Sprechen mit Händen: Eine Gehörlose will gehört werden Szene | 01.01.2020 | Till Neumann

Wie Musik klingt? Weiß sie nicht. Wie Vögel zwitschern oder Bäume rascheln? Hat sie nie mitbekommen. Vermissen tut Zrinka Bebic solche Geräusche dennoch nicht. Warum? Das verrät die 38-Jährige dem chilli. Gerade war die Freiburgerin dreimal auf einem Podium im Nachtleben. Jetzt plant sie ihr eigenes Bildungsprojekt.

Beim Interview geht es Zrinka Bebic wie so oft im Leben: Zu gerne würde die Frau mit den langen braunen Haaren direkt mit ihrem Gegenüber sprechen. Doch dazu müsste dieser Gebärdensprache beherrschen. Das können nur wenige. Eine Dolmetscherin hilft weiter: Bea Blumrich übersetzt Bebics Gesten in Windeseile in Wörter.

Gehört hat Bebic noch nie. Von Geburt an ist sie taub. Ein Leben ohne Ton und Musik? Für die Freiburgerin ist das normal. „Ich kann nicht vermissen, was ich nicht kenne“, erzählen ihre fliegenden Finger. Sie lacht. Die Frage hat sie unzählige Mal beantwortet. Nur für Menschen, die erst später taub werden, sei das ein Problem.

Auf Technopartys ging Bebic früher regelmäßig. Nicht um zu hören, sondern um zu fühlen: „Ich spüre die Vibrationen.“ Behindert fühlt sie sich nicht. „Warum auch? Ich kann ja alles machen“, sagt die Frau mit den wachen Augen. Rund 30 Prozent des Gesprochenen kann sie von den Lippen ablesen. Wörter wie „Hauptbahnhof“ seien einfach. Andere wiederum müsse man ihr aufschreiben.

Wörter kommen nicht aus ihrem Mund, aber Töne. Die kann sie steuern. Als Kind lernte sie das beim Logopäden. „Im Alltag muss ich meine Stimme einsetzen“, erklärt sie. Nur rund 30 Gehörlose gibt es in Freiburg. Etwa 250 im Umland. Fast kein Hörender spreche fließend Gebärdensprache. Einzelkämpferin ist sie daher oft. Auch im Job. Seit 15 Jahren arbeitet sie als Industrieelektronikerin bei einer Firma.

Hört mit ihren Augen: die Industrieelektronikerin Zrinka Bebic

Dort prüft sie Teile von Flugzeugen, Schiffen oder Hubschraubern auf Fehler. Vor allem am Anfang sei das hart gewesen: „Ich bin ein zurückhaltender Mensch, aber man muss auf Menschen zugehen“, erzählt sie. Am schlimmsten dabei: „Man bekommt alle Infos immer als Letztes mit.“ Notfalls zückt sie ein Papier, schreibt etwas auf. Das Übersetzen dauert, manchmal ärgert sie das.

Bebic hat gelernt, mitzuhalten. „Ich sehe viel, begreife, wenn etwas gesprochen wird.“ Bei der Fehlersuche entdecke sie immer mal wieder Dinge, die anderen entgehen. „Die Kollegen fragen mich auch mal nach meiner Meinung.“ Eine hart erkämpfte Anerkennung. Gelernt hat sie das schon als Kind. Als einzige Gehörlose ihrer Familie tanzte sie aus der Reihe. „Meine Eltern waren anfangs geschockt“, erinnert sie sich. Habe im Haus aufgeräumt werden müssen, sei zuerst ihre Schwester gefragt worden. „Ich wollte das auch machen“, erzählt Bebic. Also hat sie ungefragt mitangepackt. „Ich wollte die Mauer durchbrechen, man muss einfach Initiative zeigen, auch wenn es anstrengend ist.“

Ihr Traum wäre, dass mehr Leute Gebärdensprache sprechen. Ihre Arbeitskollegen hat sie oft darum gebeten. Ohne Erfolg. Um etwas anzustoßen, hat sie zuletzt bei der Freiburger Veranstaltungsreihe „Zuhause in zwei Welten“ Einblicke in ihr Leben gegeben. Sie erzählte von sprechenden Händen, Gebärdenpoesie und beantwortete Fragen aus dem Publikum.

2020 möchte sie in Freiburg einen Workshop anbieten. Hörende sollen dabei Selbsterfahrungen sammeln, wie es ist im Großstadtdschungel ganz ohne Geräusche.
In dem kommt sie problemlos klar. Auch mit dem Rad. Ob sie keine Angst habe, heranrasende Autos nicht zu hören? „Andere fahren Fahrrad mit Kopfhörern und kommen auch heil ans Ziel“, kontert Zrinka Bebic. Das Einzige, was sie vom Velo abhält, ist Regen. Dann beschlägt ihre Brille.

Fotos: © Till Neumann