Bürokratie-Wildwuchs gefährdet Standort: IHK-Bürokratie-Umfrage 2024: „Alarmierende Signale“ Verbände | 11.07.2024 | Lars Bargmann

Zähe Genehmigungsverfahren und kleinteilige Dokumentationspflichten werden immer mehr zum Hemmschuh für die deutsche Wirtschaft – und zu einem echten Standortnachteil. Laut der aktuellen IHK-Bürokratie-Umfrage für die Region Stuttgart hat die Belastung nach Einschätzung der Unternehmen erheblich zugenommen. Zwei Drittel der teilnehmenden Unternehmen hinterfragen inzwischen ihr Engagement in Deutschland. „Die Ergebnisse dieser Studie sollten auch die Letzten wachrütteln“, sagt Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein.
Laut den Angaben von rund 600 Unternehmen hat sich der Bürokratieaufwand in den vergangenen fünf Jahren noch einmal deutlich erhöht. Lag bei der Bürokratie-Umfrage 2019 der Durchschnittswert auf einer Skala von 1 bis 10 (1: keine Belastung, 10: sehr starke Belastung) noch bei 5,3, stieg er jetzt auf 7,8. Nur Zyniker würden wohl behaupten: Da ist noch Luft nach oben.
Von allen Unternehmen, die einen weiteren Standort im EU-Ausland haben, bewerteten fast 78 Prozent die dortige Belastung als niedriger oder sogar viel niedriger. „Das überrascht mich nicht“, sagt Salomon. Denn der deutsche Gesetzgeber nehme es bei der Anwendung des EU-Rechts nicht nur „besonders genau“, sondern setze sogar noch einen drauf: „Diese Praxis wird immer mehr zum Wettbewerbsnachteil für unsere Unternehmen und gefährdet den Wirtschaftsstandort.“
Elf Stunden die Woche für Bürokratie
36 Prozent der befragten Unternehmen bereuen aufgrund des hohen Bürokratieaufwands sogar inzwischen ihr Engagement in Deutschland. Ein Drittel ist unsicher, ob sie sich noch einmal in Deutschland niederlassen würden. „Das sind alarmierende Signale“, sagt Salomon, „unsere Unternehmen müssen endlich entlastet werden, der Wildwuchs an Bürokratie muss ein Ende haben.“
Sechs von zehn Unternehmen gaben an, die Wertschöpfung um mindestens zehn Prozent steigern zu können, wenn sich die bürokratischen Anforderungen auf ein notwendiges Minimum reduzieren ließen. Kleinere Betriebe benötigten für das Erledigen der Verwaltungs- und Dokumentationspflichten im Schnitt fast elf Stunden pro Woche. Allein dafür sei oft zusätzliches Personal erforderlich. 71 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, zusätzliche Mitarbeiter eingestellt zu haben. Fast jeder (88 Prozent) muss inzwischen externe Dienstleister bezahlen.
Die Industrie- und Handelskammern fordern seit Jahren, dass Verwaltungsprozesse digitalisiert, Verfahren beschleunigt, die Vielzahl an Datenschutzvorschriften reduziert werden – und dass die zuständigen Behörden klarer und schneller kommunizieren.
Salomon steht seit vergangenen Oktober zudem an der Spitze des Normenkontrollrats und soll im Auftrag von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim Bürokratieabbau auf Landesebene mithelfen. Das Gremium hat sich unlängst in einer Untersuchung mit der Frage beschäftigt, wie sich Förderprogramme, die der Wirtschaft zugutekommen, vereinfachen lassen. „Das Land hat eine Vielzahl an Förderprogrammen“, sagt Salomon. „Doch die Anträge sind so zeitaufwändig und kompliziert, dass viele Unternehmen lieber auf das ihnen zustehende Geld verzichten.“
Die Untersuchung hat ergeben, dass 40 Prozent des bürokratischen Aufwands bei den Antragstellern wegfallen könnten. Eine große Erleichterung wäre dabei allein schon die Einführung einer verständlichen Sprache.
Foto: © Michael Bode IHK SO