Film-Tipp: Drive my Car Kultur | 02.01.2022 | Erika Weisser

Drive my car

Zunächst ist da nur die Nahaufnahme einer schönen Frau vor einem Fenster mit Blick auf den abenddämmrigen Himmel hinter einer Hochhaus-Silhouette. Doch sie ist nicht allein: Fast atemlos erzählt sie eine Geschichte, die eher einem Traum als der Wirklichkeit zu entstammen scheint.

Der, dem sie erzählt, ist nur zu hören; hin und wieder fragt eine Männerstimme nach Details. Als die Kamera wegzoomt, kommt das breite Bett ins Bild, auf dem er liegt und sie sitzt. Bei dem Paar handelt es sich um die Drehbuchautorin Oto und den Schauspieler und Regisseur Yusuke. Seit mehr als 20 Jahren sind sie zusammen, glücklich, in tiefer Liebe und gegenseitigem Respekt verbunden – und, wie später zu erfahren ist, in der Trauer um ihre im Kindesalter verstorbene Tochter.

Was ebenfalls erst im Verlauf der Handlung klar wird: Oto erfindet ihre kreativen Geschichten immer nach einem Orgasmus – und vergisst sie danach wieder. Yusuke hingegen merkt sich jede ihrer Phantasien – und wiederholt sie ihr anderntags; offenbar finden sie Verwendung in ihren Drehbüchern.

Drive my car

Als eine geplante Dienstreise erst kurz vor dem Abflug um einen Tag verschoben wird und er nach Hause zurückkehrt, trifft er sie, ohne selbst bemerkt zu werden, mit einem anderen Mann an. Er verlässt die Wohnung und geht in ein Hotel; abends unterhalten sie sich über Skype, als wäre nichts geschehen. Nach einer Woche kommt Yusuke von der inzwischen angetretenen Reise zurück und alles scheint wie immer: Sie schlafen miteinander, Oto spinnt ihre Geschichte weiter, er hört ihr zu – doch morgens, bevor er zur Arbeit aufbricht, sagt sie, dass sie später reden müssten.

Drive my car

Dazu kommt es nicht mehr; als er zu Hause eintrifft, ist sie bewusstlos. Sie hatte ein Aneurysma, der sofort gerufene Rettungswagen kommt zu spät.
Yusuke verwindet Otos Tod nicht – zumal er das Gefühl hat, dass sie ein Geheimnis mitgenommen hat, dem er auf die Spur kommen muss.

Zwei Jahre danach fährt er zu einem Theaterfestival nach Hiroshima, wo er Tschechows Onkel Wanja inszenieren soll. Zu seiner Überraschung hat die Festivalleitung die junge Fahrerin Misaki engagiert, die ihn in seinem Auto überallhin chauffiert. Und zur weiteren Überraschung trifft er im Ensemble den Schauspieler Takatsuki, in dem er den Liebhaber seiner Frau erkennt. Nach einigen Auseinandersetzungen mit ihm und vielen Gesprächen und langen – eindrücklich gefilmten – Fahrten mit Misaki kommt Yusuke Otos Geheimnis näher – und zur Einsicht, dass er es gar nicht kennen muss.

Eine ausgezeichnete Weiterentwicklung von Haruki Murakamis gleichnamiger Kurzgeschichte – in Cannes mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet und als japanischer Beitrag zur Oscar-Verleihung 2022 nominiert. 


Drive my Car
Japan
Regie: Ryusuke Hamaguchi
Mit: Hidotoshi Nishijima, Masaki Okada, Toko Miura, Reika Kirishima, Park Yurim u.a.
Verleih: Rapid Eye Movies
Laufzeit: 179 Minuten
Start: 23. Dezember 2021

 

 

Fotos: © Rapid Eye Movies