„Das macht sonst nur MTV Unplugged“: Die Macher des WeLive-Festivals im Interview Kultur | 18.07.2021 | Till Neumann

Kunst, kein Stream: Das WeLive- Festival hat zuletzt die Freiburger Band Fatcat mit Gastsängerin Hannah Wilhelm in Szene gesetzt.

Musik-Streams gab es viele in Corona-Zeiten. Die Idee von Pirmin und Maik Styrnol geht weit darüber hinaus: Die Brüder aus Lahr haben mit dem WeLive-Festival aufwendige Konzertfilme produziert und damit zwei Preise gewonnen. „Vergessene“ Bands sollen so ins Rampenlicht rücken. Warum ihr Vorhaben die Pandemie überleben kann, erzählen die Macher im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann.

cultur.zeit: Die Kultur steht vor dem Restart. Ist das WeLive-Festival damit überflüssig?

Pirmin: Nein, das ganz sicher nicht. Es ist doch toll, dass endlich wieder was geht. Wir warten selbst seit Ewigkeiten darauf. Wir haben am Sonntag (20. Juni) mit Fatcat und Hannah Wilhelm einen Film veröffentlicht. Der wurde nicht weniger angeguckt als die Filme von vor einem Jahr. Ich bin überzeugt: Das funktioniert weiter. Es gibt so tolle Künstler, die vom „Mainstream“ vergessen werden und denen wir eine große Bühne bieten können. Material und Ideen haben wir genug.

cultur.zeit: Es gab unzählige Streams. Eure Idee ist anders. Wie kamt ihr darauf?

Maik: Wir hatten das Gefühl, dass die Livestreams zum Großteil gut gemacht sind, aber trotzdem den Musikern nicht gerecht wurden. Wir haben uns gefragt: Was können wir besser oder anders machen? Das sind Planung und Nachproduktion eines Drehs. So wollten wir ein Produkt schaffen, das die Band auch nach Corona verwenden kann. Ein Livestream wird einmal gespielt und ist dann weg. Ein guter Konzertfilm bleibt ewig.
Pirmin: Ein Livestream möchte kein Film sein, er möchte übertragen. Wir möchten ein Kunstprojekt sein, das die Arbeit der Künstler auf eine weitere Ebene setzt. Ist der FC Bayern besser als die Adler Mannheim? Nein, die einen spielen Fußball und die anderen Eishockey. Ich denke, dass man das nicht vergleichen sollte.

Bieten regionalen Bands ein außergewöhnliches Format: Maik (links) und Pirmin Styrnol.

cultur.zeit: Großer Sport ist teuer. Was kostet eine Produktion?

Pirmin: Was sie wirklich kostet? Oder was sie kostet, nachdem wir auf Geld verzichtet haben (lacht)? Pro Film liegen wir bei 25.000 bis 45.000 Euro – je nach Location und Act. Das ist das Geld, das man haben müsste, damit auch die Arbeit von Maik und mir adäquat bezahlt wird – und man nicht irgendwo unterhalb des Mindestlohnsektors rumdümpelt. Im letzten Jahr war das nicht mal ansatzweise möglich. Da hatten wir ein paar Sponsoren, die uns einfach vertraut haben. Denen sind wir unheimlich dankbar. Man muss aber auch sagen: Viele Leute haben sich an den Kopf gefasst und gesagt: Die spinnen, die wollen Livemusik nicht mal live zeigen.

cultur.zeit: Weil es das so noch nicht gab?

Maik: Das macht sonst nur MTV Unplugged – und das war’s. Nicht mal die Super Bowl Half Time Show ist ein Film. Die machen das alle live. Wir wollten das nicht. Das den Leuten zu erklären, ohne etwas in der Hand zu haben, war schwierig. Nach sechs produzierten Filmen hat man uns dieses Jahr aber zugehört. Wir haben viele Sponsoren, vor allem auch Politiker überzeugen können. Daher können wir die Idee jetzt auch in ganz Baden-Württemberg anbieten. Komplett ist das Projekt damit aber noch lange nicht.

cultur.zeit: Was unterscheidet euch von MTV?

Pirmin: MTV Unplugged macht gefühlt drei Mal Udo Lindenberg. Wir möchten etwas anbieten, das es in der deutschen Kulturszene nicht gibt. Nämlich dieses Level an Kameraausstattung und Postproduktion, das wir sonst für Uriah Heep oder bei Deep Purple bringen, regionalen Künstlern zu bieten. Fatcat haben die bei MTV übrigens noch nie eingeladen.

cultur.zeit: Ihr dreht mit 10 bis 15 Kameras. Wie viele Leute arbeiten an einem Film?

Maik: In der Sternberghalle in Friesenheim waren es inklusive Fatcat etwa 30 Leute. Mit dabei auch die Ehrenamtlichen der Lahrer Rockwerkstatt. Ohne so einen total verrückten Verein würde es nicht gehen. Wir haben wochenlange Vorplanungen, danach bin ich vier Wochen im Schnitt. Auch in die Planung der Veröffentlichung stecken wir viel Zeit. Das haben wir anderen Projekten voraus.

cultur.zeit: Wie sehr beutet ihr euch dabei aus?

Maik: Ich hatte noch keinen Sonnentag dieses Jahr.
Pirmin: Erst jetzt fängt es an, dass finanziell was bei rumkommt. Wir haben uns ein Ei ins Nest gelegt, als wir gesagt haben, die Künstler sollen nicht kostenlos auftreten. Es gab schon Diskussionen mit Leuten von außerhalb, die gesagt haben: Ihr stellt den Künstlern jetzt schon Filme hin, die einen fünfstelligen Betrag kosten, jetzt wollt ihr auch noch Geld dafür bezahlen? Wir sind aber der Meinung: Wir können nicht auf der einen Seite immer sagen, die Künstler sollen nicht ständig auf Hut spielen. Und dann auf der anderen Seite selbst kommen und erwarten, dass die Künstler bei uns umsonst auftreten. Da möchten wir auch ein Zeichen setzen.

cultur.zeit: Was wünscht ihr euch für den Kulturneustart?

Maik: Wir wünschen uns, dass es nicht zur Normalität zurückkehrt, sondern besser wird. Künstler konnten auch vorher fast nicht von ihrer Kunst leben. Zu etwas zurückzugehen, womit keiner wirklich zufrieden war, finde ich jetzt nicht wirklich gerechtfertigt. Wir sollten jetzt die Unterstützung, die Kommunen oder Städte geboten haben, fortsetzen.
Pirmin: Unsere Kritik geht auch in Richtung vieler Medien: Ich fand es schon am Anfang der Krise sehr befremdlich, dass viele gute Angebote von regionalen Musikern einfach übersehen wurden. Das hat sich nicht verbessert. Das geht bei Radiostationen los. Die sagen: Ich spiele James Blunt, aber ein Singer-Songwriter wie Dominik Büchele passt nicht ins Programm. Da fasse ich mir an den Kopf. Das macht einfach keinen Sinn.

Preisgekröntes Projekt

Das Online-Festival der Lahrer Rockwerkstatt und des punchline Studios in Lahr der Brüder Maik und Pirmin Styrnol hat seit Februar 2019 sieben Konzertfilme veröffentlicht. Fünf weitere sind geplant. Dafür touren die WeLive-Macher durch Baden-Württemberg. Auch ein Film in Strasbourg ist anvisiert. Für ihre Idee haben die Styrnol-Brüder den Deutschen Rock-und-Pop-Preis erhalten und sind mit dem Alternativen Medienpreis ausgezeichnet worden.

Fotos: © FATCAT & Hannah Wilhelm, Alexandre Goebel

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