Kolumne Nachgewürzt: Florian Schroeder über die Freiheit der Meinungen Szene | 07.12.2019 | Florian Schroeder

Florian Schroeder

„Zur Zeit ist es also der Tugendterror der political correctness, der freie Rede zum halsbrecherischen Risiko macht.“ Dieser Satz ist von – na? Bernd Lucke, Alice Weidel oder doch nur Jo Gauck? Nein, er ist von Martin Walser aus dem Jahr 1994.

Gut, dass sich unlängst alle Zeitungen mit der Frage beschäftigten: „Was darf man eigentlich noch sagen?“ Schuld daran ist eine Allensbach-Umfrage aus dem Mai, die zum Ergebnis kam, dass 63 Prozent der Deutschen meinen, man müsse sehr aufpassen, wenn man seine Meinung öffentlich sagt. Die Frage der Forscher lautete: „Neulich sagte jemand: Heutzutage muss man sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert. Es gibt viele ungeschriebene Gesetze, welche Meinungen akzeptabel und zulässig sind und welche eher tabu. Sehen Sie das auch so oder sehen Sie das nicht so?“

Das ist so verschachtelt-suggestiv gefragt, wie wenn ich 1000 Menschen auf der Straße frage: „Neulich sagte jemand, er sei mit seinem Leben komplett überfordert, so könne alles nicht mehr weitergehen. Kennen Sie dieses Gefühl auch?“ Und dann sagen 95 Prozent ja – und ich würde dann rausbrüllen, 90 Prozent der Deutschen wollen sich umbringen!

Das Problem ist nicht die Meinungsfreiheit, sondern die Tatsache, dass es immer mehr Meinungen gibt, die uns ungefiltert um die Ohren gehauen werden. Es ist wie auf dem Marktplatz: je mehr Marktschreier es gibt, umso lauter müssen sie sein, um überhaupt noch gehört zu werden.

Es scheint, dass viele Deutsche der Ansicht sind, sie dürften nicht mehr offen sagen, dass „Juden und Ausländer an allem Schuld” sind. Halt, stopp, sie dürften „nichts Schlechtes über Ausländer sagen”, so war’s. Das ist natürlich was anderes. Dabei darf man durchaus sagen, dass Ausländer an allem schuld sind, man muss halt damit leben, dass man Rassist genannt werden darf. Meinungsfreiheit hat immer zwei Seiten. Viele von denen, die glauben, es gäbe keine Meinungsfreiheit mehr, wollen Widerspruchsfreiheit, und zwar die Freiheit von Widerspruch.

Das Schöne ist ja: Zur Meinungsfreiheit gehört auch die Freiheit, keine Meinung zu haben. Posten Sie im Internet nur noch Positives und sagen Sie Sätze, die niemand von Ihnen erwartet: „Vielleicht hast Du recht.“ „So habe ich das noch nie gesehen.“ Und dann machen Sie was ganz Verrücktes: Sie denken nach, bevor Sie reden. Ich wette: Das Leben wird viel angenehmer sein danach.

Foto: © Frank Eidel