Zufallsbürger am Zug: Rathaus will viel Beteiligung bei Dietenbach STADTGEPLAUDER | 29.09.2019 | Till Neumann

Die Wogen scheinen nach dem Bürgerentscheid geglättet. Ruhiger ist es geworden nach intensiven Debatten zum neuen Stadtteil Dietenbach. Doch das Rathaus betont, mächtig Gas zu geben hinter den Kulissen. Die Macher präsentieren ein neues Konzept: das Zufallsbürger-Gremium.

60 Prozent der Wähler haben am 24. Februar für den Bau des neuen Stadtteils Dietenbach votiert. Auch wenn nur knapp 50 Prozent der Wähler abgestimmt haben, ist die Lage klar: Das Viertel wird gebaut. Mit 6500 Wohnungen für 15.000 Menschen.

„Ein riesiges politisches Commitment“, sieht Oberbürgermeister Martin Horn zu Dietenbach. Dass ein Projekt parteiübergreifend so viel Unterstützung erhalte, sei ein Novum. Mehr als 50 Bürgermeisterkollegen hätten ihm zum Ausgang der Abstimmung schon gratuliert.

Erfolgreich soll’s weitergehen, zeigt der in Worte gefasste Tatendrang beim Pressetermin. Auch Baubürgermeister Martin Haag ist anwesend. „Die Arbeit geht mit Volldampf weiter“, betont er. Ein Rahmenplan zu Themen wie Verkehr, Freiräume oder Bautechnisches werde erarbeitet und bilde die Grundlage für den Bebauungsplan. Der Rahmenplan soll im Sommer 2020 vom Gemeinderat beschlossen werden. Eine Offenlage der Baupläne könnte es 2021 geben. Die ersten Häuser könnten im Winter 2025 bezugsfertig sein.

Dennoch: Ein halbes oder dreiviertel Jahr sei man durch den Bürger-entscheid zurückgeworfen. „Den Zeitverzug wollen wir wieder einholen“, betont Haag. Dafür müssten Steine aus dem Weg geräumt werden. Einer ist die Realisierung eines Erdaushublagers. So müsse Erde nicht teuer gekauft und transportiert werden, sondern sei über kurze Wege verfügbar. Auch eine Erdgashochdruckleitung müsse verlegt und der Hochwasserschutz gewährleistet werden. Erst dann könne das Bebauungsplanverfahren starten. Die Offenlage kündigt Haag für 2021 an.

Zeitverzug wieder einholen

Eine weitere selbst auferlegte Hürde ist die Nachhaltigkeit. Klimaneutral soll Dietenbach werden und zudem 50 Prozent Sozialwohnungen bieten. Ein ambitionierter Plan. „Wir sind in der Pflicht und werden alles tun, um das umzusetzen und Wort zu halten“, betont Haag.

Die größte Neuigkeit ist aber eine andere: Ein Gremium mit 25 zufällig ausgewählten Bürgern (siehe Infobox) soll bei Dietenbach mitmischen. Repräsentativ sollen die Vertreter sein, ein Querschnitt durch die Bevölkerung. Zwei bis drei Jahre lang sollen sie sich regelmäßig treffen und mit den Planern im Dialog sein, erklärt Rüdiger Engel, Leiter der Projektgruppe Dietenbach. Im institutionellen Bereich sei das Gremium für Baden-Württemberg eine Premiere, so Horn.

Öffentliche Beteiligung wird großgeschrieben bei Dietenbach. Drei Pfeiler skizziert Engel: das Zufallsgremium, hinzugezogene Experten und eine Einwohnerversammlung. Eine solche soll im November steigen. Das Angebot, Bürger intensiv zu beteiligen, sei auch ein Entgegenkommen Richtung Gegner des Stadtteils, erklärt Horn.

Ein weiterer Knackpunkt bleibt die verfügbare Fläche. Weiterhin sind nicht alle Landwirte und Grundstücksbesitzer mit im Boot. „Bis September haben sie noch die Möglichkeit, einzusteigen“, berichtet Bruno Gramich, Leiter des Amts für Liegenschaften und Wohnungswesen. Angeboten wird ihnen, die Flächen an die Sparkasse zu verkaufen – für bis zu 65 Euro pro Quadratmeter. Einblicke in die Details gibt’s von Ingmar Roth, Chef der Sparkassengesellschaft Entwicklungsmaßnahme Dietenbach. „Bei 3,4 Prozent der Flächen drohen vielleicht Enteignungen“, sagt Roth. Im Vergleich zu vor zwei Jahren sei man damit weit gekommen. „Ich bin beeindruckt vom Vertrauen der Eigentümer“, sagt er.

Horn beschreibt 5 von 130 Hektar als kritische Fläche. Durch den Bürgerentscheid habe es einen Schub gegeben, ergänzt Haag. Schon jetzt habe man 95 bis 99 Prozent der Besitzer überzeugen können, ihre Fläche abzutreten.

Das Beteiligungsprojekt

Eine Gruppe aus 25 repräsentativ und zufällig ausgewählten Bürgern soll die Planung des Viertels Dietenbach begleiten. Das soll zum einen verschiedene Perspektiven ermöglichen. Zum anderen sollen so Menschen zur Beteiligung angeregt werden, die sich sonst nicht einbringen. Wer angefragt werde, könne seine Teilnahme auch verweigern, erklärt die Rathausspitze.

Die Mitglieder des Gremiums sollen sich regelmäßig treffen und die Planungen begleiten. Wer ein-steige, werde auf die Tätigkeit vorbereitet und erhalte eine Aufwandsentschädigung. Gemeinsam mit anderen Arbeitsgruppen und Planern soll das Gremium bis Anfang 2021 verschiedene Planungsvarianten kennenlernen und dann dem Gemeinderat ein Modell empfehlen.

Visualisierung: © K9 Architekten