„Es gibt keine Knigge-Polizei“: Benimm-Expertin Betül Hanisch im Interview Freiburg geht aus | 01.01.2018 | Tanja Senn

Wer geht zuerst ins Restaurant? Wohin kommt die Serviette? Wie redet man das Servicepersonal an? Auf diese Fragen kennt Betül Hanisch die Antwort. Die 41-jährige ehemalige Flugbegleiterin gibt seit elf Jahren Knigge-Kurse für Bankangestellte, Außendienstmitarbeiter oder Schüler. Mit FGA-Autorin Tanja Senn hat sie übers Anstoßen, Rülpsen und die Kunst der Höflichkeit gesprochen.

Frau Hanisch, kann ich Ihnen was anbieten? Ein Glas Wasser?
Hanisch: Ja, gerne!

Hätten Sie jetzt auch Nein sagen können oder wäre das unhöflich gewesen?
Hanisch: Natürlich darf man auch ablehnen. Aber damit könnte man den Gastgeber verunsichern. Denn Menschen nehmen nur da etwas an, wo sie sich wohlfühlen. Das ist historisch bedingt: Früher hätte es ja sein können, dass Sie mir Gift ins Glas gemischt haben.

Deswegen stößt man ja auch an – damit die Getränke überschwappen und sich vermischen. Aber anstoßen dürften wir mit den Wassergläsern jetzt nicht, oder?
Hanisch: Früher durfte man nur mit Weingläsern anstoßen, aber da haben sich die Knigge-Regeln gelockert. Das hat auch damit zu tun, dass Alkohol am Steuer heute strenger gesehen wird. Wer noch fahren muss oder aus einem anderen Grund keinen Alkohol trinken will, soll nicht ausgeschlossen werden. Man darf also auch mit anderen Getränken anstoßen. Ausnahme sind Heißgetränke – wegen der Gefahr, sich zu verbrühen – und Cocktails – wegen der Dekoration am Rand.

Die Regeln haben also immer einen Grund.
Hanisch: Es gibt immer einen historischen Ursprung. Ich rede allerdings nicht gerne von Regeln, sondern lieber von Empfehlungen. Ob man die akzeptieren will oder nicht, bleibt schließlich jedem selbst überlassen. Es gibt ja keine Knigge-Polizei.

Man muss diese Empfehlungen also nicht sklavisch befolgen, sondern kann sie auf die Situation anpassen?
Hanisch: Auf jeden Fall! Ein Beispiel: Eigentlich soll man aufrecht sitzen, eine handbreit Abstand zum Tisch, die Arme im richtigen Winkel. Wenn ich so steif bei einer Silvesterparty sitze, werde ich nie wieder eingeladen. Was angemessen ist und was nicht, entscheidet man immer selbst. Wenn jemand mit vollem Mund spricht, kann man das unangemessen finden, oder man findet es sympathisch, weil man selbst auch gerne mit vollem Mund spricht.

Wie ist das im Biergarten? Sollte man sich da genauso benehmen wie in einem Sterne-Restaurant?
Hanisch: Generell gilt: Je einfacher das Lokal, umso lockerer darf man sein. Trotzdem sollte man an einer Imbissbude nicht rülpsen und schmatzen.

Was macht man, wenn sich jemand danebenbenimmt? Darf man ihm das sagen?
Hanisch: Je vertrauter man miteinander ist, umso mehr darf man sich rausnehmen. Wichtig ist, dass man es charmant macht. Höflichkeit ist die Kunst, jemanden auf Dinge hinzuweisen, die er nicht beherrscht, ohne ihn bloßzustellen. Als ich noch als Flugbegleiterin gearbeitet habe, hatten wir die Regel: Never educate a customer. Statt „Das habe ich Ihnen doch schon gesagt“ sagt man eben „Ich habe leider noch keine neuen Informationen“. Da sind auch kleine Notlügen erlaubt.

Man darf lügen?!
Hanisch: Ja! Notlügen sind essentiell im gemeinsamen Miteinander! In meinen Kursen rühmen sich die Leute oft damit, dass sie alles ganz offen und ehrlich ansprechen. Dabei merken sie gar nicht, wie oft sie mit ihrer Direktheit in ein Fettnäpfchen treten. Höflichkeit hat immer zum Ziel, dass sich der andere wohlfühlt. Wenn da eine kleine Notlüge hilft, ist das vollkommen in Ordnung.

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