Totgeglaubte klingen länger – Freiburger Studierende wollen Latein-Stammtisch Szene | 19.11.2022 | Pascal Lienhard

Leon Wirtz (l.) und Henry Böge vor einer Tafel mit Lateinischen Wörtern Sprechen wie Cicero: Leon Wirtz (l.) und Henry Böge von Studia Latinitatis

Henry Böge gibt seinem Gegenüber recht: „Recte dices!“ Was ist das für eine Sprache, in der sich die Freiburger Studenten unterhalten? Die Antwort wird vielen einen Schauer über den Rücken jagen: Die beiden sprechen Latein – und das wöchentlich. Selbst einen lateinischen Stammtisch könnte es bald geben.

Lateinische Bruchstücke kennen die meisten. Die einen werfen beim Alkoholgenuss mit Weisheiten um sich (In vino veritas), andere setzen sich nach einem erfolgreichen Tag mit Cäsar gleich (Veni, vidi, vici), wieder andere wollen jeden Tag leben, als wäre es der letzte (Carpe diem; Memento mori).  Aber die Sprache tatsächlich aktiv sprechen? Das trauen sich selbst die wenigsten Abiturient·innen mit Latinum zu. Wozu auch, wenn man nicht gerade Papst werden möchte?

Eine Initiative an der Albert-Ludwigs-Universität sieht gute Gründe darin, Latein zu lesen, zu schreiben und zu sprechen – für sie ist es keine „tote“, sondern eine „eingefrorene“ Sprache. Vor rund sieben Jahren ist das Projekt „Studia Latinitatis“ mit regelmäßigen Treffen und Lektüregruppen entstanden. Seit 2018 wird ein Tutorat für Latein-Erstis angeboten. In diesem Semester leitet Henry Böge den Kurs. Aktiv Latein zu nutzen, ist für den Latein- und Griechisch-Studenten weder reiner Selbstzweck noch spleeniges Hobby. Vielmehr ließe sich die Sprache so besser meistern. „Wenn ich Latein aktiv spreche, kann ich mir das Übersetzen als Zwischenschritt irgendwann sparen“, glaubt der 29-Jährige. So werde die Lesekompetenz signifikant erhöht.

Für Außenstehende wirkt das Tutorat in einem Übungssaal im KGI obskur. Den rund zehn Studierenden werden nicht nur klassische Übungen vorgelegt. Es gibt auch Tipps, wie man es schafft, wie der antike Tausendsassa Cicero zu klingen – der schon über 2000 Jahre tot ist. Statt eines Passworts gibt’s für den Onlinekurs ein „verbum arcanum“.  Texte aus dem Lehrbuch werden vor dem Kurs nachgespielt, Böge singt ein Lied auf Latein. Die Teil-nehmer·innen werden aufgefordert, selbst kurze Geschichten auf Latein zu erstellen.

In deutschen Pädagogik-Kreisen ist eine so aktive Nutzung der Sprache selten. „Schulen und Institute mahlen da sehr langsam“, findet Doktorand Leon Wirtz, der „Studia Latinitatis“ mitgegründet hat. Auch an der Uni spiele das aktive Sprechen des Lateinischen keine Rolle, der Kurs ist daher für die Studierenden keine Pflicht.

Doch Wirtz und Böge, die sich auch im Unialltag oder auf Skype gerne mal auf Latein unterhalten, sind mit ihrer Faszination für die Sprache der alten Römer nicht allein. Latein erlebt aktuell ein kleines Revival. Da ist zum einen die Netflix-Serie „Barbaren“, in der die Römer die Sprache sprechen – zum Glück mit Untertiteln. Inzwischen gibt es nicht nur lateinische Asterix-Comics, auch die „Tribute von Panem“ sowie die Abenteuer des berühmtesten Zauberlehrlings haben emsige Philologen übersetzt. Vielleicht ist die Lektüre von „Harrius Potter Et Philosophi Lapsis“ ja angenehmer als die der „Epistulae morales ad Lucilium“ von Seneca?

Andernorts gibt es sogar Stammtische, an denen nur auf Latein kommuniziert wird. „So einen würde ich auch gerne in Freiburg einführen“, sagt Böge. „Vielleicht als gemeinsamer Besuch in der Mensa.“ Aber nicht wie anderswo als kurioser Spaß, sondern als weiteres Mittel zum Spracherwerb. In Milchreis veritas? Vielleicht wird der lateinische Sprichwortschatz so ja um ein paar Begriffe reicher.

Foto: © Pascal Lienhard