„Das Extremste, was geht“: Freiburger wandert nach Pakistan Freizeit | 13.09.2020 | Till Neumann

Pakistan

Miran Hussain ist zu Fuß nach Pakistan gelaufen. Zurück ging’s mit dem Rad. Slow Travelling in Reinform. Zwei Jahre war der 21-jährige Freiburger unterwegs. Stoppen
konnten ihn nur eine Anti-Terror-Einheit und die Corona-Krise.

„Willkommen zurück“ steht auf einer rot-weißen Fahne am Hauseingang. Und das Ganze nochmal in zehn weiteren Sprachen auf einer zweiten. Auch ohne die Geschichte von Miran Hussain zu kennen, wird an diesem charmanten Häuschen im Freiburger Ökoviertel Vauban schnell klar: Hier ist Außergewöhnliches passiert.

Geschlafen hat der gebürtige Freiburger meist im Wald, Transportangebote lehnte er konsequent ab, nicht mal ein Zelt hatte Hussain eingepackt. Warum tut man sich so etwas an? „Das war ein längerer Prozess“, sagt der schlanke Kerl mit den dunklen Haaren. Schon in der Schule habe er das Gefühl gehabt, eingeengt zu sein. Nach dem Abi 2017 am Freiburger Droste-Hülshoff-Gymnasium war klar: Er will weg. Als Ziel kristallisierte sich Pakistan heraus. Das Land, in dem sein Vater geboren ist.

Vauban; Pakistan

Zurück in der Vauban: Der 21-Jährige vor dem Haus seiner Familie.

Seine Geschichte erzählt er mit ruhiger Stimme. Das Sprechtempo gleicht dem seiner Reise. Slow Travelling, Hussain hat es auf die Spitze getrieben. Möglich machte das eine intensive Vorbereitung: Er meldete sich zum Survival Training an, erklomm mit einem 30-Kilo-Rucksack den Schönberg und lernte, ohne Hilfsmittel Feuer zu machen. Im Rückblick war der Kopf aber das Wichtigste: „Es ging vor allem um mentale Stärke, ich habe meine ewige Geduld trainiert.“

Gestartet ist der Freiburger im Juni 2018. Den ersten Patzer gab’s gleich zum Start: Auf dem Weg Richtung Österreich verlief er sich. Im Dreieck ging’s mit vielen Kilometern Umweg ins Nachbarland. Mit dabei war für die ersten acht Wochen sein drei Jahre älterer Bruder Elia. Schon am zweiten Abend schrieben sie ein Lied passend zur Lage: „Wir sind am A****“

Vom Kurs abbringen ließ sich Hussain nicht. Anfangs schaffte er mit 35 Kilo Gepäck täglich 30 Kilometer. Später bis zu 50 Kilometer. Auch weil er Hab und Gut reduzierte: „Ich habe bis zum bitteren Ende optimiert.“ In Kroatien verlud er seine Sachen auf eine Sackkarre, die ihm jemand schenkte. Nur die Wanderschuhe blieben bis heute – mit dem dritten Paar Sohlen.

Die Elefantentour hinterließ schnell Spuren. Drei Monate saß er in Istanbul in einem Hostel fest. Die Knie waren geschunden. Er pendelte zwischen „Riskier nicht zu viel, du willst nicht dein Leben im Rollstuhl verbringen“ und großem Ehrgeiz: „Wenn ich abbreche, ist die Tour futsch.“ In Kauf genommen hat Hussain dafür vieles: Zum Schlafen suchte er sich Plätze im Wald. Seine Unterkunft bestand aus einer Plane, gespannt mit zwei Wanderstöcken, und einem Biwaksack. Mit Skorpionen, Schlangen und Wölfen machte er genauso Bekanntschaft wie mit Dieben. Sogar eine versuchte Vergewaltigung hat er überstanden.

Pakistan

Notunterkunft: Als Corona kam, harrte er in diesem Lager im Iran aus.

Den Vorsatz, jeden Kilometer zu Fuß zu gehen, zog er durch. Erst im Iran wurde das unmöglich. Eine Anti-Terror-Einheit riss ihn in ihren Jeep. „Ich bin behandelt worden wie ein Verbrecher“, erinnert sich Hussain. Die Spezialkräfte sollen Touristen vor Angriffen schützen. Wütend sei er gewesen. Rund 1000 Kilometer legte er unfreiwillig im Auto zurück. Dennoch bleiben etwa 7500 Kilometer, die Hussain zu Fuß geschafft hat. „Ultrahart“ sei das gewesen. Bei sengender Hitze in der Wüste oder auf 100 Kilometer langen Straßen, die einfach nur geradeaus gehen. Durchgebissen habe er sich, immer und immer wieder. „Das Extremste, was geht.“

Dennoch sagt der Outdoor-Fan: „Es war wunderschön.“ Eine Pilgerwanderung mit großartigen Landschaften und Begegnungen. Eine Lektion dabei: „Irdische Dinge sind belanglos.“ Nur rund 4000 Euro habe er für seine Tour gebraucht, schätzt Hussain. Hinzu kamen Materialkosten von mehreren Tausend Euro. Finanziert hat er das über Erspartes und mit Unterstützung seiner Eltern.

Nur 4000 Euro für ganze zwei Jahre

Nach sechs Monaten in Lahore, der Geburtsstadt seines Vaters, ging’s auf die Heimreise. Mit dem Fahrrad kam er bis in die Türkei. Dort stoppte ihn die Corona-Krise. Zwei Monate wartete er im Iran, bis klar war: Die Grenzen bleiben länger zu. Also stieg er dann doch in den Flieger nach Amsterdam. Für ihn ein krasser Kulturschock, so schnell zurück in der westlichen Welt zu sein.

Ist er heute ein anderer Mensch? „Nein, aber man kann viel an sich arbeiten“, sagt Hussain. Auf der Reise habe er sich für seine Schwächen geschämt: Ehrgeiz, Sparsamkeit, Vorurteile. Daran habe er arbeiten können. Die Sturheit, etwas Verrücktes durchzuziehen, ist offenbar geblieben.

Pakistan

Pakistan: 7500 Kilometer lief Miran Hussain ins Heimatland seines Vaters.

Geändert hat sich die Kommunikation mit dem Vater. Mit ihm spricht er jetzt in dessen pakistanischer Muttersprache Urdu. Mit den Knien hat er weiter zu kämpfen. Die Beschwerden könnten länger bleiben, auch wenn er wieder vorsichtig joggen geht.

Wie es weitergeht? Miran Hussain weiß es noch nicht. Bass würde er gerne studieren und Musiker werden. Oder Reisevorträge halten und Erlebnispädagoge werden. Auch die nächste Tour ist schon angepeilt: Gerne würde er nach Afrika. Mit dem Rad. Ob er nochmal zu Fuß aufbrechen kann, ist ungewiss. Auch wenn er überzeugt ist: „Das ist das einzig wahre Reisen.”

 

Slow Traveling
Schon seit den 80er-Jahren gibt es den Begriff „Slow Travel.” Er kommt aus Italien und steht für eine entschleunigte Art des Reisens. Landschaften und Menschen sollen bewusster und nachhaltiger entdeckt werden. Reisende nehmen sich Zeit, um in fremde Welten einzutauchen. Slow Travelling ist ein Gegenpol zu Massentourismus und dem Abklappern von Sehenswürdigkeiten. Auf Flugzeuge und Autos wird in der Regel verzichtet. Der Autor Dan Kieran hat das Phänomen im Buch „Slow Travel” : Die Kunst des Reisens” aufgearbeitet.

 

Fotos: © 2020 Google, ORION-ME, iStock/ awopa3336, Miran Hussain, tln