In Horben liegt Europas größtes Archiv von Schellackplatten und Grammophonen Kultur | 19.11.2020 | Philip Thomas

Andreas Schmauder ist stolzer Besitzer von rund 100 Grammophonen und der wohl größten Sammlung historischer Tonträger auf dem Kontinent. In seinem Plattenantiquariat „Phonopassion“ stapeln sich Schellackscheiben sortiert bis unter die Decke. Alt, aber modisch: Ein Freiburger DJ legt ihren Sound neu auf.

Schmauder hatte schon immer ein Faible für alte Dinge. „Mit sieben Jahren habe ich auf dem Flohmarkt meine Comichefte verkauft“, erzählt er. Sogar den eigenen Kinderwagen habe er dort versilbert. „Davon habe ich mir dann alte Bücher gekauft“, so der heute 57-Jährige. Von Baden-Baden bis Freiburg hat er dann auf Trödelmärkten in die Klamottenkisten geguckt. „1986 bin ich schließlich auf einem englischen Flea Market auf ein altes Grammophon gestoßen“, berichtet er. Für 55 Pfund habe er sich damals außerdem noch kostenlos 30 Schellackplatten aussuchen dürfen.

Andreas Schmauder

Klangwelten: Andreas Schmauder verkauft jährlich 10.000 Schellackplatten, in seinem Laden gibt es einen bunten Mix aus historischen Artefakten.

Der Vorläufer von Vinyl ist mit 25 Zentimetern Durchmesser kleiner, hat tiefere Rillen und ist zerbrechlicher. Auf eine Seite passt ein Song. „Meine ersten Platten habe ich allesamt ruiniert“, lacht der Sammler in seinem Haus in Horben. Was Schmauder damals nicht wusste: Eine Grammophonnadel ist auch wegen der schweren Tonabnehmer praktisch nur ein Lied lang zu gebrauchen. Der spitze Stahl wird deswegen in Packungen zu 200 Stücken verkauft. Die Döschen sind heute begehrte Sammelobjekte.

Zwar gebe es auch andere Grammophonsammler und auch große Plattenkollektionen. In der Größenordnung sei die Kombination von Musikabspieler und Medium allerdings ziemlich einmalig. Viele seiner 80 bis 100 Grammophone haben rund 90 Jahre auf dem Buckel. Nicht jedes der gut gepflegten Geräte trägt den charakteristischen Trichter. „Die sind Mitte der 20er-Jahre verschwunden“, erklärt Schmauder.

Auch auf Flohmärkten sind die Geräte immer seltener zu finden. Grammophone gräbt der studierte Archäologe dort heute kaum noch aus. „95 Prozent sind mittlerweile Nachbauten aus Indien“, sagt er. Für schöne Stücke besuche er Spezialbörsen und Sammlungsauflösungen. Sein Hobby hat er bald zum Beruf gemacht. Der Händler verkauft im Jahr rund fünf Grammophone und bis zu 10.000 Schellackplatten mit sechsstelligem Umsatz.

Dass der Schellack-Sound nicht tot ist, beweist auch Sascha Brosamer. Der Klangkünstler aus Freiburg legt seit 2016 mit Reise-Grammophonen in Clubs und Kunstausstellungen auf und spannt einen Bogen zu moderner, elektronischer Musik: „Ich bediene mich bei alter vergangener Technologie und mache daraus abstrakte elektronische Musik.“ Der 36-Jährige experimentiert dazu auch mit präparierten Schellackplatten. Auch für ihn sind die Nebengeräusche und das Maschinenartige der Grammophone ein Mehrwert: „Das entspricht der Idee von Techno.“

Dj-Brosamer

Klangkünstler: Sascha Brosamer nutzt alte Technologie für moderne Technomusik.

In Schmauders Archiv Phonopassion rotieren die Platten mit konstanten 78 Umdrehungen pro Minute. Laut dem Besitzer ist es das größte Schellackplatten-Antiquariat in Europa. Weil der Platz in seinem Haus langsam eng wurde, habe Schmauder vor einigen Jahren anbauen müssen. Sein Ladenbestand umfasst rund 300.000 Tonträger, die bis 1960 datieren. „Danach wurde Musik praktisch nicht mehr auf Schellack gepresst“, erklärt er. Sieben Jahre habe es gedauert, um die Platten abseits seiner rund 50.000 Exemplare großen Privatsammlung numerisch zu sortieren. Wegen ihres Zustands oder unterschiedlicher Lagermethoden klingen keine zwei Scheiben gleich. „Manche sehen aus, als wäre der Ton mit einem rostigen Nagel abgenommen worden“, lacht Schmauder.

Wie viel die Sammlung insgesamt wert sei, könne er nicht sagen: „Keine Ahnung. Manche Platten kosten vierstellig. Andere haben nur sentimentalen Wert.“ Und dann gebe es noch Stücke, die es zwar nur einmal gibt, aber niemand haben möchte. Komplett werde seine Sammlung wohl nie sein. Noch heute entdecke er in Archiven immer wieder neue Raritäten: „Man weiß gar nicht, was man nicht kennt. Es ist wie im Trüben fischen“. Längst nicht jede Platte in seiner Sammlung habe er selber gehört. „Aber ich könnte. Und das ist das Schöne.“

Schmauder legt die Platte einer Schweizer Jazzband auf. Die Aufnahme knistert. „Die Nebengeräusche höre ich gar nicht mehr“, kommentiert er. Für Schmauder gehören sie dazu: „Ich bin kein Fanatiker, der das Rauschen braucht, aber bei der Digitalisierung von Musik gehen nun mal Dinge verloren.“ Gut erhaltene Scheiben sind ihm trotzdem lieber: „Ich bin nicht der Ritter des schlechten Klangs.“

Fotos: © iStock/ mammuth, Bruno de HOGUES, pt