Das Münster als Lebenszentrum: Ein Spaziergang mit dem Stadthistoriker Peter Kalchthaler Kultur | 24.05.2023 | Erika Weisser

Freiburger Münster

Wer mit Peter Kalchthaler durch Freiburgs Innenstadt geht, kommt nur langsam voran. Alle paar Meter spricht ihn jemand an, ihm unbekannte Passanten, Kollegen, Mitarbeiter der Institutionen, mit denen er in seiner Zeit als Leiter des Museums für Stadtgeschichte und stellvertretender Direktor des Augustinermuseums zu tun hatte. Eine ältere Frau will wissen, ob seine nächste Stadtführung in Amsterdam mit Besuch der Vermeer-Ausstellung denn schon ausgebucht sei. Der Malermeister aus den Museumswerkstätten erkundigt sich, wie er mit seinem frischangetretenen Ruhestand zurechtkomme. Und sichtlich gerührt versichert ihm kurz darauf ein im kulturellen Sektor tätiger Mann von der Sparkasse, dass er ihn „jetzt schon vermisse“.

Es ist zu spüren, dass der Historiker sich über derlei Begegnungen freut, dass er es genießt, ein integraler Teil dieser Stadt zu sein. Das war er schon immer: Kalchthaler ist gebürtiger Freiburger, er hat hier studiert, seine Familie gegründet – und er arbeitete 39 Jahre lang bei den Städtischen Museen. Obwohl er ursprünglich Lehrer werden wollte. Dass er es nicht wurde, hat er „keinen Tag bereut“, sagt er. Im Gegenteil: Als er während seines Kunstgeschichte-Studiums im Augustinermuseum jobbte, habe ihn diese Tätigkeit bald so fasziniert, dass Museumsarbeit für ihn zur Berufung wurde. Das klingt überzeugt – und überzeugend.

Statur

Kein Wunder: Wir verweilen im Innenhof des Wentzingerhauses, das seit 1994 das Museum für Stadtgeschichte beherbergt und seither Mittelpunkt seines kunsthistorischen Wirkens war. Einer der Orte also, die für ihn „von ganz wesentlicher Bedeutung“ sind. Wentzingers Jahreszeiten-Skulpturen stehen um ihn herum, beschattet von gerade grünenden Bäumen – eine stille Oase mit plätscherndem Brunnen und Vogelgezwitscher mitten in der Stadt.

Ein „regelrechtes Kleinod“ sei dieses 1761 erbaute Haus „Zum schönen Eck“, findet Kalchthaler, und erinnert sich an die Mühen der Sanierung des Baudenkmals, das „eines der wenigen im Originalzustand erhaltenen Künstlerhäuser des Spätbarock in Deutschland“ sei.

Von heute aus gesehen, sinniert er, während der wenigen Schritte hin­über zum Münster, seien die damaligen Bauarbeiten so etwas „wie eine Vorwegnahme der Probleme gewesen, die wir heute im Augustinermuseum haben“. Denn in historischen Gemäuern, die man sanieren müsse, wenn man sie erhalten wolle, „ist immer mit Überraschungen zu rechnen“.

Das sei ja auch beim Münster so, sagt er und betrachtet mit Wohlgefallen den in jahrelanger Arbeit gesicherten filigranen Turm. Schon seit Kindertagen spiele dieses Bauwerk in seinem Leben eine zentrale Rolle, „nicht nur als Katholik“. Für ihn war deshalb die große Ausstellung „Baustelle Gotik“ im Jahr 2014 nicht nur beruflich, sondern auch ganz persönlich ein besonderes Highlight.

„Ungeheuer wichtig“ sei für ihn auch die Ausstellung von 2016 über die NS-Zeit in Freiburg gewesen, erzählt er auf dem Weg durch die Franziskanergasse, und bleibt kurz stehen am „wunderbaren Sparkassenbau“ mit der Meckelhalle, wo er auch etliche Ausstellungen organisierte. Er sei froh, dass es ihm zusammen mit Tilman von Stockhausen gelungen sei, „die Stadtverwaltung davon zu überzeugen, dass der geeignete Ort für das NS-Dokuzentrum das ehemalige Verkehrsamt ist“, sagt er einigermaßen stolz, als wir am Rathaus ankommen, wo sein Vater Alfred Kalchthaler jahrzehntelang als Stadtrat wirkte.

 Peter Kalchthaler

Unterwegs in den Unruhestand: Peter Kalchthaler im Innenhof des Museums für Stadtgeschichte, umgeben von Wentzingers Jahreszeiten-Skulpturen.

Dessen Engagement habe ihn „sehr geprägt“, da habe er „mitgekriegt, wie demokratische Entscheidungsprozesse laufen und wie kompliziert sie manchmal sind“. Doch wir gehen nicht die Turmstraße hinunter, zu diesem gerade im Umbau befindlichen Dokuzentrum am Rotteckring, das Kalchthaler als „Meilenstein in der Freiburger Museumslandschaft“ bezeichnet.

Der Weg führt zu einem anderen für ihn wichtigen Ort: zur Uni, wo er sich die Grundlagen für seinen beruflichen Werdegang als „Museumsmensch“ und Geschichtsvermittler aneignete. Und wo – im riesigen Foyer des KG I – seine allererste Ausstellung ihren Platz hatte.

Um die Runde zu schließen, strebt Kalchthaler nun in Richtung Augustinermuseum – und hat bald an jeder Ecke eine Geschichte zu erzählen. Er kennt die Namen der Häuser, die ihrer einstigen Besitzer und ihre Bestimmung; es ist wissensvermittelndes Vergnügen, mit ihm durch die Stadt zu gehen, die wohl nur ganz wenige so gut kennen und kaum einer so erklären kann wie er.

Beim „Augustiner“ angekommen, ist wieder diese Freude zu spüren, die er an seiner Arbeit hatte und die er auch angesichts des Bauwerks empfindet, das „historische und moderne Elemente harmonisch verbindet“. Wenn das Museum für Stadtgeschichte in zwei Jahren hierher umziehe, sagt er, könne er sich „gut vorstellen“, wieder eine Weile hier mitzuarbeiten – mit einem Rentner-Werkvertrag.

Fotos: © iStock.com/RossHelen; Erika Weisser