Die Faszination des cineastischen Puristen: Wim-Wendlers Stipendium für Freiburger Filmemacher Kultur | 18.11.2019 | Erika Weisser

Jan Raiber, Filmemacher aus Freiburg, hat kürzlich eines von vier jährlich vergebenen Wim-Wenders-Stipendien erhalten. Der mit 24.000 Euro dotierte Förderpreis ging an seine noch im Entstehen begriffene, in 360-Grad/3D-Technik gedrehte Dokumentation „Was macht Mut?“. Im Mittelpunkt des Projekts steht der Alltag einer muslimischen Familie, der Raiber durch die Heirat mit einer ihrer Töchter persönlich eng verbunden ist.
Für den 39-jährigen Regisseur ist der Gewinn des von der Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen ausgelobten Stipendiums für mutige und unkonventionelle Filmvorhaben „wie ein Traum“.
Nicht nur, weil gerade dieses renommierte Stipendium „sich ganz gut in der professionellen Vita macht“. Und auch nicht nur, weil es in seiner inzwischen 20 Jahre währenden und schon mit etlichen Preisen ausgezeichneten Tätigkeit als Filmschaffender „überhaupt das erste Mal“ sei, dass er Fördergeld für die Produktion eines Films bekomme. Er freut sich vielmehr auch deshalb über dieses Geld, weil es ihm einen abgesicherten Freiraum eröffne, seine eigenen, oft langfristig angelegten Vorhaben weiter entwickeln zu können, für die ihm „eigentlich zu wenig Zeit bleibt“:
Da seine Frau sich gerade beruflich neu orientiert, sei er „derzeit sozusagen der klassische Alleinernährer“ seiner Familie, zu der auch zwei kleine Kinder gehören. Deshalb arbeite er bei vielen TV-Projekten und sonstigen Aufträgen als freier Kameramann mit – im Brotberuf.
Gerade hat er in Berlin für die ARD einen Spielfilm mit Senta Berger gedreht. Und da die Drehtage schon lange terminiert waren und nicht einfach unterbrochen werden konnten, war er bei der Preisverleihung gar nicht dabei. Das bedauert er sehr, denn es gab dort wie jedes Jahr auch ein gemeinsames Kolloquium mit den Stipendiaten des Vorjahrs, mit den Mitgliedern der Jury und, natürlich, mit Wim Wenders himself.

Fand in Wim Wenders einen Förderer seines Projekts: der Freiburger Regisseur Jan Raiber
Diesen hat Raiber, der in Leipzig zunächst eine Ausbildung als Cutter und dann an der Filmhochschule Ludwigsburg ein Regie- und Kamerastudium absolvierte, im Bewerbungsgespräch als „ausgesprochen sympathisch und meiner Arbeit sehr zugewandt“ erlebt. Und als sehr offen gegenüber allen neuen inhaltlichen und formalen Ansätzen. Er hatte sogar den Eindruck, in Wenders als Vorsitzendem der Jury einen richtigen Förderer seines Experiments gefunden zu haben, „nicht nur wegen der angewandten 360-Grad/
3D-Technik, sondern auch wegen des Themas“. 18 Monate hat er nun Zeit für eingehendere Recherchen zu diesem Thema und für die Produktion eines Trailers: Die ersten Ergebnisse seiner Arbeit muss er beim Stipendiaten-Kolloquium 2020 vorstellen. Dass er dann auch persönlich dabei sein wird, versteht sich von selbst.
Der Film, sagt Raiber, der seit vier Jahren „sehr gerne“ im Raum Freiburg lebt, sei ein ähnlich „unvorhersehbares Abenteuer“ wie sein eigenes, zunächst „ahnungsloses Hineinstolpern“ in diese deutsche Familie, die vor 26 Jahren zum Islam konvertierte. Und deren selbstverständliche religiöse Existenz ihn dazu brachte, „die Welt an allen Ecken und Enden zu hinterfragen“, wie er auch in seiner Bewerbung um das Stipendium schrieb.
Diese Wirkung erhofft Raiber sich auch für seinen Film, der noch unter dem Arbeitstitel „Was macht Mut“ läuft. Er könne sich vorstellen, nach der Fertigstellung damit als „mobiles Kino durch das Land zu touren“. Für die Vorführung der mit 360-Grad-Kameras gedrehten Videos brauche es keine Kinosäle mit großer Projektionsfläche, sie könnten – allerdings mit Spezialbrillen – auch in einer Turnhalle angesehen werden. Und beim Abspielen habe der Zuschauer das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein. Das und die unverstellte Direktheit dieser Filme fasziniere ihn „als cineastischen Puristen“ an dieser Technik.
360-Grad/3D-Filme würden erfolgreich bei der Behandlung bestimmter Phobien, etwa der Spinnenangst, eingesetzt. Möglicherweise könne sein Film als „Konfrontationstherapie für Islamophobe“ in Betracht kommen.
Fotos: @ Jan Raiber, ewei