Zu viel Lärm am Augustinerplatz: die erfolgreichen Kläger im Interview STADTGEPLAUDER | 19.12.2018 | Till Neumann

Am Augustinerplatz ist es nachts zu laut, das Rathaus muss für Ruhe sorgen. Das hat das Verwaltungsgericht Freiburg im Dezember entschieden. Erzwungen haben das Urteil zwei Augustinerplatz-Anwohner: Doris Morawe (67) und Karlheinz Ruf (69) . Beide sind selbst Juristen. Im Interview mit Till Neumann erzählen sie von Pöbeleien, Beleidigungen und neuer Hoffnung. Mit dabei ist auch Daniela Lanig (51), Ehefrau von Karlheinz Ruf.

chilli: Hallo zusammen, wie haben Sie heute geschlafen?

Lanig: Im Moment werden keine Fahrradklingeln an die Türe geworfen. Aber es gibt immer Leute, die unten stehen und reden. Die Temperaturen hindern keinen daran. Sie kommen vom Feierling und grölen. Wir wohnen an der ersten Laterne dort – mit dem lautesten Schlafzimmer Deutschlands.

Ruf: Wir klagen nicht wegen normaler Gespräche. Den geregelten Tagesablauf haben wir nie bemängelt. Wir wollen ein natürliches Stadtleben, sind nur gegen Exzesse, Sachbeschädigung und Drogen. Deswegen haben wir uns auf eine Klage ab 24 Uhr verständigt.

Morawe: Auch im Winter gibt es leider Randalierer. Wir können auch jetzt manchmal nicht schlafen.

chilli: Die Polizeiverordnung schreibt ab 22 Uhr Nachtruhe vor.

Morawe: Wir finden das unrealistisch. Es gibt ja die Sommerabende, da hört man es raunen und lachen, das ist schön, das pure Leben. Da dagegen zu sein, war nie unser Ding. Ich habe vier Kinder großgezogen und liebe junge Menschen. Unser Wunsch ist, dass sie dort nicht ihren Müll hinterlassen. Ab Mitternacht ist der Platz ein Mülleimer. Da liegen Pizzaschachteln und leere Flaschen, die weggekickt werden. Das macht Krach.

Lanig: Das ist unglaublich störend. Die Leute sind direkt vor unserem Schlafzimmer, wir hören jedes Wort. Sie wissen da unten einfach nicht, dass man alles mitbekommt.

Ruf: Es ist wie ein Riesenlautsprecher. Einmal hat meine Frau Klopapier runtergelassen.

Lanig: Wenn wir rufen, hören sie das einfach nicht, obwohl sie direkt am Haus sitzen. Da werden jede Menge Sexgespräche geführt. Als das Klopapier kam, haben sie uns bemerkt. Ich habe ihnen erzählt, was sie sich gerade erzählt haben. Das war ihnen hochnotpeinlich, sie sind abgerückt.

Bringt offenbar wenig: Die Säule der Toleranz am Augustinerplatz in Freiburg

chilli: Frau Lanig, was meinen Sie mit Fahrradklingeln, die ins Fenster fliegen?

Lanig: Letzten Sommer gab es den Scherz, Deckel von Fahrradklingeln auf unser Fenster zu werfen, um zu sehen, wer das Fensterkreuz trifft.

chilli: Die Fenster gehen dabei kaputt?

Lanig: Ja. Sie haben auch mal eine Palme angezündet. Durch den Wind ist unser Vorhang rausgeweht und hat Feuer gefangen. Unser Schlafzimmer wäre fast abgebrannt. Außerdem werden immer wieder Flaschen zerdeppert. Der Platz ist voller Scherben, was schwierig ist für Kinder, Hunde oder Rollstuhlfahrer wie meinen Mann.

Morawe: Ich konnte mit meinem Hund nie zur Dreisam, weil auf dem Augustinerplatz alles voller Scherben ist. Aber das interessiert ja niemanden. Und dann die Säule der Toleranz: Wer soll hier tolerant sein? Feiernde beschimpfen einen immer wieder. Sie sagen: „Verpiss dich, wohn woanders, du Schlampe.“

Lanig: Oder: „Geht ins Altersheim, das ist unser Platz.“

chilli: Sie suchen das Gespräch mit den Feiernden?

Lanig: Ja, wir reden immer wieder mit ihnen. Nur wenn sie nicht hören, hole ich die Polizei. Dann kommt eine süße Polizistin, spricht mit ihnen und sagt uns: „Sie haben sich entschuldigt, wir lassen eine Anzeige fallen.“ Ein typisches Gespräch.

chilli: Wie oft haben Sie die Polizei gerufen?

Lanig: In drei Jahren mehr als 1000 Mal. Nur dreimal wurde etwas mit einer Anzeige verfolgt. Ganz schlimm sind Junggesellenabschiede oder Erstsemester. Die fangen nachmittags an und machen ihre Spielchen bis nachts um 2 Uhr.

Ruf: Vor allem Gruppen machen Probleme. Sie bringen Alkohol mit, glühen mit Gin vor und haben zwei Kisten Bier dabei.

Lanig: Wir wohnen seit 2012 am Südende des Platzes. Einmal haben wir es geschafft, dass ein Mannschaftswagen mit fünf Polizisten gekommen ist. Da nichts passiert war, habe ich mit einer Anzeige gedroht gegen jeden einzelnen Polizisten.

Morawe: Ich wohne seit März 2000 am nördlichen Ende des Augustinerplatzes.

chilli: Haben Sie gewusst, was auf Sie zukommt?

Morawe: Nein. Als es warm wurde, habe ich mir gesagt: Oh Gott, ist das schlimm. Damals waren viele Obdachlose mit ihren Hunden auf dem Platz. Bis zu 40 Hunde. Einmal wurde eine Frau vergewaltigt. Mit solchen Zuständen rechnet man ja nicht, wir kannten eher das Mittags-in-der-Sonne-Sitzen. Nach 18 Jahren kann ich sagen: Unser Problem interessiert die Stadt nicht.

chilli: Warum ziehen Sie nicht aus?

Morawe: Wir haben das Dach vorm Einsturz gerettet. Ich habe das Haus für sehr viel Geld saniert. Das gebe ich doch nicht einfach auf. Ich bin nicht die Person, die einfach aufhört. Als Juristin habe ich mir gesagt: Das muss zu schaffen sein.

Lanig: Auch wir haben nicht gewusst, was auf uns zukommt.

Ruf: Wir kamen aus Waldkirch, dachten, Freiburg sei tolerant. Auf der B31 gibt’s jetzt in Freiburg durchgehend Tempo 30, begründet mit Lärmschutz. Überall wird aktiv was getan, auf dem Augustinerplatz nicht. Jetzt ist aber bewiesen: Mit bis zu 93 gemessenen Dezibel gibt’s bei uns mehr Lärm als bei der Bahn oder an der Bundesstraße.

Lanig: Gefeiert wird bis 5, dann kommt die Müllabfuhr, dann geht die Baustelle los.

Anlass für Ärger: Der Bierverkauf am Platz und Glasscherben auf dem Boden nerven die Anwohner.

chilli: Der Platz der Alten Synagoge hat keine Besserung gebracht?

Ruf: Nein. Der Augustiner bleibt der beliebteste Platz der Stadt.

Lanig: Die Säule der Toleranz ist ja mittlerweile in Touristenführern. Da kommen Touristen, stellen sich nachts um 3 Uhr vor die Säule und brüllen, bis sie rot wird.

Morawe: Ich hoffe, die Säule kommt als Erstes weg. Unsere Klage zielt darauf, die bestehende Polizeiverordnung umzusetzen. Diese hat der Gemeinderat 2009 beschlossen. Aktuell ist der Augustiner ein rechtsfreier Raum. Der Bierverkäufer verkauft an alle, die wollen. Er vergibt sogar Lizenzen zum Flaschensammeln an Familien.

chilli: Jetzt hat das Gericht Maßnahmen gefordert. Eine frohe Botschaft?

Morawe: Es ist sehr schön, dass sich was tut. Ich bin fest überzeugt, dass Einsicht in die Stadt kommt. Wir setzen viel Hoffnung auf OB Martin Horn.

chilli: Die Polizei hat Wichtigeres zu tun, heißt es. Wie kann man das Lärm-Problem in den Griff kriegen?

Morawe: Viele Dinge sind möglich. Der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) muss wieder eingeführt werden und dann schon vor Mitternacht kommen. Wir wissen ja schon um 18 Uhr, wie der Abend verlaufen wird. Wir müssen nachts jemand anrufen können, der dann auch gleich kommt – in Zivil und in Uniform.

Lanig: Wenn Polizisten in Uniform kommen, sind alle ruhig. Nach fünf Minuten ist die Polizei wieder weg und sagt: Es ist alles gut. Kurz danach geht’s weiter.

Morawe: Der Flaschenverkauf muss weg, der Müll muss weg, der KOD kann schon um 18 Uhr kommen. Es muss auch Strafen für Ordnungswidrigkeiten geben. Eine liegen gelassene Pizzaschachtel muss teurer sein als der Inhalt. Auch fürs Flaschenwegkicken sollte es eine Strafe geben. Das Rathaus darf nicht nur Knöllchen an jede Scheibe hängen. Falschparken wird immer bestraft, bei uns passiert nichts. Um 12 Uhr muss der Laden im Griff sein, man darf eben nicht erst um Mitternacht anfangen.

Lanig: Wir haben der Stadt mehrfach Mediationsverfahren angeboten. Das hat sie während des ganzen Verfahrens abgelehnt. Ich habe viele Nächte auf dem Augustiner zugebracht und den Feiernden versucht zu erklären, dass Toleranz keine Einbahnstraße sein kann. Wir sind zur Klage gezwungen gewesen und möchten betonen: Wir wollen eine lebendige Innenstadt, aber nicht um jeden Preis.

Das Augustiner-Urteil

Auf Klage zweier Anwohner – Doris Morawe und Karlheinz Ruf (siehe Interview) – hat das Verwaltungsgericht Freiburg Anfang Dezember entschieden, dass die Stadt zwischen 0 und 6 Uhr auf dem ­Augustinerplatz für Ruhe sorgen muss. Grundlage dafür waren ­Lärmmessungen im Oktober 2017. Die Landesanstalt für Umwelt hat dabei direkt vor dem Fenster des Schlafzimmers von Karlheinz Ruf und Daniela Lanig den Lärmpegel erfasst. Das Ergebnis: Die bei Nachtruhe zugelassenen 45 Dezibel werden überschritten. Sie liegen weit über 62 Dezibel und damit im gesundheitsgefährdenden Bereich.

Das Rathaus hat ab Urteilsverkündung einen Monat Zeit, um in Berufung zu gehen. Im Rathaus heißt es dazu auf chilli-Anfrage: „Die Stadt nimmt das Urteil sehr ernst und berät sich aktuell intern über das weitere Vorgehen. Da das Urteil weitreichende Folgen haben kann, ist ein umfassenderer Abstimmungsprozess notwendig. Über eine Berufung ist noch nicht entschieden. Weder positiv noch negativ.“

Fotos: © tln