Wenn Pfefferspray nicht mehr hilft: Bewaffnung des Vollzugsdienstes mit Schlagstöcken Politik & Wirtschaft | 19.10.2020 | Julian Bindi

Vollzugsdienst in Freiburg Hilfe in der Not: Ein Mann verliert das Bewusstsein.

In Freiburg wird der Vollzugsdienst der Polizeibehörde (VD) mit Schlagstöcken ausgestattet. Politische Jugendorganisationen protestieren, und im Gemeinderat ist die Mehrheit gegen die Aufrüstung. Oberbürgermeister Martin Horn und die Behörde können die Aufregung nicht verstehen.Die Vollzugsbeamten seien nachts großer Gefahr ausgesetzt. chilli-Autor Julian Bindi hat zwei Ordnungshüter auf ihrer nächtlichen Route begleitet.

Freitagabend schwärmen junge Leute in die Gassen von Freiburg. Die Temperaturen sind heute besonders mild, die Stimmung ausgelassen. Ein voll besetztes Auto heizt über den Schlossbergring, die Insassen grölen. Ein Mann tritt gegen eine Straßenlaterne.

Für Ramon Oswald und Andreas Struschka gibt es derzeit wenig zu feiern. Die beiden sind Mitarbeiter des Vollzugsdienstes. Ihre Route führt sie über den Augustinerplatz, den Stühlinger Kirchplatz und den Platz der Alten Synagoge: Vor vier Wochen gab es an dem Hotspot eine Schlägerei, Flaschen flogen. Über die Behörde wird in Freiburg seit Wochen heftig gestritten. Immerhin sollen die Mitarbeiter ab November erstmals mit dem sogenannten EKA (Einsatzstock kurz ausziehbar) ausgerüstet werden. Bisher sind sie mit Pfefferspray und Handschellen unterwegs.

Die Schlagstöcke sind nicht frei verkäuflich und bereits im Dienstbüro angekommen und auch ausgepackt. Solange die Stöcke noch im Holster stecken, wirken sie recht unscheinbar. Nach dem Ausziehen eines schwarzen, etwa 50 Zentimeter langen Stockes wird allerdings klar, dass es sich um eine schwere und gefährliche Waffe handelt. Die Mitarbeiter des VD fühlten sich mit den Stangen laut Oswald sicherer: „Es gibt Situationen, die aus dem Nichts eskalieren. Wir können dann nicht einfach weggehen.“ Bei manchen Leuten helfe kein Pfefferspray: „Denen kannst du eine ganze Dose ins Gesicht sprühen.“

Im November 2017 passierte Struschka genau das. Am helllichten Tag lief ein Mann mit gezücktem Messer durch die Innenstadt und bedrohte Passanten. Vor dem Cinemaxx in der Bertoldstraße gab ein Polizist daher einen Warnschuss ab. Struschka wurde von dem psychisch Kranken in einen Hauseingang gedrängt. Sein Pfefferspray blieb gegen den Angreifer wirkungslos. Es verletzte stattdessen seine Kollegen. Er konnte sich schließlich in den Hausflur retten: „Auf einmal hatte der ein Messer in der Hand. Ich habe mich echt gefragt, ob ich aus der Nummer noch rauskomme.“ Schließlich wurde der Täter von einem Landespolizisten mit genau so einem Schlagstock entwaffnet, den nun auch der Vollzugsdienst bekommen soll.

Es sind seltene Extremsituationen, die bei den Mitarbeitern den Wunsch nach zusätzlicher Bewaffnung ausgelöst haben. Seitdem der Gemeinderat den Vollzugsdienst im November 2018 aufstocken ließ, sind die städtischen Angestellten häufiger nachts unterwegs. „Oft gab es Vorfälle tief in der Nacht mit alkoholisierten Menschen“, sagt Oswald. Die Mitarbeiter baten OB Horn schließlich um die Waffe.

„Mit gezücktem Messer“

Die 19 Einsatzstöcke zu je 155 Euro brachten Horn viel Kritik ein. Der Rathauschef habe beim Kauf den Gemeinderat übergangen, klagen vor allem die politischen Jugendorganisationen Grüne Jugend, Jusos und Junges Freiburg. Horn konterte, dass ihm allein als oberstem Dienstherr der Polizeibehörde die Ausstattung des VD unterläge. Die Mitarbeiter sehen das genauso: „Niemand von uns hat gedacht, dass das solche Wellen schlägt.“ Freiburg sei die einzige Großstadt in Baden-Württemberg, in der die Mitarbeiter des Ordnungsdienstes nicht mit Schlagstöcken ausgestattet seien. „Trotzdem sind wir immer in der Debatte. Ich glaube, da steckt viel Ideologie dahinter“, sagt Oswald.

Im „Bermuda Dreieck“ zwischen Bertold- und Niemensstraße sind die Gassen auch an diesem Abend voll von Feiernden. Die Mitarbeiter des VD kontrollieren, ob Abstände eingehalten werden. Vor einer Bar lösen Oswald und Struschka eine Ansammlung auf. Die Gruppe zögert, beobachtet die beiden Ordnungshüter. Schließlich verteilen sie sich aber klaglos. Oswald bittet den Türsteher darum, die Hygienevorschriften besser umzusetzen. Aggressiven Betrunkenen begegnen die Vollzugsdienstleute in dieser Nacht nicht.

Die Reaktionen junger Menschen auf den VD sind in dieser Nacht überraschend positiv. Trotzdem sind es die Jugendorganisationen, die Gewaltspiralen und Repressionen vonseiten der städtischen Angestellten befürchten. Sie werfen dem Vollzugsdienst vor, nicht im Umgang mit Schlagstöcken ausgebildet zu sein. Allein: Jeder Mitarbeiter muss eine knapp zweijährige duale Ausbildung in Karlsruhe und Freiburg ablegen, bevor er sich Schlagstock und Pfefferspray an den Gürtel hängen darf.

Schlagstock

Für besonderen Unmut in der Polizeibehörde sorgte ein Hashtag der Grünen Jugend: #FCKGVD (Fuck Gemeindevollzugsdienst). „Das verstehen wir nicht und finden es inakzeptabel. Es erschwert unsere Arbeit ungemein. Mehrfach wurden wir von Jugendlichen mit ‚FCKGVD‘ angesprochen. Ein richtiger Einstieg ins Gespräch ist dann nicht mehr möglich“, sagt Oswald. „Die Jugendorganisationen wollen keine ergebnisoffene Debatte, die wollen einfach keinen Schlagstock in unseren Händen.“

Die Grünen sowie die Fraktionsgemeinschaften Eine Stadt für alle und JUPI kritisieren die Bewaffnung. Sie fordern mit den Jugendorganisationen eine ergebnisoffene Debatte und haben nun angekündigt, den VD notfalls über die Haushaltsverhandlungen einzuschränken. Im Gemeinderat hätten sie dafür eine Mehrheit. CDU, AfD und Freie Wählen stehen hinter der Bewaffnung. Sollte es zu einer Abschaffung des VD durch den Gemeinderat kommen, wäre auch die Sicherheitspartnerschaft zwischen Stadt und Land hinfällig. Seit 2017 stellt das Land zusätzliche Polizei zur Verfügung, während die Stadt ihren Beitrag durch den Aufbau des Vollzugsdienstes seit 2017 leistet.

Die Mitarbeiter des VD betreten den Platz der Alten Synagoge. Auf den Steinplatten sitzen viele junge Menschen und trinken Bier, Glasflaschen klirren. Oswald und Struschka werden in Gespräche verwickelt und auffallend respektvoll behandelt. Oswald begegnet den torkelnden Nachtschwärmern mit Humor und Verständnis: „Wir sind Dienstleister für und nicht gegen die Gesellschaft.“ Bei manchen Dingen – etwa beim Wildpinkeln – sei seine Geduld aber schnell aufgebraucht: „Manchmal muss ein Bußgeld sein“, sagt er.

„Der EKA soll nur in Extremsituationen eingesetzt werden. Zum Beispiel, wenn jemand mit einem Messer auf mich zurennt. Das hat mit Repression oder Schikane nichts zu tun“, so Oswald. Der 44-Jährige hat noch eine lange Nacht vor sich: „Wir sind zu schwierigen Zeiten unterwegs, meine Frau liegt jetzt alleine im Bett, aber wir wissen, dass wir einen wichtigen Job machen. Ich will nur gesund nach Hause kommen.“ Kollege Struschka ergänzt: „Dass man so wenig Wertschätzung erhält, das macht etwas mit einem. Das nimmt man auch mit nach Hause.“ Um halb drei legen Oswald und Struschka eine Pause ein. Einen Schlagstock haben die beiden heute nicht gebraucht.

Fotos: © jab