Ein Gashahn und viele Fragezeichen: So reagieren Freiburgs Verwaltung und Badenova auf die Energiekrise Wirtschaft | 15.07.2022 | Philip Thomas und Pascal Lienhard

Häuser der Stadt Freiburg mit Nord Stream 2 Gasleitung

Nach dem Angriff auf die Ukraine hat Wladimir Putin der Bundesrepublik wirtschaftlich den Krieg erklärt und Gaslieferungen massiv gedrosselt. Die Versorgung mit dem Rohstoff über den Winter für Haushalte und Industrie ist nicht gesichert. Beim Energieversorger Badenova und Freiburgs Verwaltung herrschen Ungewissheit und Frust.

„Gas ist von nun an ein knappes Gut in Deutschland“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Ende Juni bei der Ausrufung der „Alarmstufe“ des Notfallplan Gas. Vorausgegangen war eine Drosselung russischer Gaslieferungen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 um rund 60 Prozent. Mit der zweiten Eskalationsstufe will der grüne Minister Gas einsparen, möglicherweise gehen Kohlekraftwerke zurück ans Netz. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sich die Lage zuspitzt“, legte Habeck Tage später nach.

Mit insgesamt 404.037 Strom- und Gaszählern ist Badenova der größte Energieversorger in Südbaden. Ohne Engpass setzte der Konzern im Jahr 2020 insgesamt 15.371 Millionen Kilowattstunden Gas und 1522 Millionen Kilowattstunden Strom ab. Heute ist die Lage an der Freiburger Tullastraße angespannt. Laut Unternehmenssprecherin Yvonne Schweickhardt ist nicht abzusehen, wie sich die Lage entwickelt. Zum Redaktionsschluss am 8. Juli kommt noch ausreichend Erdgas nach Südbaden: „Wir spüren noch keine Einschränkungen bei der Belieferung unserer Kunden.“ Die Lage am Markt sei volatil, die Preisentwicklung sei nicht voraussehbar.

Sicher ist: Industrie und Fabriken im Badenova-Bereich verbrauchten vergangenes Jahr rund elf Terrawattstunden an Gas. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein zählt 64.000 Mitgliedsunternehmen. Was passiert, wenn Gas in Deutschland noch knapper wird und die Bundesnetzagentur die Ressource rationieren muss? Laut Schweickhardt existiert bereits eine Liste von Kunden, die prioritär zu beliefern wären. Dazu zählten private Haushalte sowie Einrichtungen wie Krankenhäuser, die Feuerwehr, Schulen oder Kitas. Auf der anderen Seite müsste der Energieversorger 60 Unternehmen, die jeweils mehr als zehn Megawatt Leistung beziehen, den Hahn zudrehen. 

Wie viel Gas aus Russland in Südbaden verbrannt wird, ist schwer zu sagen. Die Badenova kann nicht nachvollziehen, woher genau ihr Gas stammt. Schweickhardt erklärt, dass Stadtwerke und Regionalversorger ihr Gas von Vorlieferanten kaufen. Diese wiederum kaufen ihre Mengen auf Basis bilateraler Verträge oder an einer Börse wie der European Energy Exchange in Leipzig. 

„Dass ein Großteil des Gases, das in die Netze im Südwesten gelangt, aus Russland kommt, ist zwar wahrscheinlich, quantifizieren kann man das aber nicht“, so Schweickhardt. So manche Megawattstunde Erdgas gehe auf dem Weg von Importeur zu Verbraucher durch zahlreiche Hände. In einigen Transaktionsreihen seien Herkunftsländer nicht mehr zu ermitteln. 

Laut der Sprecherin können sich Gas-Chargen vermischen. „Einzelne Marktakteure haben also keine Chance, bestimmte Herkunftsländer auszusortieren, selbst wenn sie es gerne würden“, erklärt Schweickhardt. „Der Import aus bestimmten Ländern ist nur zu beschränken, wenn die Politik die Lieferungen physisch limitiert.“

Auch bei der Freiburger Verwaltung schrillen die Alarmglocken. „Die aktuelle Lage macht unsere Bestrebungen noch dringender“, betont Sandra Hook, Abteilungsleiterin Klimaschutz und Luftreinhaltung der Stadt Freiburg. Knapp 140 Liegenschaften, rund 500 Gebäude, befinden sich aktuell unter dem Dach des Gebäudemanagement Freiburg (GMF). 

Von 1990 bis zum Jahr 2018 sank der absolute Heizenergiebedarf dieser Bauten zwar um mehr als ein Drittel (36 Prozent), von 2013 bis 2018 stieg der Verbrauch jedoch wieder um sieben Prozent auf 47.385 Megawattstunden. Der absolute Stromverbrauch stieg von 1990 bis 2018 um mehr als 37 Prozent auf 14.446 Megawattstunden. 

»Das fällt uns ganz schön auf die Füße«

„In dieser Zeit sind die Gebäudeflächen der Liegenschaften fast ein Viertel gewachsen“, erklärt Matthias Rausch, Klimaschutzmanager im Freiburger Umweltschutzamt den Anstieg. Neue Schulen, Kindergärten oder Verwaltungsgebäude brachten auch mehr als 133.000 neue Quadratmeter, die beleuchtet und beheizt werden. Obendrauf komme die neue Digitalstruktur.

Zwei Drittel (67 Prozent) der Heizungen liefen laut aktuellem Energiebericht der Stadt Freiburg im Jahr 2018 mit Erdgas. Um Heizöl als Energieträger von 29 Prozent im Jahr 1990 auf 6,5 Prozent zu verdrängen, stieg der Anteil von Gas-Heizungen in den städtischen Gebäuden sogar um zwölf Prozent. Nur wenig fossiles Erdgas wurde durch Biogas oder synthetisches Erdgas ersetzt. „Das fällt uns aus aktueller Perspektive ganz schön auf die Füße“, kommentiert Hook.

Ideal gewesen wäre laut Hook der Wechsel zur Wärmepumpe sowie ein verstärkter Photovoltaik-Ausbau, um diese dann zu betreiben. Rausch schätzt, dass PV-Anlagen auf sämtlichen GMF-Gebäuden acht bis zehn Megawatt bringen könnten. Zum Vergleich: Das Dach des neuen SC-Stadions im Wolfswinkel kommt laut Betreiber auf rund 2,4 Megawatt. Das würde nicht nur Emissionen, sondern auch bares Geld sparen. Das Freiburger Rathaus zahlte bereits 2018 insgesamt 5,8 Millionen Euro für Energie. 2,8 Millionen Euro davon für Wärme. 2,6 Millionen Euro für Strom.

Neben fehlenden Baukapazitäten verhindere Bürokratie den Ausbau der erneuerbaren Energien. „Alles ist reglementiert, auf allen Ebenen. Man könnte die Wände hochgehen“, schimpft Hook. Selbst ein vergleichsweise einfaches Projekt wie ein mit Solarzellen überdachter Radweg an der Freiburger Messe ist mittlerweile drei Jahre in Verzug. Trotz gefundenem Betreiber, Einspeisungspunkt und Blend-Gutachten für den Flugplatz kam bisher kein Spatenstich zustande. 

„Bund, Land, Kommunen – die Ebenen arbeiten nicht optimal zusammen“, kommentiert die Abteilungsleiterin. Kurzfristige Maßnahmen im Zuge der Energiekrise, etwa ein Runterdrehen von Heizungen in öffentlichen Gebäuden, könnte die Stadtverwaltung demnach auch nicht ohne Weiteres erlassen. Einsparen würde das pro Grad Raumtemperatur rund drei Prozent Energie. Rausch: „Aber auch hier gibt es Vorschriften.“

Ob sich Russland an Vorschriften hält, ist zum Redaktionsschluss nicht abzusehen. Am 11. Juli beginnen planmäßige Wartungsarbeiten an der deutschen Lebensader Nord Stream 1. Zehn Tage sollen diese dauern. Ob danach wieder Gas fließt, darf bezweifelt werden. 

Illustrationen: © freepik.com
Collage: © Miriam Hinze