„Das Kinder- und Jugendbuch ist politscher geworden“: Experte über Lese-Trends Kultur | 25.11.2019 | Philip Thomas

Hörbücher, Podcasts, Instagramstorys: Die Art, wie junge Menschen Geschichten erfahren, verändert sich. Auch auf der Frankfurter Buchmesse weiß man darum, schließlich macht der digitale Wandel auch vor dem Bücherregal nicht Halt. „Früher war das Buch der Ausgangspunkt, mittlerweile ist es die Vertiefung“, sagt Hendrik Hellige von Frankfurt Kids. Er ist auf der Messe für Kinder- und Jugendbücher zuständig und freut sich bei den Ausstellern über neue Themen wie Gender, Migration und Feminismus.

„Mich fasziniert das Wechselspiel zwischen Philosophie, Geschichte, Text und Bild in dem Genre“, erklärt Hellige die Faszination Kinderbuch. Er hat selbst Kinder und weiß: „Ab 13 rutschen sie in virtuelle Welten weg.“ Unter dem Titel „New Generation“ möchte der 53-Jährige Jugendliche auf der Frankfurter Buchmesse erstmals dort abholen, wo es für sie interessant wird. Der Ausgangspunkt dabei sei nicht zwangsläufig das Medium Buch, sondern Themen, die Kinder und Jugendliche aus Filmen oder dem Internet kennen. Die Schwerpunkte in diesen Medien seien oftmals die gleichen wie in Büchern. „Im Smartphone steht es dann aber nicht als Geschichte“, erklärt Hellige den Unterschied zum Schmöker.  

In Frankfurt seien dieses Jahr Themen wie Umweltschutz, Migration und Sexualität im Trend. „Fridays for Future ist ein großes Thema“, so Hellige. Naturschutz habe mittlerweile ein Gesicht und verbreite Aufbruchsstimmung. Das spiegle sich auch auf der Buchmesse wieder. Daneben spiele bei den Jugendlichen auch Migration und das Aufwachsen fern der eigenen Heimat eine große Rolle. „Treffen zwei unterschiedliche Kulturen aufeinander, stellt das bei Heranwachsenden auch die Frage nach der eigenen Identität“, sagt Hellige.

Die junge Generation interessiere sich natürlich auch für Sexualität: „In den vergangenen zwei, drei Jahren geht es in diesem Zusammenhang vermehrt um Akzeptanz, Gender und Themen wie LGBTQ“ (Lesbisch, Schwul, Bisexuell und Transgender-Community, Anm. der Redaktion), weiß Hellige. Kinder- und Bilderbücher über Homosexualität habe es vor fünf oder zehn Jahren in diesem Ausmaß noch nicht gegeben. „Auch der Feminismus hat Türen geöffnet“, sagt er. Dadurch gelangten Figuren, wie Amelia Earhart oder Coco Chanel bei jungen Leserinnen immer öfter ins Bücherregal.

„Ich habe den Eindruck, dass das Kinder- und Jugendbuch immer politischer wird. Das finde ich gut“, kommentiert Hellige. Auch am amerikanischen Büchermarkt gehe es verstärkt um Themen wie Rassismus und Gleichberechtigung. „Das wird immer konkreter“, sagt er. Das nächste Bücher-Phänomen wie Harry Potter sei indes nur schwer zu prognostizieren. „Vielen Verlegern fehlt in der Hinsicht oft der Mut“, meint Hellige. Ob Zauberer, Vampire oder Freiheitskämpfe in finsteren Welten: „Es braucht immer einen Türöffner, der Rest kommt dann in Wellenbewegungen.“

Die Leselust der Jungen und Jüngsten bleibe hingegen gleichmäßig. „Dass junge Menschen nichts mehr lesen stimmt gar nicht, Kinder- und Jugendbücher werden weiterhin gut gekauft“, betont Hellige. Tatsächlich sind dieses Jahr 1549 internationale Verlage von Kinder- und Jugendmedien auf der Buchmesse zu finden. Immerhin machten Bücher für junge Leser vergangenes Jahr einen Umsatz von 16 Prozent im gesamten deutschen Buchhandel aus. Erfolgreicher ist hierzulande nur Belletristik mit 31 Prozent.

Diese Stellung werde sich laut Hellige in absehbarer Zukunft auch nicht ändern. „Früher war die Geschichte zuerst im Buch“, sagt er. Heute gebe es Storys oftmals in unterschiedlichen Formaten und auf Unterschiedlichen Plattformen. „Vieles geht bei Musik in die Richtung Streaming“, sagt er. Trotz des digitalen Wandels und dem Siegeszug von Social Media ist sich Hellige sicher: „Das Buch wird es auch weiterhin geben.“

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