Zorn, Stresstests, Hologramme: Wildtiere in Zirkussen erhitzen die Gemüter STADTGEPLAUDER | 22.08.2019 | Till Neumann

Verbrechen, Tierquälerei, das Letzte. Mit solchen Kommentaren reagierten Facebook-User jüngst auf eine chilli-Verlosung für den Zirkus Charles Knie. Der ist vom 23. August bis zum 3. September in Freiburg. Werden dort Löwen, Kamele und Co. gequält? Für PETA ist die Sache klar. Der Zirkusdirektor und ein Freiburger Verhaltensforscher sehen das anders. Im Rathaus gibt man sich zurückhaltend. Der Zirkus Roncalli setzt auf Hologramme (Foto oben).

Rund 100 Tiere hat der Zirkus Charles Knie dabei, wenn er auf seiner Tour stattliche 47 Städte bereist. Für die Tierrechtsorganisation PETA ist das eine „enorme Belastung für die Tiere“, wie Fachreferentin Yvonne Würz sagt. Im Schnitt bleibe der Zirkus vier Tage an einem Ort.

Für Würz sind Wildtiere im Zirkus falsch. „Tiere sind nicht zu unserer Unterhaltung da“, sagt die 34-Jährige. Insbesondere Wildtiere hätten hohe Ansprüche an ihren Lebensraum, ein artgerechtes Leben sei in einem Zirkusbetrieb nicht möglich. „Ständig werden die Tiere zwischen Gastspielorten umhergekarrt, auf viel zu kleinen Anhängern.“ Die Dressur basiere auf „Gewalt und Zwang“. Lebenslange Entbehrungen führten zu schweren Verhaltensauffälligkeiten und zum frühen Tod der Tiere – unabhängig von der Größe des Zirkusses.

Anfang August prangerte PETA die Stresstournee von Charles Knie mit einer Pressemitteilung an. Dem Zirkus haben sie gar eine eigene Chronik gewidmet. PETA fordert ein Verbot von Wildtieren in Zoo und Zirkus.

Umstritten: Wildtiere im Programm des Zirkus Charles Knie, hier der preisgekrönte Alexander Lacey.

Die Vorwürfe will der Direktor von Charles Knie so nicht stehenlassen. „Die Tiere leben hier in Vollpension. Ihnen geht es besser als vielen anderen Tieren in der Wildnis“, sagt Sascha Melnjak. Der Grund: Sie seien rundum von Experten versorgt und würden mental gefördert. 365 Tage im Jahr verbringe man mit den Tieren und wisse daher sehr wohl, was ihnen guttue, sagt der 44-Jährige.

Auch Veterinärämter würden ihm das bestätigen: „Kein anderer Betrieb mit Tieren wird häufiger kontrolliert“, betont Melnjak. Bei jeder Station komme ein Vertreter des Amtes und prüfe den Zustand der Tiere – auch in Freiburg. In den allermeisten Fällen gebe es absolut nichts zu beanstanden. Höchstens die Klauen müssten mal geschnitten werden. „Wir haben nur glückliche und gut aussehende Tiere“, betont der Direktor. Davon könne sich jeder vor Ort überzeugen. Fast täglich bietet der Zirkus Tierschauen an.

Leben Wildkatzen wirklich stressfrei? Das haben drei Wissenschaftler 2013 mit einer Studie untersucht: „Können sich Löwen an die Haltungsbedingungen von Zoo und Zirkus anpassen?“, lautete ihre Frage. Dabei maßen sie den Wert des Stresshormons Cortisol vor, während und nach dem Transport von einem Veranstaltungsort zum nächsten. Das Ergebnis: „Vom wissenschaftlichen Standpunkt her gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Wohlergehen der Tiere beeinträchtigt ist.“

„Ganz schlecht informiert“

Einer der Autoren ist der Freiburger Verhaltensbiologie Immanuel Birmelin. Er leitet den „Freiburger Verein für Verhaltungsforschung bei Tieren“ und wirft – genau wie Zirkusdirektor Sascha Melnjak – PETA vor, mit nicht belegten Fakten zu arbeiten. „Ihnen sind Tiere egal, da geht’s um Geld“, sagt der Biologe. Wenn die Haltungsbedingungen stimmen, könnten Tiere sehr wohl ein glückliches Leben in einem Zirkus führen.

Es gehe vielen Wildtieren in freier Natur sehr schlecht, berichtet der 75-Jährige. Das habe er bei regelmäßigen Reisen nach Afrika mit eigenen Augen gesehen. „Die Natur wird vom Menschen zurückgedrängt“, sagt Birmelin. Viele Löwen würden vergiftet und gejagt. Wer diese Zustände gesehen habe, denke anders über das Tierleben in Zirkussen. Erboste Aktivisten seien in vielen Fällen „ganz schlecht informiert“.

PETA will den Vorwurf, nur des Geldes wegen zu handeln, nicht stehen lassen. „87 Prozent der Spenden, die PETA erhält, fließen direkt in Aufklärungskampagnen, politische Arbeit, PR-Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit“, sagt Yvonne Würz. Man arbeite sparsam, die Bilanzen seien im Wirtschaftsbericht 2017/2018 frei einsehbar, so die Biologin.

Uneinig: Zirkuschef Sascha Melnjak von Charles Knie und Yvonne Würz von der Tierrechtsorgnisation PETA.

Immer wieder gibt es Kommunen, die Gastspiele mit Wildtieren verbieten. „Immer mehr Städte und Gemeinden haben die Zeichen der Zeit erkannt“, heißt es dazu beim Tierschutzbund. Er listet für Baden-Württemberg sieben Städte, in denen (Stand September 2018) Auftritte mit Wildtieren nicht oder nur mit Einschränkungen erlaubt sind. Darunter Heidelberg, Stuttgart oder Baden-Baden. Laut PETA (Stand August 2017) haben 85 Städten und Gemeinden ein kommunales Wildtierverbot beschlossen.

Auch in Freiburg forderten Tierschützer ein solches Verbot. 2015 übergaben die Initiatoren eine Petition mit 1400 Unterstützern an Oberbürgermeister Dieter Salomon. Das Rathaus prüfte – auch auf Initiative des Gemeinderats – die Möglichkeiten. „Solch ein Verbot ist rechtlich äußerst problematisch, wenn alle Forderungen des Tierschutzgesetzes und der Zirkustierleitlinien eingehalten werden“, heißt es bei der Pressestelle der Stadt. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg habe 2017 ein Wildtierzirkusverbot für unzulässig erachtet. Auch der Städtetag verneine ein Verbot.

„Im Ergebnis wird ein kommunales Wildtierverbot für Zirkusbetriebe aus tierschutzrechtlichen sowie auch aus Gründen der allgemeinen Gefahrenabwehr verneint“, informiert Rathaussprecherin Bettina Birk. Sie sagt aber auch: „Das Bürgermeisteramt hat die Entwicklungen auf der Bundes- und Landesebene weiterhin im Blick.“

Die Veterinärbehörde im Amt für öffentliche Ordnung kontrolliere alle gastierenden Zirkusbetriebe, so dass die Tiergesundheit und das Tierwohl von behördlicher Seite gewährleistet sei. Birk berichtet: „Sämtliche Haltungs-, Pflege- und Ernährungszustände der Wildtiere waren in den vergangenen Jahren nicht zu beanstanden.“ 2017 und 2018 seien es je zwei Gastspiele mit Wildtieren gewesen. In diesem Jahr sei es bisher nur eins.

Verhinderte Verbote

Im Bundesrat gab es drei Anläufe (2003, 2011, 2016) für ein bundesweites Verbot von Wildtieren wie Affen, Giraffen, Nashörnern, Elefanten, Bären und Flusspferden im Zirkus. Sie scheiterten. Grund dafür waren „die Blockade der Unionsparteien und das Veto des zuständigen Bundesministeriums“, wie Birk berichtet. Sascha Melnjak von Charles Knie kennt die Lage. Mit dem Zirkusverband gehe er gegen große Städte vor, die Verbote aussprechen: „Wir haben bisher jedes Mal Recht bekommen“, sagt Melnjak.

Beim Zirkus Roncalli ist das nicht nötig. Dort gibt’s seit 30 Jahren keine Wildtiere mehr, sagt Roncalli-Sprecher Markus Strobl. Bis April 2018 habe man lediglich Pferde im Programm gehabt. Seitdem setzt der Zirkus auf Hologramme. Die Mitteilung dazu ging um die Welt, berichtet Strobl. In nur zwei Tagen habe man auf Social Media mit dem Foto eines digitalen Elefanten (siehe ganz oben) eine Milliarde Leute erreicht. Weltweit sei das in den Abendnachrichten gewesen – sogar in Indien.

Die Hologramme seien keineswegs ein „Niederknien vor Tierschutzorganisationen“, betont Strobl. Zirkus sei ein Kulturgut, das in seiner Diversität begeistert. Er liebe Zirkus, egal ob klassisch, modern oder poetisch. 500.000 Euro habe Roncalli in die Hologramm-Technik investiert.

Tiere im Zirkus „zu verpönen“ findet Strobl falsch. Er ist aber überzeugt: „Unsere Besucher wollen das einfach nicht mehr.“ Das habe 2017 auch eine Roncalli-Umfrage bei den Besuchern des Zirkusses ergeben. Auf die Frage „Was erwarten Sie von Roncalli?“ hätten sich nur 2,7 Prozent der Befragten Tiere gewünscht.

Bei der chilli-Kartenverlosung für Charles Knie gab es dennoch zahlreiche Zuschriften von Lesern, die die Vorstellungen sehen möchten. Direktor Sascha Melnjak berichtet von großem Zulauf: In vier Tagen in Freiburg kämen mehr als 20.000 Leute zu den Vorstellungen. Bei Protestaktionen seien es dafür nur eine Handvoll. Am morgigen Freitag kann das überprüft werden. PETA ruft zu eine Protestaktion ab 15 Uhr vor dem Zirkuseingang auf dem Neuen Messplatz in Freiburg auf.

Fotos: © www.roncalli.de / © Zirkus Charles Knie / © PETA