Leinen los: Rheinfahrt mit einem Containerschiff Unterwegs | 21.10.2020 | Arwen Stock

Frachtschiff Schiff voraus die Dreiländerbrücke.

Geruhsam gleiten sie dahin: Frachtschiffe nutzen den Rhein als Verkehrsweg. Fast 260 Lastwagenladungen transportieren moderne Containerschiffe. Regio-Redakteurin Arwen Stock ist mitgefahren – ein Einblick in eine eigene Welt.

Schlammig sprudelt das Wasser auf. Mit seinem Heck drängt die Grindelwald aus Rotterdam ans Swiss-Terminal. Während sie im Hafen Basel-Kleinhüningen festmacht, bringt der Portalkran schon den ersten Container. Kapitän Henk Wigger kontrolliert vom Steuerhaus mit dem Fernglas Nummer und Position – unbekannte Ladung möchte niemand an Bord haben.

Der Spielraum zwischen den Containern beträgt zehn Zentimeter. Das Schiff schwankt beim Absetzen. Die Stahlbehälter sind zwischen 2,5 und 30 Tonnen schwer. Ein Papierausdruck vor Kapitän Wigger zeigt die unterschiedlichen Lagen der Ladung. Bei der Planung sind die gleichmäßige Gewichtsverteilung, die unterschiedlichen Containergrößen zu berücksichtigen und wo und an welchem Terminal gelöscht wird. Was in den Containern ist? Wigger lacht: „Ich habe schon alles an Material transportiert.“ Die Grindelwald zählt zur Flotte der niederländischen Reederei Danser. Flussaufwärts sind vor allem Möbel, Flatscreens und Nahrungsmittel an Bord, flussabwärts viele temperaturregulierte Container mit Milchprodukten, Käse, Schokolade und Pharmazeutika.

Frachtschiff Hafen Swiss

Die Grindelwald liegt vertäut im Hafen von Basel-Kleinhüningen.

Das Funkgerät knackt. Es ist Steuermann René Stäheli, der vorne im Hafenbecken die Mürren gedreht hat und rückwärts näher kommt. Der sogenannte Schubleichter wird am Bug der Grindelwald vertäut. So kann das Hauptschiff mehr laden und die Mürren mit zwei Bugstrahlrudern beim Lenken helfen. Als Koppelverband haben die beiden eine Länge von 178 Metern – Durchschnitt auf dem Rhein.

Fünf Mann – blitzsauberes Schiff

Im Steuerhaus ist nun Schichtwechsel: Kapitänskollege Ralf Clemens kontrolliert die Beladung weiter. Wigger macht Pause in der „Wohnung“ unter Deck: „Ich arbeite acht Stunden, dann habe ich acht Stunden frei.“ Drei Wochen lebt er im Acht-Stunden-Takt, dann hat er drei Wochen frei. Der 54-Jährige schätzt es, unterm Strich ein halbes Jahr zu arbeiten. Unter Deck hat jedes Mitglied der fünfköpfigen Crew sein eigenes Zimmer. Die Küche, Esstisch, Stühle, Speisekammer, Fernsehecke sowie Gänge, Toiletten und Bad – alles ist blitzsauber. Kapitäne, Steuermann und die zwei Matrosen sind ohne Putzplan, mit Haushaltskasse, Einkaufen und Lebensmittelvorrat für 14 Tage bestens organisiert – ein Maccaroni-Eintopf duftet auf dem Herd.

Kapitän Ralf Clemens hat über Deck inzwischen das Steuerhaus hochgefahren. Bis gut 13 Meter über Wasserlinie reicht die Hydraulik. So kann er über den obersten Container hinwegschauen. Steil geht die Treppe nach oben. „Wir fahren meist dreilagig, können aber auch vierlagig“, berichtet er. Der 54-Jährige pendelt von Rostock zur Danser-Niederlassung nach Basel. Wie viele Container sind es diesmal? „137 Container oder 263 TEU“, berichtet Clemens. „TEU“ ist in Deutschland die Einheit für die Standard-Containergröße. 348 TEU und 3718 Tonnen sind das Maximum an Bord. Das entspricht laut Clemens etwa 260 Container-Lastwagenladungen – der Schiffstransport rechnet sich, trotz der längeren Fahrtdauer auf dem Wasserweg.

Die Mittagshitze steht über dem Hafenbecken. Die Maschinen sind bereits gestartet. „Hier ist der Grindelwald-Ralf, wir sind hier am Swiss-Terminal fertig und machen jetzt los“, funkt der Kapitän den Weiler Hafen an. Dort sind weitere Container verzollt und aufzunehmen, die Frachtpapiere da. Clemens muss der Revierzentrale Basel, die für den Hafenverkehr zuständig ist, noch die Ladungsdaten in TEU und Tonnen durchgeben und die Besatzung nennen: Fünf Personen und ein Gast.

Unten machen Steuermann und Matrose die Taue los. Langsam legt die Grindelwald ab. Ums Heck sprudelt das Wasser. Wie in Zeitlupe bleibt das Ufer, die Skulptur am Dreiländereck zurück, noch der Stopp in Weil, dann steuert das Schiff auf den Fluss hinaus. Es hat die letzten drei Tage geregnet, und der Rhein ist braun vor Schlamm. Ein paar Schwäne schwimmen an der Kanalmauer der Staustufe Kembs vorbei, die den Fluss in seinem Bett hält. Mit rund 11,5 Kilometer pro Stunde fährt das Schiff nun dahin, gut 18 sind das Maximum auf der Talfahrt – die Bergfahrt geht mit durchschnittlich neun deutlich langsamer.

Keine Platzangst in der Kammer

Das Radar dreht sich am Bug des Schiffes, voraus die Schleuse Kembs. Mit dem Fernglas beobachtet Kapitän Clemens den Verkehr dort. Aus dem offenen Schleusentor fährt ein voll beladener Kiesfrachter. Davor wartet ein leerer Frachter, ebenfalls auf Talfahrt. „Eigentlich teile ich mir die Schleuse nicht so gerne“, meint er. Doch es geht: Die Schleuse ist 24 Meter breit, 190 Meter lang, und der Verband wie die meisten Rheinschiffe 11,45 Meter breit. Grindelwald und Mürren können nach dem Frachter einfahren. Das Funkgerät rauscht und knackt. Matrose und Steuermann am Bug geben dem Kapitän die Abstände durch.

Schleuse Rhein

Der Pegel fällt in der Schleuse Ottmarsheim.

„Ich kann das von hier schlecht einschätzen, deswegen fahre ich nach Gehör“, sagt Clemens. Die Geschwindigkeit des Schiffes beträgt noch zwei Kilometer pro Stunde – Tendenz langsamer. „Schleuse Kembs, Grindelwald-Mürren zu Tal“, kündigt der Kapitän den Verband an. Die Einfahrt neben dem Tanker ist Millimeterarbeit. Matrose und Steuermann sind mit Reibhölzern unterwegs, damit die Schiffs- nicht an der Schleusenwand kratzt. Nun nur noch das Steuerhaus herunterfahren, denn der Schleusenausgang ist überbrückt – und dort hängenzubleiben würde nicht nur das Schiff köpfen.

Auf dem Deck des Frachters nebenan ist ein Planschbecken aufgebaut. „Viele sind Partikulierer, die fahren mit dem eigenen Schiff und nehmen manchmal auch die Familien mit“, weiß der Kapitän. Hinter der Grindelwald hebt sich das Schleusentor. Langsam fällt der Pegel in der Kammer. Die Poller, an denen die Schiffe vertäut sind, senken sich mit.

„Die Schleusen am Rhein arbeiten nur mit der Schwerkraft“, weiß Steuermann Stäheli. Leer würden sie aussehen wie ein großes Betonsieb, in das von unten Wasser ein- und ausströmt. Auf eine Zigarette sind er und der Matrose ins Steuerhaus gekommen – bis zur Ausfahrt dauert es rund 20 Minuten. Gut elf Meter beträgt das Gefälle in Kembs. Platzangst darf man in der Kammer nicht haben. Dann endlich: Vorne öffnet sich das Tor. Zuerst fährt der Frachter aus. Nun machen Stäheli und der Matrose die Leinen los. Langsam gibt der Kapitän Gas.

Warten auf die Schleuse

Der Koppelverband nimmt Fahrt auf. Steuerbord geht es in den Rhein-Rhône-Kanal. Weinberge und die nahe Autobahn gleiten Backbord vorbei. „Schleuse Ottmarsheim – Grindelwald“, funkt der Kapitän. Doch die Verbindung mit dem Schleusenmeister ist schlecht, nur das Wichtigste zu verstehen: Vor Clemens’ Verbund muss erst ein Schiff hochschleusen, ein anderes wartet vor ihm. Festmachen und Warten ist angesagt. Denn diese Schleuse hat nur eine Schiffsbreite, die zweite wird repariert. Nach einem sprudelnden Manöver wird der Verband an den Pollern vor der Schleuse vertäut.

Kapitän Ralf Clemens

Kapitän Ralf Clemens funkt mit dem Schleusenmeister.

Clemens zündet sich eine Zigarette an. Matrose und Steuermann gesellen sich rauchend dazu. Warten ist auf der Hochrheinstrecke mit ihren zehn Schleusen an der Tagesordnung. Nach rund einer Stunde rauscht und knattert das Funkgerät. „Jetzt ist Einfahrt und wir kommen runter“, freut sich der Kapitän. Steuermann Stäheli informiert per Funk Schleusen- und Hafenmeister: „Wir müssen in Ottmarsheim nur einen Container löschen.“ Endlich macht ein Tanker die Schleuse frei.

Nun heißt es wieder, alle Mann auf ihre Posten. Der Kapitän fährt das Steuerhaus hoch. Die Maschinen heulen auf. Das Wasser kräuselt sich um den Bug der Grindelwald. „Noch fünf Meter bis zur Ecke“, funkt der Matrose. Das Schiff fährt 1,11 Kilometer pro Stunde. „Du bist noch ziemlich schnell“, knattert es. Wieder dröhnen die Maschinen im Rückwärtsgang. Das Steuerhaus muss runter. Eine ruhige Hand an allen Maschinen, Gefühl und Maßarbeit bis zum Stillstand sind nötig. Dann geht das Schleusentor zu – der Pegel sinkt. 14,7 Metern beträgt die Fallhöhe des Rheins hier. Rund eine halbe Stunde später öffnet sich das Tor und die Abendsonne strahlt über die Container. Draußen glitzert der Rhein. Langsam gleiten Mürren und Grindelwald ins blendende Licht. In der nächsten Flussschleife ist schon der französische Rheinhafen Ottmarsheim zu sehen. Fast endlos wirkt der Koppelverband beim Anlegen am Terminal.

Noch einen Container löschen, auch der Gast geht von Bord. Ein letzter Blick auf Grindelwald und Mürren, die im Zeitlupentempo wieder in die Strommitte gleiten. Es wird schon dunkel sein, wenn Breisach, Kaiserstuhl und Hochkönigsburg vorbeiziehen. Morgen früh wird in den Häfen Straßburg und Kehl noch Ladung aufgenommen und gelöscht. Ab der letzten Schleuse bei Iffezheim ist dann freie Fahrt. Insgesamt 864 Kilometer sind es bis Rotterdam, in etwa zwei Tagen wird das Schiff dort sein. Die Loreley, sie fliegt auf der Talfahrt immer bei Nacht vorbei.

Info

Die Grindelwald mit Mürren fährt in einer Sieben-Tages-Rundreise und macht so pro Jahr 52 Reisen. Die niederländische Danser Gruppe betreibt eine Flotte von rund 60 Schiffen in verschiedenen Liniendiensten. Auf dem Rhein sind vier baugleiche Koppelverbände im Einsatz.

Insgesamt sind laut der Reederei auf dem Rhein (Stand 2014) 11.460 Schiffe registriert, davon 1300 Tankschiffe, 2360 Passagierschiffe und etwa 7800 Gütermotorschiffe, unter denen 140 speziell für den Containertransport vorgesehen sind.

Fotos: © Arwen Stock