Digitale Schule: Die Kommunikation mit den Eltern ist besonders wichtig Schule aktuell | 08.02.2021 | Jens Taschenberger

Mutter mit Tochter am lernen

Professor Felicitas Macgilchrist gehört zu den bundesweit wenigen wissenschaftlichen Expert*innen im Bereich digitaler Schulbildung. Sie ist Leiterin der Abteilung Mediale Transformationen und Professorin für Medienforschung mit dem Schwerpunkt Bildungsmedien an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie forscht an der Schnittstelle von Medien und schulischer Bildung mit einem besonderen Fokus auf den sozialen und politischen Kontext von Bildung in der digitalen Welt. Die wissenschaftliche Laufbahn führte die Schottin u.a. nach Deutschland, Belgien, Großbritannien und in die USA. Ihre Forschung umfasst auch schulische Praktiken in einer (post-)digitalen Welt und die Debatten zum Thema „digitale Bildung“ – eine der wesentlichen Grundlagen für das Homeschooling. Gründe genug für ein aufschlussreiches Gespräch mit Autor Jens Taschenberger.

findefuchs: Sie forschen im Bereich der digitalen Schulbildung – eine wichtige Grundlage für das Homeschooling. Ist die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie für Ihre Forschung ein Glücksfall?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Bei dieser Situation, unter der auch ganz besonders die Kinder leiden, kann ich nicht von einem Glücksfall sprechen. Im Bereich digitale Technologie und Schulen gab es bereits zuvor viel Bewegung, auch wenn die Aufmerksamkeit nun noch einmal deutlich zugenommen hat.

findefuchs: Wie sind wir in Deutschland im Bereich digitale Schule und Homeschooling aufgestellt, insbesondere im Vergleich zu anderen Ländern?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Die Sorge, in vielen Dingen hinterherzuhinken, scheint mir eine Eigenheit der Diskussion in Deutschland zu sein. Man zieht hier oft Vergleiche zu anderen Ländern, in denen etwas besser funktionieren soll. Ein Beispiel in der digitalen Bildung ist die Debatte um die Steve Jobs-Schulen in den Niederlanden. Im Jahr 2016 gab es in Deutschland viele Schlagzeilen zu diesen Schulen, in denen alle Schüler mit einem iPad ausgestattet wurden und digital lernten. „Warum haben wir so etwas in Deutschland noch nicht?“ – lautete der besorgte Tenor. Zwei Jahre später wurden diese Steve Jobs-Schulen als Katastrophe beschrieben, die Kinder waren im Lernen weit hinter Gleichaltrigen zurückgeblieben und die Schulen sind jetzt weitgehend geschlossen. Eigentlich könnte sich Deutschland als Vorreiter im Datenschutz und bei der Entwicklung und dem Einsatz von digitalen Tools für einen reflektierten Umgang mit sensiblen Daten betrachten. Das macht man in Deutschland heute schon besser als in vielen anderen Ländern. In den USA fängt man jetzt erst an zu überlegen, was mit den Daten der Kinder passiert.

findefuchs: Ein Blick zu unseren Nachbarn zeigt aber, dass viele Länder digitale Technologien viel stärker in der Schulbildung anwenden – oder täuscht das?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Polen und Norwegen haben stark in Open Educational Resources investiert, also in frei zugängliche Lern- und Lehrmaterialien. Sie müssen nicht digital sein, sind es aber oft. Es handelt sich dabei nicht um eine freiwillige Erstellung von Materialien und Programmen wie etwa außerhalb der Schule in Deutschland, sondern um ein staatliches Angebot mit direkter Anbindung im Schulunterricht, das allen Schülerinnen, Schülern und Familien zur Verfügung steht. Damit ging in diesen Ländern auch ein starkes Interesse an digitalen Medien einher. Das erleichtert sicher auch die „Schule zu Hause“ und hat dort digitale Schulbildung enorm vorangebracht.

findefuchs: Gibt es beim Thema Digitalisierung und Homeschooling Unterschiede eher zwischen Bundesländern oder eher zwischen einzelnen Schulen?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Die Unterschiede bestehen im aktuellen Stadium eher zwischen Schulen. Wir beobachten verstärkt, dass sich genau jene Schulen stärker digitalisieren und auf den Einsatz entsprechender Geräte ausrichten, bei denen die Eltern die notwendige Hardware kofinanzieren können. Diese Entwicklung halte ich für gefährlich, weil sie auf Schulen beschränkt bleibt, die ein gewisses sozioökonomisches Einkommen der Eltern vermuten können. Dieser Trend zeichnet sich nicht nur deutschland-, sondern auch weltweit ab. Gymnasien und viele private Schulen setzen digitale Geräte so vor anderen Schulformen ein. Bei Vergleichen, welches Bundesland bei digitaler Bildung vorn und welches hinten liegt, verspüre ich immer Unbehagen. Wir unterscheiden lieber die Haltungen einzelner Schulen zu digitalen Technologien, dabei haben sich drei verschiedene Formen herauskristallisiert. Keine davon ist vorn, sie kennzeichnen lediglich einen anderen konzeptionellen Umgang. Es gibt Schulen, die wollen „behutsam“ digitalisieren. Sie sehen Schülerinnen und Schüler digitalen Medien ausgesetzt und hier geht es oft um digitales Mobbing, das viel weiter reicht als physisches Mobbing, weil es auch außerhalb der Schule präsent bleibt. Diese Schulen sehen sich als ein Ort, der durch die Abwesenheit von Geräten einen Schutzraum bieten kann.

findefuchs: Homeschooling läuft sehr unterschiedlich. Welches Maß an Kontakt sollte es geben, um Schüler bestmöglich zu fördern?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Die Forschung redet hier von synchronem und asynchronem Lernen. Asynchron bedeutet, dass Schüler*innen anhand eines Tages- oder Wochenplans Aufgaben nach ihrem eigenen Rhythmus bearbeiten und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abschließen. Synchrones Lernen ist Unterricht zur gleichen Zeit, egal ob im Klassenraum oder jetzt beim Videocall. Die Forschung sagt wie so oft, dass eine Mischung aus beidem der ideale Weg ist. Das ist recht selbstverständlich. Keine Familie und keine Schule kann ermöglichen, dass alle Kinder von früh bis nachmittags durchgängig in ­Videokonferenzen sitzen. Videokonferenzen sind anstrengender, als im selben Raum zusammenzusitzen. Den Takt der Unterrichtsstunden in Videokonferenzen aufrechtzuerhalten, ist nicht sinnvoll und überfordert auch alle Seiten. Die Schüler über Wochen hinweg mit Aufgabenblättern oder Schulheften allein zu lassen, funktioniert aber ebenso wenig. Effektiver ist es, wenn die Schüler ihre Materialien selbstständig bearbeiten, sich im Messenger darüber austauschen und regelmäßig ihre Lehrenden befragen und bestimmte Themen mit ihnen besprechen können.

findefuchs: Auch bei der Art der Aufgabenübermittlung arbeiten Schulen sehr unterschiedlich: es gibt Aufgaben auf Papier sowie Arbeiten mit Clouds und Kommunikationstools. Wo sehen Sie hier den richtigen Weg?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Hier besteht nicht selten der Irrtum, dass digital per se besser ist. Die Nutzung einer Cloud ist natürlich viel einfacher, wenn alle über entsprechende Geräte und einen Zugang zum Internet verfügen. Insbesondere für ökonomisch benachteiligte Familien wird das schnell zu einem Problem. Wir beobachten in vielen Ländern, auch in Deutschland, dass Aufgaben auf Papier als barrierearmer Weg genauso richtig sein können, weil man hier alle Schülerinnen und Schüler gerecht behandelt. Wenn es eine bewusste Entscheidung ist, gibt es also durchaus gute Gründe auch für den analogen Weg.

findefuchs: Sehen Sie im Homeschooling Bedarf an einem zentralisierten Konzept?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Nach meinem Eindruck sind zentralisierte Vorgaben keine gute Lösung. Jede Lehrperson kennt die Notwendigkeiten ihrer Klasse und ihrer Schüler*innen besser und sollte wissen, welches Konzept eher passt. Seit die Schulen geschlossen haben, findet auf Twitter ein wahnsinnig aktiver Austausch über Tools, Projekte und Ideen statt. Sie werden an einigen Orten zentral gesammelt, ein Beispiel dafür ist die Plattform Bildungspunks (www.bildungspunks.de) oder die Angebote der Edunauten (www.edunauten.de). Es geht dabei eher um die pädagogische Perspektive für digitale Bildung, das kann aber auch für Eltern lehr- und hilfreich sein. Besonders wichtig für die Schulen scheinen mir aktuell aktive Kontakte und Kommunikation bei der Einbindung der Eltern. Hier gibt es sehr große Unterschiede zwischen einzelnen Schulen und Lehrkräften. Manche Schulen nutzen Clouds oder haben einen anderen Kanal eingerichtet, auf dem sie mit den Eltern kommunizieren, andere nutzen E-Mails oder das Telefon. Wo zu wenig kommuniziert wird, sind die Eltern am stärksten verunsichert oder unzufrieden.

findefuchs: Welche Rolle sollte den Eltern eigentlich beim Homeschooling zukommen?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Es gibt kein Konzept, das allen gerecht wird. So wollen Eltern, die mehr Zeit für Ihre Kinder haben oder deren Kinder selbstständig und gut arbeiten können, durchaus mehr Aufgaben von der Schule. Es gibt andererseits aber Eltern, deren Kinder mehr Unterstützung benötigen und die sich dann schnell als Ersatzlehrer fühlen. Und dann weitere Eltern, die wegen ihres eigenen Berufs sehr unter Stress stehen. Meines Erachtens ist die wichtigste Funktion der Eltern derzeit ein möglichst solidarisches Verhalten, sowohl mit anderen Familien als auch mit der Schule. Viele Schulen wissen, welche unterschiedlichen Voraussetzungen ihre Schüler zu Hause haben. Sie bauen Angebote auf, die möglichst alle Schülerinnen und Schüler mitnehmen, damit niemand auf der Strecke bleibt. Viele Schulen versuchen, sich zurechtzufinden und neue Konzepte für die Fernlehre aufzubauen – das braucht Zeit. Wichtig finde ich aber auch die Kommunikation mit den Schulen bzw. den Lehrern. Wenn sich eine Schule nicht gemeldet hat und Eltern unklar ist, was sie tun sollen, kann man anrufen oder eine E-Mail schreiben und fragen.

findefuchs: Welche Tools sollten Eltern beim Homeschooling nutzen?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Es gibt viele Tools für Lernmanagement und Organisation, die man auch hier nutzen kann. Aber für die wichtige Funktion der Eltern, Meinungen einzuholen und mit anderen Eltern, der Schule und Lehrern zu kommunizieren, wie die Klasse vorangehen kann, sind E-Mail und Telefon manchmal tatsächlich die besten Medien. Ich kenne ein gutes Beispiel mit einer Familie, in der die Kinder einige Probleme in der Schule hatten. Seit der Schulschließung ist die Mutter durch die Übermittlung der Aufgaben auf Papier und den Kontakt per Telefon aber erstmals ständig in die Abläufe eingebunden – und die Kinder kommen nun besser voran als zuvor in der Schule.

findefuchs: Welche Rolle sollten künftig klassische Schulbücher neben digitalen Lernplattformen und online abrufbarem Wissen spielen?

Prof. Felicitas Macgilchrist: Auch mit dieser Frage beschäftigen wir uns. Bleibt das Curriculum wie heute bestehen, bei dem Kompetenzen und Inhalte in verschiedenen Schulfächern festgelegt werden, die in einem Jahr erreicht werden sollen, sind sowohl klassische als auch digitale Lehrbücher hilfreich. Rückmeldungen der Schüler besagen, dass viele lieber mit dem digitalen Lehrbuch arbeiten, ebenso viele aber lieber mit dem klassischen Lehrbuch. Das Konzept vieler Schulen, zum klassischen Schulbuch für zu Hause das digitale Schulbuch für die Schule dazu zu erwerben, scheint ein guter Weg. Eine Erkenntnis ist allerdings, dass Schüler zum Lernen für Klausuren nach wie vor viel lieber Papier nutzen, während bei Projektarbeiten durch das mögliche Zugreifen auf weitere Informationen digitale Medien im Vordergrund stehen.

Wir danken für das Gespräch.

Porträt Macgilchrist Leiterin der Abteilung „Mediale Transforma­tionen“ am Georg-Eckert-Institut

Zur Person

Prof. Felicitas Macgilchrist, Leiterin der Abteilung „Mediale Transforma­tionen“ am Georg-Eckert-Institut – Leibniz Institut für internationale Schulbuchforschung und Professorin für Medienforschung an der Universität Göttingen.

Weitere Infos zum Homeschooling unter: www.basement.gei.de

Fotos: @ freepik.com/freepik, Georg-Eckert-Institut – Leibniz Institut für Internationale Schulbuchforschung