Im Reich der Gämsen: Rundwanderung durch die Wehraschlucht Freizeit | 29.04.2020 | Stella Schewe

Wald mit Weg

Felstunnel, Bannwald mit Bäumen wie zu Urzeiten und hohe Felswände, an denen Gämsen klettern – das erwartet Wanderer in der Wehraschlucht, ganz im Süden der REGIO. Mit 17 Kilometern und knapp 850 Höhenmetern ist die Tour so anstrengend wie spektakulär.

Sie gilt als „Tor zum Naturpark Südschwarzwald“: die kleine Stadt Wehr, die sich – eingebettet in die Ausläufer des Dinkelbergs und Hotzenwaldes – zwischen Mischwäldern, Streuobstwiesen und Auen entlang der Wehra bis zum Hochrhein erstreckt. Die Heimat der Geigerin Anne-Sophie Mutter punktet mit mehr als 120 Wanderwegen, zwei davon kombiniert diese Rundwanderung: einen Teil der letzten Etappe des Schluchtensteigs und den Wehratal-Erlebnispfad.

Start- und Endpunkt ist der Wanderparkplatz am Hallen- und Freibad. Von hier aus geht es die Frankenmattstraße entlang und dann nach links auf einen Schotterweg zur St.-Wolfgangs-Kapelle, wo die Beschilderung des Wehratalwegs startet. Sie führt die Wanderer an der Fischerhütte vorbei zum Staudamm und die vielen Stufen hoch zum Stausee. Hier heißt es, sich für eine der beiden Routen zu entscheiden. Die vorgezeichnete führt am rechten Seeufer entlang zum Wehratal-Erlebnispfad und kehrt über die Schluchtensteigetappe am linken Seeufer zurück. An kühleren Tagen empfiehlt es sich aber, im Uhrzeigersinn zu laufen: Das linke Ufer auf der Westseite hat nämlich auch schon am Vormittag Sonne, ein klarer Pluspunkt.

Also ab nach links, immer der gelben und auch der grün geränderten Raute des Schluchtensteigs nach, auf einem breiten Forstweg am Ufer entlang. Im Hintergrund läuten, immer leiser werdend, die Kirchenglocken in Wehr. Ganz allmählich geht es in die Höhe, tief unten glitzert dunkel das sich kräuselnde Wasser des Wehrabeckens. Die Sonne wärmt, es duftet nach Holz und Tannen. Warum diese Wanderung als „wildromantisch“ gilt, das erschließt sich nach etwa einer Stunde. Beim Holzschild mit der Aufschrift „Jokisebene“ führt ein schmaler Pfad bergauf.

Auf ins Freilandlabor

Ab jetzt geht es über Stock und Stein – Wanderstöcke sind hier durchaus zu empfehlen – durch den Bannwald: ein „Totalreservat“, in dem jegliche forstliche Nutzung ruht und die Natur sich selbst überlassen wird. So kann sich die Vegetation ungestört entwickeln; Bannwälder gelten Wissenschaftlern als „Freilandlaboratorien“. Die Schreie eines Raubvogels sind zu hören, links und rechts des Wegs geht es steil hinauf und hinab, immer wieder säumen umgestürzte Bäume den Pfad. Die mit zartgrünem Moos überwachsenen Stämme erinnern an eine Märchenlandschaft. Fehlen nur noch Feen oder Trolle, die dahinter hervorlugen.

Immer wieder geht es über Bäche, die an den steilen Hängen kleine Wasserfälle bilden. Mal heißt es, große Schritte tun, mal geht es über kleine Holzbrücken, das Ganze immer weiter bergauf, durchaus schweißtreibend. Überall am Wegesrand wachsen Heidelbeersträucher mit zarten, kleinen, noch hellroten Früchten – im Sommer sicherlich ein Paradies für Beerenliebhaber.

Dann taucht nach einer Biegung plötzlich der perfekte Picknickort auf: eine Bank mit sensationeller Sicht – zwei Holzschilder lenken den Blick – auf die gegenüberliegende Wand der Wehraschlucht und die dort in schwindelnder Höhe klebende Felsenhütte. Von unten im Tal steigt die Wärme nach oben; Käsebrote, Couscous-Salat, Äpfel und Kekse schmecken nach diesem Aufstieg überaus lecker. Was für eine herrliche Wanderung!

Wasserfall

Sprudelndes Wasser, frisches Grün und sensationelle Aussichten – die lange Wanderung bietet viel Abwechslung.

Doch noch ist nicht mal die Hälfte geschafft. Insgesamt fünf Kilometer lang ist der kleine Pfad, der schließlich nach unten in die Schlucht führt, durch die parallel zur Wehra die Straße verläuft. Eine alte Steinbrücke, die Ehwaldbrücke, führt über das Flüsschen; sie ist ein Überbleibsel der ab 1848 erbauten ersten Wehratalstraße. Dass man über sie nach Todtmoos kommt, ist heute selbstverständlich – war es aber bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs. Nur Flößer wagten sich damals in die unwegsame Schlucht hinein.

Hier ist der Wendepunkt der Tour. Wer genug gewandert ist, kann an der Brücke den Bus zurück nach Wehr nehmen. Wer noch Power hat, folgt dem Schluchtensteig und kraxelt auf der anderen Seite der Schlucht wieder steil nach oben. Der Sägebach weist den Weg, immer höher geht es, bis man an einer Gabelung den Schluchtensteig verlässt und auf einem breiteren und deutlich gemütlicheren Weg Richtung
Ehwaldhütte läuft.

Blick aus der Vogelperspektive

Was vorhin in weiter Ferne war, liegt jetzt plötzlich direkt am Weg: die Felsenhütte, die sich mit ihrer traumhaften Aussicht für eine zweite Pause anbietet. Auf den Hängen gegenüber drehen sich Windräder, tief unten schlängeln sich Flüsschen und Straße durchs Tal. Bei diesem Blick aus der Vogelperspektive ist Schwindelfreiheit von Vorteil. Jetzt folgt die Route dem Wehratal-Erlebnispfad, Infotafeln am Wegesrand informieren über Naturschutz, Bannwald, Gämsen und vieles mehr.

Langsam geht es bergab, eine Bank mit Sicht auf das Wehrabecken lädt zu einer letzten Verschnaufpause. Danach führt der Weg hinunter zum Kavernenkraftwerk und schließlich ein Stück an der Straße entlang zum Stausee und nach Wehr zurück. Abwechslungsreich, landschaftlich traumhaft und durchaus wildromantisch, aber anstrengend. Gute Ausdauer ist daher Voraussetzung für alle, die die ganze Strecke laufen möchten.

Info

Dauer: circa 6 Stunden
Länge: 16,7 km
Aufstieg: 845 Höhenmeter
Abstieg: 842 Höhenmeter

Fotos: © Klaus Hansen/Tourist-Info Wehr, ste