Wenn die Boombox ballert: Bluetooth-Anlagen erhitzen am Seepark die Gemüter STADTGEPLAUDER | 15.05.2022 | Till Neumann

Der Freiburger Flückigersee Tagsüber idyllisch, nachts oft richtig laut: das Seepark-Gelände

Das Areal rund um den Flückiger See ist in Corona-Zeiten zum Hotspot der Feiernden geworden. Vor allem auf der StuSie-Wiese im Seepark geht es nachts hoch her. Anwohnende klagen über den zunehmenden Lärm durch Bluetooth-Boxen. Die Fraktionen wenden sich mit einem offenen Brief ans Rathaus und die Polizei. Die Stadtverwaltung prüft ein Boombox-Verbot ab 22 Uhr.

Anwohnende können mitsingen

„Die Situation für die Anrainer ist wirklich krass“, sagt Stephan Schleith. Der Vorsitzende des Bürgervereins Betzenhausen-Bischofslinde sorgt sich um das Wohl der Betroffenen: „Die Lärmfrequenz nimmt gesundheitsgefährdende Ausmaße an.“ Kern des Ärgers seien tragbare Bluetooth-Boxen, die immer leistungsstärker werden.

Gerade auf der weitläufigen Wiese im Osten des ehemaligen Bundesgartenschaugeländes treffen sich in lauen Nächten junge Menschen. Auch die Kinder des Bürgerverein-Vertreters ziehe es dort hin. „Heute haben sie halt den Leiterwagen dabei mit einer fetten Box“, erzählt Schleith. Bis drei Uhr morgens könne man als Anwohner die Lieder mitsingen. Schlafen sei bei offenem Fenster unmöglich. Nicht nur in der ersten Anwohnerreihe – auch in der zweiten.

Im Januar 2021 war er bei einem Treffen mit Anwohnern. 55 seien da gewesen und hätten ihr Leid geklagt. Anfang 2022 lud das Grünen-Mitglied zu einem runden Tisch mit Vertretern der Gemeinderatsfraktionen ein und kann sagen: „Wir sind uns einig, man muss was machen.“ In einem offenen Brief hat sich nun Anfang April ein breites Gemeinderat-Bündnis an Oberbürgermeister Martin Horn und Polizeipräsident Franz Semling gewandt. Im Schreiben von CDU, Grüne, Freie Wähler, SPD-Kulturliste und FDP/BfF berichten die Fraktionen von „nächtlichen Ruhestörungen“ und fordern ein Gesamtkonzept. „Wir sehen sofortigen Handlungsbedarf“ heißt es. Insbesondere wegen der unverhältnismäßig lauten Musikboxen.

»Krasse Frechheit«

Alarmstufe Rot – die sieht auch Stephan Schleith: „Es ist eine krasse Frechheit, dass die Stadtverwaltung keinen Vorschlag bringt.“ Für den 50-Jährigen ist die Lösung klar: „An neuralgischen Punkten gehören die Boxen verboten“. Beispielsweise ab null Uhr. Die CDU-Vorsitzende Carolin Jenkner formuliert es anders, geht aber in eine ähnliche Richtung: „Die Rechtslage ist klar, die Geräte sind nachts nicht erlaubt.“

Für sie geht es darum, geltendes Recht anzuwenden: „Das Problem ist nicht, dass Regelungen fehlen, das Problem ist der Vollzug.“ Feiernde würden von der Polizei oder dem Vollzugsdienst angesprochen. Erst drehten sie leiser, dann wieder auf. Das müsse Konsequenzen haben: „Die Polizei könnte die Boxen beschlagnahmen“, sagt Jenkner.

Erwachsener Mann mit umgehängter Boombox auf der Schulter

Krachmacher: Tragbare Musikboxen sind am Seepark Grund für Ärger. Auch im Forsthaus (u.).

Der Freiburger Polizei ist das Lärmproblem bekannt: „Derzeit erarbeiten wir ein Einsatzkonzept“, sagt Sprecher Stefan Kraus. Ziel sei ein koordiniertes und gleichgelagertes Einschreiten. Er verweist aber auch auf beschränkte Kapazitäten. Das könne bei entsprechender Einsatzlage dazu führen, dass keine Streife zur Verfügung steht, wenn es laut ist. Konfisziert hat die Polizei solche Boxen oder Musikanlagen bereits, berichtet Kraus: „In der Regel gingen dem Ansprachen und Androhungen voraus, dass bei nicht Lautstärkenreduzierung die Gerätschaft beschlagnahmt wird.“

Kampf gegen Windmühlen

Auch der Vorstand der Studentensiedlung (StuSie e.V.) ist nah dran. Kevin Rötzer bestätigt: Der Lärm hat mit dem Aufkommen der Bluetoothboxen zugenommen. Für ihn sind die bisherigen Aktionen der Polizei ein Kampf gegen Windmühlen: „Sie räumen die gesamte Wiese, nach einer halben Stunde ist sie wieder voll.“ Die Anlage der hauseigenen Partylocation hätten sie wegen Anwohnerbeschwerden vor Jahren umgebaut. „Die Tieftöner strahlen vom Seepark weg“, berichtet der 30-Jährige. Das habe viel Geld gekostet, aber gewirkt.

Einen ganzen Ordner mit Unterlagen zum Lärmproblem am Seepark hat Hans-Gerd Leonhardt angelegt. Der 66-Jährige lebt seit Mitte der 80er-Jahre an der Brandensteinstraße, nur einen Katzensprung vom Seeufer entfernt. Für schlaflose Nächte sorgt bei ihm der Lärm aus dem nahe gelegenen Forsthaus (Foto unten). „Das Thema ist abendfüllend“, schimpft er. Bei einer Stadtteilbegehung war er zu später Stunde mit OB Martin Horn im Forsthaus. Im Schein zweier Taschenlampen habe er vom Problem berichtet – und um eine Lösung gebeten. „Ich wollte ihm zeigen, man kommt da nachts einfach rein“, sagt Leonhardt. Für ihn gehört das Forsthaus zu später Stunde ordentlich verriegelt.

„Die Hilflosigkeit ist unsäglich“

Fast jeden Abend während der Ferien werde dort gefeiert. „Ramba Zamba bis halb 4“, sagt der hauptberufliche Konfliktmanager. Er schlafe schon lange auf der Seite weg vom See. Seine Frau nicht ohne Ohrenstöpsel. Auch Obdachlose hätten monatelang im Forsthaus gelebt – und jede Nacht Krach gemacht. Zudem sei vor vielen Jahren vom Forsthaus aus auf eine Laterne scharf geschossen worden, Vandalismus gegen Bänke, Bäume oder Kunst gebe es regelmäßig. Seine Liste ist lang.

2019 hat er einen „Großangriff“ gestartet, um Druck zu machen. Er trommelte die Anwohner seiner Straße zusammen für eine gemeinsame Aktion. Gebracht hat es nichts. Am Problemmanagement des Rathauses lässt Leonhardt kein gutes Haar: „Die Hilflosigkeit und Konzeptlosigkeit dieser Stadt ist unsäglich.“ Er versteht nicht, wie man das so maximal ins Leere laufen lassen könne. Auf seine Schreiben an alle Dezernate erhalte er in der Regel keine oder spät Antwort, und die sei dürftig.

Auch auf die Polizei ist er nicht gut zu sprechen: „Wenn man anruft, sagen sie, sie schicken eine Streife, wenn was frei ist – dann kommt keiner.“ Er habe die Versuche mittlerweile aufgegeben. Andere Nachbarn würden es noch probieren.

Forsthaus in Freiburg

Auch hier wird gefeiert: das Forsthaus am Seepark-Ufer. Ein Anwohner dokumentiert die Lage seit Jahren.

Auch Leonhardt fordert ein konsequenteres Vorgehen gegen Störenfriede. Zum einen möchte er, dass das Forsthaus nachts so abgeschlossen werden kann, dass keiner reinkommt. Zum anderen wünscht er sich Strafen für die, die sich nicht an die Regeln halten. Am liebsten würde er das bei einem runden Tisch mit den Verantwortlichen im Rathaus besprechen. Doch auch der Wunsch sei bislang verhallt.

„Braucht Worte, die verstanden werden“

Lösungsvorschläge haben die Grünen auf den Tisch gelegt. In einem Positionspapier zu Konflikten auf Freiflächen wie dem Seepark haben sie Ideen präsentiert. Sie fordern unter anderem den Einbezug junger Menschen bei der Umgestaltung von Freiflächen – „insbesondere von Mädchen und jungen Frauen“. Außerdem wollen sie eine schnelle Aufwertung von Eschholzpark, Stühlinger Kirchplatz, Dreisamwiese und Mensawiesen. Hilfreich fänden sie auch ein sozialarbeiterisches Konfliktmanagement als ersten Schritt in Konfliktfällen. Orientieren könne man sich dafür am Allparteilichen Konfliktmanagement in München (AKIM).

Auch Carolin Jenkner findet den Vorschlag gut. „Es braucht Worte, die verstanden werden.“ Coolness und Toughness seien dafür gefragt. Stephan Schleith vom Bürgerverein hält das ebenfalls für vielversprechend. Der Eskalationspunkt sei erreicht: „Es geht nicht mehr.“

Bis ein Konzept des Rathauses vorliegt, könnte es noch dauern. Es soll „vor der Sommerpause“ in den Gemeinderat gebracht werden, teilt Sprecher Toni Klein mit. Bis zur Umsetzung solle es Kontrollen durch den städtischen Vollzugsdienst geben – im Rahmen der bestehenden Ressourcen.

Rathaus prüft Verbot

Im zu erarbeitenden Papier soll es nicht nur um den Seepark gehen: „Der Spagat zwischen Platznutzern und Anwohnern muss von gegenseitigem Respekt und Rücksichtnahme getragen werden“, sagt Klein. Die Abstimmungen mit der Polizei seien im Gange. Eine Einschränkung für Musikboxen gebe es bereits in der Polizeiverordnung. „Sie dürfen nicht so laut betrieben werden, dass Unbeteiligte erheblich belästigt oder gestört werden“, erklärt Klein. Zudem dürfe ab 22 Uhr die Nachtruhe nicht gestört werden. Ein weiterer Schritt wird dennoch erwogen: „Um alle Möglichkeiten zu nutzen und den Vollzug zu vereinfachen, prüfen wir die Möglichkeit, das Mitführen von Musikanlagen nach 22 Uhr zu untersagen.“

19 schriftliche Beschwerden hat das Amt für öffentliche Ordnung 2021 erhalten. Die Anwohnenden klagen darin über Lärm. „Die dauerhafte Störung der Nachtruhe empfinden sie als massive Gefährdung ihrer Gesundheit“, berichtet Klein. Auch weitere Ordnungsstörungen würden beklagt. Dazu gehören liegengelassene Abfälle, gelegentlicher Qualm und Rauch durch Grillen und wildes Verrichten der Notdurft.

Fotos: © Till Neumann & pixabay.com

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