Die meisten Burgen Europas: Tour durchs Elsass Freizeit | 27.08.2019 | Hubert Matt-Willmatt

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Hohkönigsburg, Burg Fleckenstein, die Hohlandsburg oder Burg Lützelstein – das Elsass zählt europaweit die meisten Burganlagen. Viele der gut erhaltenen Ruinen kann man bei Führungen besichtigen. Eine Entdeckung für die ganze Familie.

Lina wurde gerade als Prinzessin geschminkt und sucht sich ein passendes Kleidchen aus, während Max sich an der spannenden Schatzsuche beteiligt. Ihre Mutter ist hingerissen von den toll kostümierten Rittern, die bei den Ritterspielen mit ihren Pferden quer durch den Burghof preschen, während sich der Vater bei einer Besichtigung die fachgerecht ausgeführten Instandhaltungsarbeiten anschaut. In einer Ecke erschallt die Musik eines Minnesängers, nebenan werden Besucher in die Kunst des Bogenschießens eingeführt, und überall bestimmt das Gewusel historisch verkleideter Akteure eines mittelalterlichen Marktes das Bild. In der Luft liegen die Düfte leckerer Rittermahle – man fühlt sich um Jahrhunderte zurückversetzt.

Nicht nur zum alljährlichen Burgentag am 1. Mai werden in den elsässischen Burgruinen zahlreiche Attraktionen und Ausstellungen für die ganze Familie geboten. Zählt man die unter Moos verschwundenen steinernen Überreste zu den noch sichtbar erhaltenen Ruinen, dann kommt man auf die stattliche Zahl von gut 500 Burgen im Elsass. Zahlreiche Ehrenamtliche haben sich zum Ziel gesetzt, diese kulturhistorischen Überbleibsel zu erhalten, zu restaurieren und für Besucher zu erschließen. Gut 80 sind bei Führungen zu besichtigen.

Hochkönigsburg

Weit über das Elsass hinaus bekannt ist die Hohkönigsburg.

Bedeutende Herrschergeschlechter wie die Merowinger, die Karolinger, die Staufer, die Sachsen und die Habsburger sowie Bischöfe, Edelfreie und Ministeriale haben den Landstrich nach der Besiedlung der Kelten, Römer, Alemannen und Franken in Besitz genommen. Sie alle hinterließen besonders im 13. Jahrhundert imposante Bauwerke. Mit Ende des Dreißigjährigen Kriegs wurde das Elsass 1648 französisches Territorium. In den nachfolgenden Kriegen wurden die Burgen zerstört.

Einzelne Wasserschlösser in der Ebene sowie von Stadt- und Befestigungsmauern umgebene Dörfer wie Eguisheim, Turckheim, Dambach-la-Ville oder Bergheim ergänzen und bereichern die Vielfalt der elsässischen Burgenwelt. Im Schwendi-Schloss im malerischen Kientzheim ist der Sitz der elsässischen Weinbruderschaft St. Étienne, in der sich auch ein Weinbaumuseum befindet. Das ist eher was für die Eltern. Deshalb geht’s nach Bergheim: Lina und Max macht es dort besonderen Spaß, entlang der Befestigungsmauer zwischen einigen erhaltenen Türmen herumzulaufen. Im Hexenturm wurden die Frauen in der Zeit zwischen 1582 und 1683 verhört, gefoltert und an die 40 von ihnen grausam verbrannt, wie man eindrücklich im Hexenhaus-Museum sehen kann.

Bergheim

Das Städtchen Bergheim lässt sich bei einem Tagesausflug gut erkunden.

Schatzsuche und Affenberg

Burgruinen, na ja, das reißt zu Beginn einer Reise durchs Elsass vielleicht nicht jeden vom Hocker, deshalb quengeln die beiden Kinder und wollen erst einmal eine „richtige“ Burg sehen. Und klar, die gibt es: Eine der meistbesuchten Attraktionen in Frankreich ist die Hohkönigsburg – elsässisch Haut-Koenigsbourg –, die im 12. Jahrhundert von den Staufern erbaut wurde. 1633 wurde sie zerstört, 1899 schenkte die Stadt Schlettstadt Kaiser Wilhelm II. die Ruine, der die Burg von 1901 bis 1908 als „Wahrzeichen deutscher Kultur“ wiedererbauen ließ. Unter 39 (!) Vorschlägen, die interessante Burg zu besichtigen, kann gewählt werden.

Und dann geht’s anschließend zum Affenberg – 200 Berberaffen rasen durch den Wald … und haben nichts anderes im Sinn, als den Besuchern Futter aus der Hand zu reißen. An der nahen Burg von Kintzheim befindet sich das Raubvogelgehege „Volerie des aigles“ mit einer beeindruckenden 40-minütigen Vorführung seltener Raubvögel, bei der sogar der mutige Max etwas Bammel bekommt, als ein riesiger Kondor über seinen Kopf hinwegrauscht.

Ganz im Norden des Elsass befinden sich die auf rotem Sandstein thronende Burg Fleckenstein sowie die großflächige Burg Lützelstein, die sich auf einem 340 Meter hohen Bergrücken über dem gleichnamigen Ort erhebt. Ende des 12. Jahrhunderts errichtet, wurden die Festungsanlagen, die auch vom Festungsbaumeister Vauban 1705 weiter ausgebaut wurden, 1870 als französische Garnison geschleift. Im Innern befindet sich ein 1566 erbautes Schloss, in dem heute der Naturpark Nordvogesen mit einer sehenswerten Dauerausstellung vorgestellt wird. Eine zweistündige Wanderung ist dem Gedenken an den Aufenthalt des Widerstandskämpfers und Poeten René Char (1907–1988) gewidmet. Danach steht für die Kleinen eine besondere Schatzsuche auf dem Programm.

Vom Wallfahrtsort und Klosterbau der Heiligen „augenheilenden“ Ottilie auf dem Mont St. Odile, der umgeben von der mystischen sogenannten „Heidenmauer“ ist, schaut die Patronin des Elsass auf ihr Land, das so oft im Mittelpunkt kriegerischer Auseinandersetzungen stand.

Die „steinerne Krone“ des Elsass

Zu den imposanten Burgen im mittleren Elsass zählt zweifellos die auf Geheiß von Rudolf von Habsburg um 1280 rechteckig erbaute Hohlandsburg bei Wintzenheim, die als „steinerne Krone“ des Elsass bezeichnet wird. Im Besitz des Departements Haut-Rhin, wird die Anlage seit Jahrzehnten behutsam und getreu historischer Vorlagen in Teilen wiederaufgebaut, um die Burganlage damit als einen touristischen Anziehungspunkt für jedes Alter mit Veranstaltungsbühne, Ausstellungsräumen und Bewirtung zu erschließen. Von dem Gemäuer der Ruine bietet sich eine herrliche Fernsicht. Von dort aus kann man auf einem familienfreundlichen und bequemen 15 Kilometer langen Rundweg noch weitere fünf Burgen erwandern: die Pflixburg, die Drei Exen und die Burg Hageneck.

Wintzenheim-Hohlandsbourg

Zahlreiche Festungen wie die Hohlandsburg laden zur Besichtigung ein.

Über Ribeauvillé, wo am ersten Septemberwochenende immer der traditionelle Pfiffertag stattfindet, ließen die Herren von Rappoltstein drei Wehrburgen erbauen, zu denen sich ein – wenn auch steiler – Aufstieg sehr lohnt. Seit deren Zerstörung lagert im Rathaustresor der Familienschatz, der etwa aus reich verzierten Trinkbechern besteht. Lina bekommt große Augen, als sie bei einer Führung erfährt, dass Maximilian, der letzte Rappoltsteiner, 1806 von Napoleons Gnaden als bayerischer König Max Joseph in München auf den Thron kam. Er war der Großvater von Elisabeth von Bayern, besser bekannt als Kaiserin Sissi, und die kennt Lina aus dem Film mit Romy Schneider ganz genau.

Im südlichen Elsass liegt das Städtchen Ferrette, wo sich der Weg malerisch vom Schloss der Unterstadt zur Ruine einer dreifachen Burg auf 631 Metern Höhe hinaufwindet. Sie entstand wohl um 1125 unter den Grafen von Pfirt. Diese ergriffen während verschiedener Auseinandersetzungen mal für den Basler Bischof, mal für die Habsburger, mal für die Burgunder Partei. 1324 starb das Geschlecht in männlicher Linie aus. Doch Johanna von Pfirt vermählte sich mit dem späteren Herzog Albert II. und wurde zur Stammmutter der Habsburger und als Statue am Wiener Stephansdom verewigt.

Burg Eugisheim

Von dem Mont Sainte Odile hat man eine herrliche Aussicht.

Hier ist Lina in ihrem Element, denn mit ein bisschen Glück kann man in Ferrette sogar einen richtigen Fürsten sehen. Über Kardinal Mazarin kamen die Grimaldis aus Monaco in den Besitz des Städtchens und wurden somit zu Grafen von Ferrette. Deshalb stattet Albert II. von Monaco mit seiner Charlène dem Ort ab und an einen Besuch ab. Hier gibt es allerdings keine Spielbank und keinen Yachthafen, aber in Vieux-Ferrette kann man den wunderbaren Käse der Maîtres Bernard und Jean-Francois Antony verkosten (mehr dazu auf Seite 74). Zudem lässt sich auf Bike- und E-Bike-Touren das Dorf- und Heimatmuseum ‚Musée paysanne’ in Oltingue oder das Feuerwehrmuseum in Vieux-Ferrette mit seiner imposanten Sammlung von Feuerwehrautos besuchen. Eine für Familien geeignete Schatzsuche mit Spiel und Spaß bietet die Smartphone-App „Piste et trésor“. Und nicht weit von der schmalen Wolfsschlucht entfernt, befindet sich die sagenumwobene Grotte des Nains, die Erdwibelehöhle.

Nach der familiengerechten Wanderung lockt die Einkehr in eines der 35 Lokale im elsässischen Sundgau, die zur Vereinigung der „La Route de la Carpe Frite“ – der Straße des gebackenen Karpfens – gehören, in denen aber auch alle bekannten elsässischen Spezialitäten auf der Karte stehen. Die Kinder bestellen glücklich einen leckeren Flammenkuchen.

Info

Soeben erschienen ist die sehr informative und dreisprachige Broschüre zu den Burgen im Elsass: Alsace – terre de châteaux forts – Dem Alltag entfliehen
www.alsaceterredechateaux.com

Das bisher in drei Bänden erschienene gewichtige Standardwerk ist etwas für historisch Interessierte: Thomas Biller, Bernhard Metz
Die Burgen des Elsass, Deutscher Kunstverlag

Wer die Burgen gerne auf Wanderungen erkunden möchte, wird fündig bei:
Margarete Ruthmann
Burgenwandern Vogesen – 26 Rundwege zu spannenden Ruinen
Verlag Regionalkultur, 186 Seiten, 18 Euro

Fotos: © Pictural-Colmar – ADT,  INFRA – ADT – AAA, C.FLEITH – ADT, Pierre-Emmanuel