Bepöbelt und beschimpft: Freiburger Jude wird wochenlang angefeindet Kultur | 05.05.2019 | Till Neumann

Antisemitismus greift um sich. Das zeigt der Fall eines jungen Freiburgers, der seine Geschichte dem chilli anvertraut. Bei der Israelitischen Gemeinde heißt es: Antisemitismus ist hier Alltag. An der Synagoge wurde laut Gemeindevorsitzender Irina Katz Feuer gelegt.

Emil Müller (Name geändert) steht fest im Leben. Der junge Mann aus Freiburg macht leidenschaftlich gerne Sport und arbeitet mit jungen Menschen. Daraus, dass er jüdischen Gaubens ist, macht er kein Geheimnis, sagt er im chilli-Gespräch in seiner Wohnung.

Vor einigen Monaten outete er sich spontan vor einem Jungen, den er betreut. „Alle Juden haben so viel Geld“, schimpfte dieser. „Glaubst du, dann würde ich hier arbeiten?“, erwiderte er. Einige Tage später warf ihm ein zweiter Jugendlicher eine Münze vor die Füße. Als Müller nicht reagierte, sagte er: „Du bist kein Jude, sonst würdest du dich jetzt auf das Geld stürzen.“

Der Vorfall ist der Anfang einer wochenlangen Schikane. „Das hat sich richtig hochgeschaukelt“, erzählt Müller. Wörter wie „Judensau“, Hitlergrüße und Hakenkreuze begegneten ihm nun fast täglich. Manche sogar mit Kot auf die Toilette geschmiert. Dahinter stehen laut Müller junge Menschen, die kurioserweise alle Wurzeln im Aus-­ land haben. Anstifter ist vor allem einer. „Er war der krasseste Nazi, hat Hitler hart gefeiert.“ Ein anderer habe dafür keinen blassen Schimmer von der NS-Diktatur, habe aber trotzdem mitgemacht, erzählt Müller. Er blieb ruhig, setzte auf Deeskalation.

Die Verbalangriffe wurden schlimmer. Ein Geflüchteter drohte sogar, ihn umzubringen. „Das war kein Spaß mehr“, so Müller. Also erstattete er Anzeige, ging aber trotzdem weiter arbeiten. „Das war völlig crazy, ich habe unruhig geschlafen“, sagt seine Lebensgefährtin. Noch heute bedrücken sie die Vorfälle. Wenn sie Bekannten erzählt, dass ihr Freund Jude ist, spürt sie Irritationen: „Die Blicke auf ihn ändern sich.“

„Das ist fürchterlich, aber Alltag“

Irina Katz

Für Irina Katz sind Anfeindungen keine Ausnahme. „Das ist fürchterlich, aber Alltag“, sagt die Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde in Freiburg. „Wir werden sehr oft angepöbelt oder beschimpft.“ Es würden sogar Dosen oder Flaschen fliegen. Ende Oktober habe jemand ein Feuer an den Treppen der Synagoge gelegt und die Stufen beschmiert. Sechs, sieben Mal hätten sie zuletzt Anzeige erstattet, passiert sei nichts. Die Polizei tue das als Einzelfälle ab.

Bei der Staatsanwaltschaft wehrt man sich dagegen. „Wir gehen den Fällen nach wie allen anderen auch“, betonte Sprecherin Martina Wilke. Bei Straftaten werde ermittelt. Sei jedoch zum Beispiel bei Schmierereien kein Täter zu ermitteln, werde das fallengelassen. Das Verfahren von Müller läuft noch.

Dem chilli ist ein Fall aus Baden-Württemberg bekannt, bei dem eine jüdische Familie nun aus Angst vor Übergriffen Deutschland verlässt. Einen solchen Fall kennt Irina Katz nicht. „Aber die Leute sind beunruhigt.“ Sie wünscht sich mehr Sensibilisierung an Schulen und begrüßt, dass es nun Meldestellen für Vorfälle gibt und Landesbeauftragte berufen wurden.

In Baden-Württemberg ist das Michael Blume. „Auch hier verzeichnen wir leider einen deutlichen Anstieg antisemitischer und rassistischer Vorfälle, vor allem – aber nicht nur – im Internet“, teilt er dem chilli mit. Im Sommer werde er dem Landtag Handlungsempfehlungen vorlegen. Zahlen des Landeskriminalamts zeigen die Dringlichkeit: Landesweit gab es 2017 noch 99 antisemitische Straftaten. 2018 waren es 136. Auch in Freiburg steigt die Zahl der Fälle (2017: 4; 2018: 8). Auf Bundesebene stuft die Polizei die meisten Taten als rechtsextremistisch motiviert ein.

Für Emil Müller ist die Lage derzeit besser. Aber nur, weil der aggressive Jugendliche in Haft sitzt – wegen eines anderen Vorfalls.

Fotos: @ Till Neumann & privat