„Wahlkampfmanöver vom Minister“: Linksunten-Verbot hat in Freiburg eine Klagewelle losgelöst STADTGEPLAUDER | 17.11.2017 | Tanja Senn

Aufgebrochene Türen, rausgerissene Tresore, geplünderte Kaffeekassen: Am 25. August frühmorgens ab 5.30 Uhr stürmte ein Team des Landeskriminalamts die Räume des Freiburger Kulturtreffs in Selbstverwaltung (KTS) und vier Privatwohnungen.

Ihr Ziel: Die Zerschlagung eines Vereins, der von Freiburg aus die linksradikale Website linksunten.indymedia betrieben haben soll. Während Bundesinnenminister Thomas de Maizière damit „konsequent gegen linksextremistische Hetze im Internet“ vorgehen will, bezeichnet der neu in den Bundestag gewählte Tobias Pflüger (Die Linke) die Aktion als „Wahlkampfmanöver“.

Am 1. September beschlagnahmt das LKA dann noch weitere IT-Infrastruktur. Die Betroffenen gehen mit zahlreichen Klagen gegen die Aktionen und das Verbot vor. Was bleibt ist die Frage: Sind die vom Rathaus geförderte KTS oder das ¡adelante! friedliche Linke Zentren oder Treffpunkte von gewalttätigen Linksextremisten?

In der weiß gestrichenen Wand klafft ein quadratisches Loch, das den Blick auf eine rohe Backsteinmauer freigibt. Hier soll ein Safe gehangen haben. Darin unter anderem Gelder, die die Betreiber der KTS für ein Gerichtsverfahren gegen die GEMA zurückgelegt haben. „Diese Beschlagnahmung ist rechtswidrig“, empört sich die Freiburger KTS-Anwältin Katja Barth. „Wenn Kaffeekassen, die eindeutig der KTS gehören, geplündert werden, hat das nichts mehr mit dem Verbot einer Website zu tun. Das ist ein Angriff auf ein linkes Kulturprojekt.“ Die Autonome Antifa Freiburg, eine der Gruppen, die die KTS nutzen, beziffert den Schaden auf 80.000 Euro.

Der Fall hat bundesweit für Aufsehen gesorgt, schließlich ist es, wie das Bundesinnenministerium (BMI) mitteilt, „das erste Verbot einer linksextremistischen Vereinigung durch einen Bundesinnenminister“. Und genau hier liegt der Knackpunkt: Gab es tatsächlich einen Verein, der die Seite betrieben hat? So wirft Anwalt Sven Adam aus Göttingen die Frage auf, „ob das Bundesinnenministerium das Vereinsrecht missbraucht, um sich eines unliebsamen Nachrichtenportals zu entledigen, welches selbst gar keine Straftatbestände erfüllt hat“. Mit dem Verbot befasst sich mittlerweile nicht nur das Verwaltungsgericht Freiburg, weitere Klagen liegen auch dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Schlagstöcke und Butterfly-Messer: Laut Innenministerium ist auf dem Bild ein Teil der Waffen zu sehen, die bei der KTS-Durchsuchung gefunden wurden.

Allein die Lörracher Anwältin Angela Furmaniak hat Rechtsmittel bei allen drei Gerichten eingelegt. Sie vertritt zwei Betroffene, denen vorgeworfen wird, die Seite linksunten.indymedia betrieben zu haben. Das Verbot der Seite fußt ihrer Meinung nach auf einer „dünnen Grundlage“. Die Behörden hätten sich gezielt aus der großen Masse an völlig harmlosen Beiträgen einige wenige Ausreißer herausgepickt, um das Verbot der Internetseite zu begründen. So hat das Innenministerium einen linksunten-Beitrag veröffentlicht, in dem es etwa heißt: „Im Gegensatz zu Steinen und Flaschen braucht ihr mit einem Böller einen Bullen nicht treffen (…) sondern müsst ihnen das Teil bloß vor die Füße werfen.“ „Ich finde nicht alles gut, was da stand“, sagt Tobias Pflüger. „Aber auf solch einer Grundlage müsste man auch facebook verbieten.“ Den Zeitpunkt der Durchsuchung vier Wochen vor der Bundestagswahl findet er ebenfalls bedenklich: „Das war ein Wahlkampfmanöver von Minister Thomas de Maizière.“

Die Klagewelle geht mittlerweile nicht mehr nur von der linksradikalen Szene aus. Auch die Verfasste Studierendenschaft (VS) der Uni Freiburg hat Rechtsschutz beantragt. Der Grund: Bei einer Durchsuchung sind dem LKA auch deren Verwaltungsdaten in die Hände gefallen. Das BMI hat davon Kopien angefertigt, obwohl der Studierendenschaft kein Zusammenhang mit linksunten vorgeworfen wird. „Eine Fahndung ins Blaue hinein“ und dadurch grob rechtswidrig, ist sich VS-Anwalt Udo Kauß sicher. Auch nach Angaben der Autonomen Antifa Freiburg liegen kaum Belege vor, warum bestimmte Personen dem angeblichen Verein zugeordnet werden. Laut der Gruppe, die sich gegenüber dem chilli nur anonym und als Kollektiv äußern wollte, wurde die Durchsuchung mit „vagen Spitzelberichten“ des Verfassungsschutzes gerechtfertigt. Sie sollen von öffentlichen linksunten-Treffen aus den Jahren 2008, 2011 und 2013 in Freiburg und Tübingen stammen und kaum Informationen über lokale Strukturen enthalten.

Dennoch: Landesinnenminister Thomas Strobl zeigt sich in seiner Antwort auf eine CDU-Anfrage sicher, dass sich in der KTS Gruppen treffen, „die dem linksextremistischen gewaltorientierten Spektrum zuzuordnen sind“. Die Waffen, die bei den Durchsuchungen gefunden wurden (siehe Bild), scheinen den Vorwurf zu stützen.

Gleiches gelte auch für das „¡adelante! Linkes Zentrum Freiburg“. Dort trifft die Aussage auf Unverständnis. „Gewalt lässt sich mit unserem Selbstverständnis nicht vereinen“, stellt Lisa Zeiger von der Antifaschistischen Linken klar. Die Gruppe trifft sich regelmäßig in dem Zentrum in der Glümerstraße. „Von uns gehen keinerlei Eskalationen aus“, erklärt Gruppensprecher Nils Bornstedt. „Aber natürlich schützen wir unser Recht auf eigene körperliche Unversehrtheit.“ Die Gruppe sei auch zu den G20-Demonstra­tionen in Hamburg gefahren – für einen friedlichen Protest, beteuert der 25-jährige Student. Born­stedt und Zeiger sind auch nicht damit einverstanden, wie die Medien über die Vorfälle berichtet haben. Der „unverhältnismäßige Polizeieinsatz“ habe nur am Anfang der Berichterstattung eine Rolle gespielt. Dass Polizisten friedliche Demos niedergeprügelt hätten, sei kaum erwähnt worden.

Ist die Skepsis gegenüber der linksradikalen Szene nach G20 oder linksunten gestiegen? Im Gegenteil. Nach dem linksunten-Verbot seien vermehrt neue Leute zu den offenen Treffen gekommen, berichtet die 28-Jährige. Auch das Erstarken der Rechten durch den Wahlerfolg der AfD habe dabei eine Rolle gespielt.

Zahlen & Fakten: KTS

Den Kulturtreff in Selbstverwaltung gibt es seit 1994. Laut Landesinnenministerium ist es Baden-Württembergs einziges rein autonomes Zentrum, „da dieses Objekt nahezu ausschließlich von linksextremistischen Gruppierungen betrieben und genutzt wird“. Die KTS wird von der Verwaltung mit jährlich 282.000 Euro gefördert. Stadtsprecherin Martina Schickle begründet das damit, dass das Zentrum das kulturelle Leben in Freiburg bereichert: „Dabei richten sich gerade diese Zentren oft an Zielgruppen, die sich nicht unbedingt mit den Angeboten der städtischen und/oder der traditionellen Kultureinrichtungen wie Museen und Theatern identifizieren.“ Auf Grundlage des Polizeiberichts soll jedoch geprüft werden, „wie die Stadt weiterhin mit der KTS umgeht“.

Zahlen & Fakten: Linksextremismus

Laut Verfassungsschutz ist die Zahl der gewaltorientierten Linksextremisten in Baden-Württemberg von 680 Personen im Jahr 2012 auf 820 in 2017 angestiegen. Wie eine chilli-Anfrage zeigt, hat die Zahl der Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund in Freiburg und dem Breisgau dabei sogar abgenommen. So wurden 2012 noch 52 Straftaten erfasst, 2016 waren es 47. Ausreißer wie im Jahr 2013 (120 Straftaten) lassen sich laut Polizeipräsidium Freiburg mit einzelnen Ereignissen erklären, bei denen es zu einer Vielzahl von Strafverfahren kam – wie Gegendemonstrationen der linken Szene.

Fotos: © tas; LKA Baden-Württemberg; Bundespolizei