Grenzgänger mit Bogen: Trauer um Superdirt-Cellist Daniel Fritzsche Kultur | 28.10.2019 | Till Neumann

Cellist Daniel Fritzsche

Vier Jahre lang hat das Klassik-Elektro-Duo Superdirt2 am zweiten Album gearbeitet. Nun ist es fertig, die Release-Tour soll starten. Doch Cellist Daniel Fritzsche ist im September überraschend gestorben. Nicht nur sein Freund und Bandkollege Vincent Rateau ist geschockt. Viele Weggefährten trauern um den Musiker. Die Tour soll trotzdem steigen – irgendwie.

36 Jahre alt ist Daniel Fritzsche geworden. Er war Berufsmusiker, spielte im Orchester des Nationaltheaters Mannheim, in einem Barock-Ensemble in Rastatt und experimentierte mit den Duos „Strings Intemporal“ und Superdirt2. Mit Letzterem hatte er gerade eine Hürde genommen: die Produktion des zweiten Albums „Opus 2“. Doch die Release-Tour ist plötzlich auf den Kopf gestellt.

Unerwartet starb er in Folge einer Diabetes-Erkrankung. Bandkollege Vincent Rateau ringt um Worte: „Ich weiß nicht, wie es weitergeht.“ Acht Tourtermine seien geplant. Ersetzen könne er Daniel nicht. „Es gibt keinen anderen Musiker, mit dem das so eine Symbiose war.“ Rateau produzierte Beats, legte auf, mixte mit Effektgeräten und spielte Keyboard. Fritzsche improvisierte dazu auf dem Cello.

„Wir mussten nicht viel reden, hatten unsere eigene Sprache mit den Augen“, erzählt Rateau. Ihre Improvisationen haben ihn gefesselt. „Es war unglaublich, es floss einfach.“ Leute hätten ihnen nach Konzerten gesagt: „Krass, wie ihr euch anschaut.“ 128 Shows spielten sie gemeinsam.

Begegnet sind sich die beiden zum ersten Mal in Freiburg Anfang der 2000er-Jahre. Durch Zufall fuhren sie zusammen auf eine Party. Erst 2007 kreuzten sich ihre Wege erneut. Fritzsche wollte mit dem Gitarristen Matthias Eberhard als „Strings Intemporal“ eine CD herausbringen. Der in Freiburg lebende Franzose Rateau wurde für die Aufnahmen engagiert. Sie verstanden sich auf Anhieb gut.

Der in Freiburg und Lörrach groß gewordene Fritzsche wandelte damals auch auf Solopfaden. Als Käpt’n Dirt machte er „Acoustic Minimal“ mit Loopstation und Cello. Ihr erstes gemeinsames Konzert spielten sie in der KTS. Der Mix aus Elektro-Beats und Cello-Improvisationen war als einmaliges Experiment geplant. „Ich habe viel produziert damals, Reggae und Metal. Von Elektro hatte ich keinen Plan“, erinnert sich Rateau. Viel Mühe habe er sich für die KTS-Show daher nicht gegeben. Dennoch kam das Duo an. „Das ist eingeschlagen wie eine Bombe, wir hatten direkt eine Anfrage fürs nächste Konzert“, erzählt Rateau.

So gründeten die beiden Superdirt2 – als Steigerung von Käpt’n Dirt. Ihr Rezept: Klassisches Cello trifft dreckige Elektrobeats. Der Mix ist für Rateau einzigartig: „Wir haben einen neuen Musikstil kreiert, Vergleichbares gibt es nicht.“ Viele DJs würden Musiker auf Beats dudeln lassen, bei ihnen seien es aber richtige Songs.

Superdirt2: Daniel Fritzsche und Vincent Rateau

2011 gründete sich die Formation. 2013 erschien das erste Album „Algoriddims“. Darunter die sphärisch-wabernde Single „Mademoiselle“. Ein fesselnder Instrumental-Track mit französischen Wortfetzen. Das Video zeigt sie wie in Trance vor einem Hangar in Neuseeland spielend. 2014 tourten sie zu dritt durch den Inselstaat. In zwei Monaten spielten sie dort 30 Shows mit Strings Intemporal und Superdirt2.

„Wir sind immer der Idee gefolgt, alles live zu spielen“, erklärt Rateau. Auf dem ersten Album sei das noch etwas improvisiert gewesen. Er habe Beats gebaut, Daniel dazu gespielt. Mit der neuen Platte wollten sie das nächste Level erreichen. „Wir haben zwei Jahre länger gebraucht als geplant, wollten keine Kompromisse, nur das Beste sollte auf CD kommen“, erzählt Rateau.

Jetzt hat er 1000 CDs und 500 Vinylplatten im Regal und versucht, den Schock zu verdauen. „Der ganz große Wille, die Tour durchzuziehen, ist da.“ Auch wenn er noch nicht wisse, wie das gehen soll. Die Releaseparty ist für den 8. November im Artik geplant. Rateau will viele Musiker auf die Bühne bringen, die Daniel begleitet haben. „Die Release-Tour ist für mich die letzte Chance, das Projekt abzuschließen und unsere gemeinsame Musik noch mal wirklich zu zelebrieren“, schreibt Rateau auf Facebook.

Auch Matthias Eberhard von Strings Intemporal wird dabei sein. „Der Abend wird großartig“, ist der 37-Jährige überzeugt. Er kannte Fritzsche seit Teenagerzeiten und sagt: „Eine Kopie von Daniel ist unmöglich.“ Stile zu kombinieren, sei dessen Alleinstellungsmerkmal. Viel habe er von ihm gelernt. Für das kommende Jahr war auch bei ihnen ein Album geplant. Was aus den Songs werde, weiß er noch nicht.

Für Vincent Rateau hat sein Kollege eine Zeitreise gestartet. Schon immer hätten sie bandintern gewitzelt, dass sie aus der Zukunft kommen. Sie hätten sich bereits in die Barockzeit gebeamt und Mozart kennengelernt. Zum Beweis haben sie eine Zeichnung ins Booklet von Opus 2 gepackt. Es zeigt sie mit Mozartperücken an ihren Instrumenten. Dahinter stehen zwei Stapel elektrischer Geräte.

Warum Fritzsche gegangen ist? „Manche sagen, er hatte noch was mit Mozart und Kurt Cobain zu besprechen“, schreibt Rateau. Vielleicht werde man bald das dritte Album von Superdirt bei Ausgrabungen in Ägypten finden. Eins ist für ihn sicher: Daniels neue Zeitreise ist die Fortsetzung seiner Suche nach Inspiration.

Fotos: © Superdirt2