht unter Beschuss. Dank eines Ablenkungsmanövers der Polizei und einer nächtlichen Fahrt ohne Scheinwerfer gelang die Fahrt über die Grenze. Erschöpft, aber wohlauf kam die Gruppe in Freiburg an und wurde vorerst in einer Jugendherberge untergebracht. Insgesamt 242 Menschen aus der bombardierten Stadt im Herzen der Ukraine sind bis zum 12. März in Freiburg aufgenommen worden. Sie sind derzeit in vier städtischen Einrichtungen untergebracht.

Bei einer Pressekonferenz gaben Stadtspitze und Verantwortliche bewegende Einblicke: „Sie können sich nicht vorstellen, was unsere Kinder erlebt haben“, berichtet Roman Korniiko, Gründer und Leiter des Kinderheimes „Vaterhaus“. Diese Kinder seien oft schon verraten worden, hätten Gewalt erlebt in ihren Familien. Korniiko: „Als Militäreinrichtungen nah bei unserem Heim beschossen wurden, konnten manche Kinder den Urin nicht halten, so sehr waren sie unter Stress.“ Erst hier in Freiburg hätten die Kinder wieder ihre Kindheit zurückbekommen.

Stadt Freiburg Logo

Der Ukrainer ist dankbar für die Herzlichkeit in Freiburg: „Jeder, der kommt, hat so viel Mitgefühl für unsere Kinder – als wenn es seine eigenen wären.“ Unter Tränen fährt er fort: „Unsere Kinder lachen wieder. Sie spielen wieder. Ihr habt mit uns eure Liebe geteilt.“ Er wünscht sich, dass „eure Kinder nie erfahren, was es heißt, unter Bombenbeschuss zu stehen, sich zu verstecken und in ein fremdes Land zu flüchten“.

Wie sich das für einen 17-Jährigen anfühlt, berichtet Oleksandr Bohdanov: „Sie haben mich aufgeweckt und gesagt: In unserem Land ist Krieg. Meine Eltern haben gesagt, dass ich mit meinen beiden Schwestern, neun und elf Jahre alt, in den Bus steigen soll.“ Seine Eltern seien mit der fast zweijährigen Schwester in Kiew geblieben. „Es hat mir wehgetan, als ich allen in die Gesichter geschaut habe, wie erschüttert sie waren.“ Bei einem Stopp sei es laut geworden, sie wurden bombardiert. Bei der Ankunft in Freiburg habe er als Erstes seine Schwestern angesehen. „Sie haben gelächelt. Meine Eltern wollen versuchen, nach Schweden zu fliehen. Ich kann nicht beschreiben, wie glücklich ich bin.“

Auch Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn zeigte sich bewegt von Krieg und Flucht: „Es sind unfassbar dunkle Tage, ich bin ein Stück weit fassungslos.“ Die Ankunft der Kinder und Betreuer sei ein kleiner Lichtblick gewesen. „Sie haben eine dramatische Flucht mit Raketeneinschlägen erlebt“, betont Horn. Er dankt der Stadtmission, die das organisiert hat.

Überwältigt sei er von der Solidarität, die sich auch in Zahlen widerspiegelt: Auf ein Spendenkonto des Rathauses für die Partnerstadt ist bis zum 10. März mehr als eine halbe Million Euro eingegangen. Das Land habe zudem mehr als 2,6 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und die Uniklinik Freiburg einen ganzen Laster mit Tupfern, Kanülen und Schutzkitteln gepackt. „Wir versuchen, einen grünen Korridor einzurichten“, sagte Horn.

Auch bei der Evangelischen Stadtmission laufen viele Fäden zusammen. Sie hat mit ihrem S’Einlädele die Rettung des Kinderheims organisiert und darüber hinaus weitere Hilfsaktionen gestartet. Pressesprecher Tobias Pfleger warnt schon vor dem Telefonat: Ihn zu erreichen, ist nicht so einfach dieser Tage: „Momentan ist die Leitung häufig belegt.“ Es klappt dennoch, und Pfleger berichtet von Momenten, die es in seinem Haus so noch nicht gegeben hat: „Das mediale Interesse ist so hoch wie nie.“ Die Erklärung scheint naheliegend: Was in Freiburg an Hilfsaktionen läuft, sucht derzeit seinesgleichen.

Feldbetten in der Sporthalle der LEA Freiburg

Notunterkunft in Freiburg: Feldbetten stehen in der Sporthalle der LEA Freiburg bereit.

Bis zum 11. März hat sein Team mehr als 100 Tonnen Hilfsgüter in die Ukraine geschickt. Weitere werden folgen. Auch die Busse, die die Kinder brachten, gingen voll beladen zurück ins Krisengebiet. „Wir konnten durch sehr enge Kontakte die Evakuierung in so kurzer Zeit stemmen“, berichtet Pfleger. Die Leute vor Ort wüssten, wo Korridore für mögliche Fahrten sind. Auch die Wege zu den Lagern seien bekannt. Viele Straßenschilder sind in der Ukraine entfernt worden, um den russischen Eindringlingen die Orientierung zu erschweren.

Für die Unterstützung in Freiburg ist Pfleger dankbar: „Die Anteilnahme ist wirklich sehr groß.“ Das sei spürbar gewesen, als die Kinder und Jugendlichen in Freiburg ankamen – aber auch jetzt nimmt er das wahr. Mit Hilfsangeboten wurde die Stadtmission förmlich überrannt. So sei die größte Herausforderung, die Strukturen so aufzubauen, dass sie den Menschen zielgerichtet und optimal helfen können. „Wir haben das in wenigen Tagen aus dem Boden gestampft“, berichtet Pfleger. Die Abläufe müssten sich erst mal einspielen. Wahnsinnig viele Angebote hätten sich aufgetürmt. Von Einzelpersonen, aber auch von Vereinen und anderen Institutionen. „Wir konnten leider nicht immer gleich antworten“ sagt der Pressesprecher.

Für Menschen, die in Freiburg spenden wollen, hat die Stadtmission eine Liste erstellt mit Dingen, die dringend gebraucht werden. Kleidung ist dabei momentan nicht das Dringendste. Wichtiger seien lang haltbare Lebensmittel und Decken oder Schlafsäcke. „Dinge, die gegen die Kälte helfen“, sagt Pfleger.

Viele Akteure der Stadt kümmern sich um Hilfe für das angegriffene Land: „Drei Sattelschlepper mit Hilfsgütern im Wert von etwa drei Millionen Euro haben Lviv bereits erreicht“, fasst die Pressestelle des Rathauses zusammen. Gemeinsam mit dem Land und der Universitätsklinik Freiburg hat es vor allem medizinische Ausrüstung und Medikamente auf den Weg gebracht. Zwei zusätzliche Lastwagen mit weiteren Hilfsgütern sollen in Kürze ebenfalls von Freiburg in Richtung Lviv aufbrechen. Sie transportieren unter anderem Decken, dringend benötigte Hygieneartikel und medizinische Güter. Auch Waren von Nachbargemeinden seien darunter.

Die Drähte zur Partnerstadt laufen heiß: „Die Stadt Freiburg steht in ständigem Kontakt mit dem Rathaus in Lviv, damit die Spendengelder auch zielgerichtet dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden“, informiert das Rathaus. Auch ein großes Notstromaggregat im Wert von rund 90.000 Euro sei von einer privaten baden-württembergischen Stiftung finanziert worden und versandbereit. Die Planungen für ein zweites solches Gerät seien am Laufen. Generatoren können zum Beispiel die Stromversorgung eines Krankenhauses sicherstellen.

Feuerwehrleute bei einem LEA Containerhaus

Anpacken: Auch die Feuerwehr hilft, wie viele andere, um der Lage Herr zu werden.

Für Horn ist die Hilfe selbstverständlich: „Angesichts der Not und des Leids, dem die Menschen in der Ukraine aufgrund des brutalen Krieges ausgesetzt sind, sieht sich die Stadt Freiburg selbstverständlich in der Pflicht zu helfen. Aufgrund unserer Städtepartnerschaft mit Lviv haben wir hier in Freiburg eine besonders intensive Beziehung zur Ukraine.“ Der parteilose Politiker zeigt sich überwältigt von der Hilfsbereitschaft und der Spendenbereitschaft der Freiburgerinnen und Freiburger: „Ein ganz großes Dankeschön an alle, die mithelfen, spenden, transportieren, dolmetschen, Pakete packen oder sich um die hier ankommenden Geflüchteten kümmern!“

Laut der Vereinten Nationen (UN) sind Anfang März bereits mehr als zwei Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Das wirkt sich auch auf Freiburg aus: In der Landeserstaufnahmestelle (LEA) ist viel Andrang. Laut Regierungspräsidium (RP) Freiburg sind seit Kriegsbeginn rund 550 Menschen aus der Ukraine dort gelandet. „Die täglichen Zugänge nehmen erheblich zu und belaufen sich derzeit auf bis zu 180 Personen“, schreibt Sprecherin Heike Spannnagel am 10. März.

In die LEA an der Müllheimer Straße passen regulär 466 Personen. Die Kapazitäten müssen daher erweitert werden. Zwei Containerhäuser mit insgesamt 160 Plätzen sind daher in Betrieb gegangen, auch die Sporthalle auf dem LEA-Gelände wird mit 125 Feldbetten als Notunterkunft eingerichtet. „In der LEA erhalten die Bewohnerinnen und Bewohner Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung sowie ein Taschengeld“, berichtet das Presseteam des RP.

Den Schrecken zu verarbeiten, das dürfte eine Ewigkeit dauern. Wie tief die seelischen Wunden sind, zeigen die Worte der Ukrainerin Iryna Chebotariova. Sie ist Erzieherin aus dem Kinderheim „Vaterhaus“ und mit Albträumen in Freiburg gelandet: „Meine Welt ist zerstört. Es ist nichts übriggeblieben, was mir wichtig war.“ Der Leiter des „Vaterhauses“ habe ihnen gesagt, dass sie stark sein und nach Freiburg kommen sollen. In einer Stunde habe sie ihre Sachen gepackt. Die Reise in den sicheren Breisgau war ein Graus: „Die Kinder durften fast nichts trinken, nur ihren Mund benetzen, damit wir keine Pausen machen müssen.“ Zehn, zwölf Stunden seien sie durchgefahren. „Wisst ihr, wie schwer das für ein Kind ist?“, fragt Chebotariova. Immerhin seien sie nun an einem guten Ort: „Jetzt können sie trinken, so viel sie wollen. Das Leitungswasser ist wunderbar. Und sie haben schöne warme Zimmer.“ Bis zum Lebensende will sie beten, dass Gott ihre Retter beschützt.

Fotos: © iStock.com/BamBamImages; Regierungspräsidium Freiburg