Weltliteratur am Stammtisch: Bei der Tertulia Freiburg wird zweisprachig gelesen und diskutiert STADTGEPLAUDER | 07.05.2021 | Erika Weisser

Tertulia Stammtisch Tertulia: Der zweisprachige literarische Stammtisch findet in Kneipen, Bars, Cafés oder Gemeindesälen statt – oder ganz zwanglos mit Picknick im Park.

Tertulia Freiburg ist ein junger und kleiner, doch sehr aktiver Verein: In den fünf Jahren seines Bestehens haben die etwa 20 Mitglieder mehr als 50 kulturelle und gesellschaftspolitische Treffen und Veranstaltungen organisiert – vorwiegend literarische. Regelmäßig kommen sie zusammen, um sich klassische und moderne spanischsprachige Literatur zu erarbeiten und sich darüber auszutauschen.Und oft laden sie dazu international bekannte Autoren ein. Unter den Gästen war etwa der vor einem Jahr verstorbene Priester und Dichter Ernesto Cardenal.

Anfangs trafen sie sich bei einem Glas Wein in Kneipen – entsprechend ihrer historischen Vorbildern: Als Tertulia, sagt die Vereinsvorsitzende Yaosca Padilla de Roth­mund, bezeichnet man die künstlerisch intellektuellen Stammtische in Bars und Cafés, die vor etwa 100 Jahren in Spanien und Lateinamerika sehr verbreitet waren. Im Lauf der Zeit hatten diese Freiburger Tertulias jedoch so viel Zulauf, dass sie in Gemeindesäle oder Versammlungsräume befreundeter Hausgemeinschaften verlegt wurden. 50 bis 60 Leute, sagt sie, seien bei den letzten literarischen Treffen vor dem Lockdown dabei gewesen, und „nicht immer die gleichen“.

In Freiburg, schätzt sie, gibt es über 5000 Menschen, die Spanisch sprechen, oft auch als Zweit- oder Drittsprache. Über den Tertulia-Newsletter würden etwa 300 Leute aus 15 Ländern erreicht. „Das ist nur in einem Einwanderungsland möglich, dass so viele Nationalitäten in einer Stadt zusammenkommen“, findet die Lehrerin, die aus Nicaragua stammt. Dieser Internationalismus, erzählt sie, habe den Vorstand des seit 2020 eingetragenen Vereins dazu bewogen, ein interkulturelles Projekt anzugehen: Literatura y Migración.

Nach Padilla de Rothmunds Angaben dient es „dem Austausch über Migrationserfahrung mithilfe literarischer Werke“ und wird von „bwirkt!“, einer Landesstiftung für entwicklungspolitische Inlands­projekte, finanziell gefördert. Voraussetzung: Die Hälfte der Teilnehmer müssen Deutsche sein. Denn außer um Literatur soll es auch um die Vermittlung der Tatsache gehen, dass „jeder Mensch mit Einwanderungsgeschichte außer seiner Herkunft noch viele andere und ganz eigene Identitätsmerkmale hat“.

Beim Projekt werden auch die Werke „Volverte Palestina“ von Lina Meruane und „Vallejo“ von Cervantes-Preisträger Sergio Ramírez gelesen, der aus seiner Zeit in Berlin erzählt. Dann wird zweisprachig in verschiedenen – virtuellen – Treffen mit den Autoren und dem renommierten Übersetzer Lutz Kliche diskutiert.

Foto: © Tertulia Freiburg