„Ort der Freiheit“ – Wald als Erholungsraum Freizeit | 13.06.2020 | Arwen Stock

Der Wald ist als Erholungsort gefragter denn je. Der Leiter der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA), Ulrich Schraml, berichtet im Interview mit REGIO-Redakteurin Arwen Stock von der Herausforderung, ihn zu pflegen und zugänglich zu halten.

Der Wald ist mehr als die Summe der Bäume – stimmt der Spruch?
Der Wald ist auf alle Fälle mehr, denn die Bäume stehen dort nicht nur als Pflanze, sondern haben auch eine große kulturelle Bedeutung. Ein Baum steht für Größe und Beständigkeit. Viele Menschen wollen verwurzelt sein, haben diesen Halt in ihrem Alltagsleben aber nicht. Wenn sie in den Wald gehen, finden sie ihre Wurzeln und gehen gestärkt wieder raus.

Gehen deswegen derzeit so viele Menschen in den Wald?
Wir stellen in der Tat fest, dass die Zahl der Waldbesucher seit dem Corona-Ausbruch steigt. Die Menschen sagen uns in unseren Forschungsprojekten, dass sie im Wald den aktuellen Einschränkungen am besten entfliehen können. Man taucht hier in eine andere Welt ein. 

Der Wald ist ein Erholungsort.
Ja, und die Wirkung ist vor allem dann gut, wenn sich Menschen mit der Natur aktiv auseinandersetzen. Am meisten entspannt es, wenn alle Sinne beteiligt sind: wenn der Wald also abwechslungsreich ist, wenn Vögel singen, Bäche plätschern oder man seine Füße ins Wasser tauchen kann. Gerade die Kombination von Wald und Wasser wird von vielen als erholsam beschrieben.

Wie lebensnotwendig ist Wald für den Organismus?
Früher hat man sehr viel über den Sauerstoff und die Filterwirkung der Bäume gesprochen. In jüngster Zeit sind auch diverse Pflanzenstoffe in den Fokus gerückt, die zum Beispiel das Immunsystem stärken. Der Wald liefert also nicht nur saubere Luft.

Hat der Wald heilende Wirkung?
Auch Lärm ist für viele Menschen eine große Belastung. Der Wald mindert seine Wirkung und er liefert angenehme Geräusche, die von gestressten Menschen als heilsam wahrgenommen werden. Insofern ist der Wald sicher ein Ort der Heilung.

War der Wald schon immer so positiv besetzt?
Erholung im Wald spielt schon für viele Generationen eine große Rolle. Den großen Schub hat es in den 1970ern gegeben, ab da hatten die Menschen einfach mehr Zeit. Die Aufmerksamkeit für die gesundheitlichen Wirkungen wurde vor allem in den letzten Jahren immer größer.

Ist der Wald auch ein Ort der Freiheit?
Das wird sicher von vielen Menschen so empfunden. Man darf aber nicht vergessen: Das sogenannte freie Betretungsrecht im Wald funktioniert nur dann gut, wenn jeder sich respektvoll verhält.

Welche Grenzen gibt es?
Der Zugang zu den Wäldern ist nur deshalb möglich, weil die Eigentümer die Wege anlegen, pflegen und zur Verfügung stellen. Für Besucher ist es oft selbstverständlich, dass sich schon irgendjemand um den Wald kümmert und das irgendwie finanziert. Aber das trägt gerade nicht mehr. 

Warum?
Wegen der aktuellen Dürre fällt viel Schadholz an und das Holz kostet praktisch nichts. Bisher haben die Einnahmen aus der Forstwirtschaft die Kosten für die Pflege von Wald und Wegen gedeckt. Das ist derzeit nicht mehr so.

Was sind die Folgen?
Viele Forstbetriebe sind gerade sehr entmutigt. Wenn sie aufgeben, bringt das für alle Waldbesucher Nachteile. Die Wälder, die wir als attraktiv erleben, weisen ein Spiel von Licht und Schatten auf. Solche Wälder entstehen im Zuge der Bewirtschaftung. Deshalb gibt es gerade die Diskussion, wie man Waldbesitzer besser unterstützen kann, damit sie diese Leistungen weiter erbringen. Es geht dabei nicht um eine Maut-Debatte, sondern darum, die Bedeutung des Waldes für die Gesellschaft über Steuermittel wertzuschätzen und damit zu erhalten.

Welchen Einfluss hat der Klimawandel?
Die steigenden Temperaturen und die Dürre bezahlen viele Bäume mit dem Leben und wir mit dem Rückgang von Arten. Man wird sich in manchen Teilen des Schwarzwalds an ein anderes Waldbild gewöhnen müssen.

Braucht der Wald auch den Menschen?
Der  Wald braucht den Menschen nicht. Aber der Mensch braucht Wälder, deren Entwicklung von uns begleitet wird. Gerade im Klimawandel. Die nötige Anpassung  ist mit Hilfe von Pflege und Pflanzungen besser zu gewährleisten, als wenn man alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen würde.

Prof. Dr. UlrichSchraml

Ulrich Schraml, 51,
leitet seit 2019 die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg.
Seine Forschungsschwerpunkte sind Erholung im Wald, Wildtiermanagement sowie der Dialog zwischen Forstwirtschaft und Bevölkerung.

 

 

Foto: © iStock/Xurzon, Andreas Weiss, © Rat für Nachhaltige Entwicklung