Ein Geschenk als Schock Kultur | 14.11.2024 | Bernd Serger

Filmplakat Corinna

Die Herren Filmkritiker konnten es nicht fassen. Da hatte sich 1977 in Tübingen ein junges Trio, eine 22-jährige Frau und zwei Männer, zusammengetan, um einen Film zu drehen – und alle hatten sie zuvor noch nie eine Kamera in der Hand oder sonst etwas mit der Produktion eines Films zu tun gehabt. Und dennoch: Statt Mitleid verschaffte sich „Corinna“, so der Filmtitel, Respekt.

Ja, manche Kritiker (und nicht die schlechtesten) fanden die Geschichte von Laien mit Laien über „die ganz normalen Erfahrungen eines Mädchens zwischen dem 14. und 15. Geburtstag“ in ihrer Schlichtheit bezaubernd. Ich gehörte eher nicht dazu. Als Filmkritiker des „Schwäbischen Tagblatts“ hatte ich am 1. Oktober 1977 die heikle Aufgabe, als erster Journalist den Film nach seiner „Welturaufführung“ im Tübinger Kino „Museum“ zu besprechen. Ein Tübinger Film in einer Tübinger Zeitung! Ich sah mir damals den Film (Drehbuch: Antonia Heming) gleich zwei Mal an, um nichts zu übersehen – und kam dennoch zum Schluss, die „Filmproduktionsgemeinschaft Tübingen“ habe da mit ihrem Erstling „zu hoch gegriffen, nicht daneben“.

Dass dieser Film nun am 17. November um 17.30 Uhr im Kommunalen Kino in Freiburg noch einmal in Originalfassung auf großer Leinwand zu sehen ist, also fast 50 Jahre nach seinem Start, ist mein Geschenk (und kleine Wiedergutmachung) an die Regisseurin von „Corinna“, Antonia Heming (heute Townley). Sie feiert im November ihren 70. Geburtstag – und das in Freiburg. Denn hier wohnt sie seit zehn Jahren, arbeitet mit Kindern, malt Aquarelle und hat ein Kinderbuch geschrieben und illustriert.

In jenen Oktobertagen 1977 klingelte es an meiner Wohnungstür. Davor stand Antonia Heming, lächelnd. Sie wollte mit mir über meine Kritik sprechen. Das taten wir – und das tun wir nun wieder, denn seit jenem Tag sind wir befreundet. Deshalb weiß ich auch, wie schwer sie das Erbe dieses Films getragen hat. Trotz sichtbarer Erfolge: „Corinna“ wurde im Januar 1978 in der ZDF-Sendung „Aspekte“ in Ausschnitten gezeigt, lief auf der „Berlinale“ 1978 am Rande des Wettbewerbs. Hans C. Blumenberg („Die Zeit“) und Peter W. Jansen („Frank­furter Rundschau“ und SWF), die Koryphäen der damaligen Filmkritik, beschäftigten sich wohlwollend mit diesem mutigen Debüt.

Doch trotz einer durchweg positiv gestimmten Presse reichte es nicht, „Corinna“ zu einem kommerziellen Erfolg zu machen. Das lag auch daran, dass das Trio auch den Verleih selbst stemmen musste – also mit ihrem Film die Städte und Kinos vor allem im Südwesten abklapperte und das Publikum in ihr Werk einführte. Das Budget von 150.000 DM für das ganze Unternehmen, bestehend aus Krediten und Bürgschaften, war bald alle. Recht schnell galt es, die Schulden abzuarbeiten. Townley wurde deshalb, da besser bezahlt, sogar Pharmareferentin! Die letzten 35-mm-Kopien von „Corinna“ wanderten derweil ins Deutsche Filmmuseum nach Frankfurt.

Von dort kommt nun zur Wiederaufführung Heiko Arendt, selbst Filmemacher, der mitgeholfen hat, „Corinna“ im Archiv auszugraben und für den Privatgebrauch zu digitalisieren. Das aber ging nur mit Einwilligung von Townley. Die Geburtstagsüberraschung war damit dahin. Doch diese Kopie löste bei Townley einen kleinen Schock aus. Denn sie hatte in all den Jahrzehnten, inzwischen sechsfache Mutter, nie mehr über den Film gesprochen und so gut wie nichts davon aufbewahrt. So erfuhren ihre inzwischen erwachsenen Kinder erst jetzt von dem besonderen Vorleben ihrer Mutter – deren Eltern und Geschwister übrigens befürchtet hatten, mit „Corinna“ werde das Familienleben in den Schmutz gezogen.

Heiko Arendt, der sich bei den Kopierarbeiten etwas in „Corinna“ verliebt hatte, regte auch an, den Film noch mal öffentlich vorzuführen. Das Kommunale Kino ließ sich gerne darauf ein.

Filmplakat

Foto: © Archiv Antonia Townley