Fenster auf, Klassenarbeit – Schülersprecherin fordert Luftfilter und Hybridunterricht Schule aktuell | 02.12.2020 | Philip Thomas

Fenster

Das Coronavirus hat Schulen fest im Griff. Trotzdem werden die Bildungseinrichtungen in Deutschland selbst bei hohen Infektionszahlen derzeit nicht geschlossen. Geöffnet werden stattdessen Klassenzimmer-Fenster, und zahlreiche Schüler sitzen mit Decke frierend am Pult. Der Lehrerverband beklagt verletzte Fürsorgepflicht durch die Kultusminister. Eine Schülersprecherin plädiert für Luftfilter und Hybridunterricht.

„Schulen werden bis zum letzten Drücker offen gehalten“, sagt Elisabeth Schilli, Pressesprecherin des Landesschülerbeirates Baden-Württemberg. Dabei hat die Inzidenz bei Schülern deutlich zugenommen. Der Schwellenwert von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohnern war bei 10- bis 19-Jährigen Mitte November vielerorts sogar deutlich überschritten.

Leere Klassenzimmer wie im Frühjahr sollen sich – wenn möglich – in Deutschland nicht wiederholen. Wie sehr Kinder und Jugendliche unter der Frühjahrs-Schließung gelitten haben, zeigt eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf: Rund zwei Drittel finden Schule und Lernen anstrengender als vor Corona. „Es gab Schüler, die abgehängt wurden“, bestätigt Schilli. Gerade in den unteren Stufen, in denen weniger selbstständig gelernt wird, seien große Lücken entstanden. „Es besteht die Gefahr, dass sich das nun wiederholt“, so die 17-Jährige.

Im Sommer habe sich die Lage in deutschen Schulen dann weitestgehend normalisiert, berichtet Schilli. Mit steigenden Infektionszahlen und sinkenden Temperaturen mehren sich aber auch die Probleme. „Jeder hat ein bisschen Angst“, sagt sie. Eine Sorge an Schulen sei derzeit der Sportunterricht, wo die Maskenpflicht weitgehend ausgesetzt ist. Zwar sind Lehrer angehalten, auf Kontaktsportarten wie Fußball oder Basketball zu verzichten, der Mindestabstand lässt sich aber auch in einer Turnhalle nicht immer einhalten. „Mit der Bewegung atmen Schüler mehr und auch tiefer, das halten wir wegen der Ansteckungsgefahr für fragwürdig“, sagt sie.

Schülersprecherin

Fordert Filteranlagen: Elisabeth Schilli, Pressesprecherin des Landesschülerbeirats

Bund und Länder hatten monatelang Zeit, Konzepte für Schulen vorzulegen. Die aktuellen Empfehlungen rund um Abstandsregeln, Maskenpflicht, Händewaschen und Lüften reichen Schilli allerdings nicht: „Da wurde was verschlafen. Man hätte definitiv mehr machen können.“ An Masken hätten sich Schüler schnell gewöhnt. Eine Maskenpflicht als Maßnahme gegen das Coronavirus reicht Schilli aber nicht. „Das ist für uns der Mindeststandard“, sagt die Schülerin am Kloster-Gymnasium in Offenburg. Herkömmliche Mund-Nase-Bedeckungen bieten auf engem Raum keinen hundertprozentigen Schutz vor Infektionen. Für korrekte Anwendung müssten die Masken pro Schultag außerdem mehrfach gewechselt werden. Schilli betont: „Wir wünschen uns Luftfilter.“

Eine kostspielige Maßnahme. Ein Gerät kostet je nach Filter 1000 bis 3000 Euro. Zwar greift das Land Schulen in Baden-Württemberg mit insgesamt 40 Millionen Euro unter die Arme, auf alle knapp 4500 Schulen im Südwesten gerechnet bleiben jeder Bildungseinrichtung davon rein rechnerisch aber bloß etwas mehr als 8800 Euro für Laptops, Tablets und Luftfilter. „Die Beschaffung von Luftfilteranlagen für einen Großteil der Klassenräume lässt sich damit nicht realisieren“, bestätigt Gemeindetagspräsident Roger Kehle in einer entsprechenden Pressemitteilung.

Geht es nach dem Umweltbundesamt, seien Filteranlagen in Klassenzimmern gar nicht nötig: „Luftreinigungsgeräte versprechen, die Anzahl virushaltiger Partikel in Innenräumen zu senken. Ob diese Minderungen ausreichen, eine Infektionsgefahr hinreichend abzuwenden, ist nach jetzigem Stand des Wissens unklar.“ Das Amt empfiehlt zum Redaktionsschluss daher „auch in der kalten Jahreszeit Fensterlüftung als prioritäre Maßnahme“.

Frankfurter Wissenschaftler sehen das anders. Atmosphärenforscher der Goethe-Universität haben herausgefunden, dass Luftreiniger der Filterklasse HEPA H13 die Aerosolkonzentration in einem Klassenzimmer mit Lehrern und 27 Schülern innerhalb von 30 Minuten um 90 Prozent senken können. „Deshalb empfehlen wir den Schulen in diesem Winter den Einsatz von HEPA- Luftreinigern mit einem ausreichend hohen Luftdurchsatz“, betont Joachim Curtius, Professor für Atmosphärenforschung.

Für Schilli sind Fensterlüftungen in Klassenzimmern alle 20 Minuten nicht akzeptabel. „Wir merken die Kälte extrem. Viele Schüler kommen mit Decken in die Schule. Das ist keine langfristige Lösung.“ Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger hat zum Lüftungskonzept an Schulen eine klare Meinung: „Die Kultusministerkonferenz kommt ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Lehrkräften und ihrer Verantwortung gegenüber dem Gesundheitsschutz der Schülerinnen und Schüler ein weiteres Mal in keiner Weise ausreichend nach.“ Laut dem Präsidenten sei in vielen Klassenzimmern gar keine effektive Querlüftung möglich: „Fenster sind nicht oder nur spaltweise zu öffnen.“ Auch er findet: Lüften ist gut, Lüftungsanlagen sind besser.

Kinder im Winter Maske

Müssen sich warm anziehen: Viele Schülerinnen und Schüler kommen nur noch mit Decke in die Klassenzimmer.

Dem Schulamt ist die hitzige Debatte um kalte Klassenzimmer bekannt. „Die Schulen arbeiten sehr engagiert daran, Unterricht auch unter den aktuell gegebenen Pandemiebedingungen bestmöglich zu gestalten.  Wir nehmen wahr, dass dies Lehrkräften, Eltern und Schülern viel zusätzliche Kraft abverlangt“, kommentiert Werner Nagel, Amtsleiter des staatlichen Schulamts Freiburg.

Neben Luftfiltern plädiert Schülersprecherin Schilli auch für Hybridunterricht, also den Wechsel zwischen digitalem und analogem Lernen. Bereits jetzt blieben viele Stühle in Klassen leer, Klassenkameraden seien krank oder in Quarantäne zu Hause, auch Lehrer fallen aus. Sie betont: „Irgendwann wird das aktuelle System nicht mehr funktionieren. Wir haben die Befürchtung, dass dann Chaos ausbricht.“

Auch in anderen Bundesländern sorgen sich Schüler. Über Sonderregeln zu Masken und Hybridunterricht soll regional entschieden werden. In Frankfurt am Main riefen Schülervertreter bereits zu Streiks auf. „Wir fühlen uns mit den jetzt getroffenen Maßnahmen in den Schulen nicht mehr geschützt“, bemängeln die Unterzeichner in einer Rundmail Ende November und plädieren für eine gemischte Unterrichtsform.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Bundesländer bereits aufgefordert, Wechselunterricht zumindest bei hohen Fallzahlen umzusetzen. Laut Schilli habe man im Frühling genug Zeit gehabt, die dazu notwendigen Systeme zu erproben: „Die Infrastruktur wurde verbessert“, sagt sie. Um über den Winter zu kommen, sollten Schulen diese technischen Möglichkeiten ausschöpfen. Raumfilter und Hybridunterricht sind für die Schülerin alternativlos. Der Winter naht: „Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn es anfängt zu schneien.“

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