Keine soziale Hängematte: Komödie über Journalisten bei der Verbreitung von Fake News Kinonews | 03.09.2017

Für eine Doku-Serie über Konflikte zwischen eingesessenen und zugezogenen Österreichern sowie Migranten untereinander begibt sich die ehrgeizige TV-Journalistin Marlene Weizenhuber auf die Suche nach O-Tönen in einen multikulturellen Wiener Bezirk. Doch weder im Viertel noch auf dem betriebsamen Wochenmarkt bekommt sie die gewünschten Beschwerden und Diffamierungen zu hören. Als sie entnervt aufgeben will, erblickt sie zwei junge Männer, die ein voluminöses, offenbar gebrauchtes Polstermöbel über den betontristen Hof eines riesigen, gleichfalls nicht mehr ganz neuen Wohnblocks schleppen.

Die Reporterin atmet auf: Die beiden Männer, schwarzhaarig der eine und bärtig und kahlköpfig der andere, können ihr Projekt vielleicht retten – passen sie doch bestens in ihr Konzept vom Second-­Hand-Leben von Migranten, zu ihrer Absicht, in ihrer Sendung ein Bild von den schwelenden interkulturellen Problemen überwiegend arbeitsloser Menschen auf engem Raum zu zeichnen. Überzeugt, die richtigen Protagonisten gefunden zu haben, strebt sie samt Kameramann und Tontechniker auf die beiden zu, die es sich ohnehin gerade für eine Zigarettenpause auf der Rückenlehne des Sofas gemütlich gemacht haben. Bis die mehr sensations- als neugierige Frau sie nach ihrem Migrationshintergrund fragt, unterhalten sie sich in bestem Wienerisch. Und antworten ihr dann mit Akzent. Der eine, Benny, fügt gar noch ein „leider“ hinzu.

Dieses „leider“ bezieht sich freilich nicht auf das Zusammenleben im Viertel, in dem er gar nicht wohnt: Benny ist nämlich nicht nur Sohn eines ägyptischen Einwanderers, sondern auch Schauspieler. Dem beim Casting immer nur gesagt wird, dass er mit seinem Aussehen nur für die Rolle des türkischen Taxifahrers tauge und nicht für die von Bio-Österreichern – obwohl er diese perfekt und mit viel Schmäh vorträgt. Da er keine Lust auf diese Zuteilung hat, ist sein finanzielles Polster nicht eben üppig.

Dasselbe gilt für seinen aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Freund Marko, dessen Arbeit als selbstständiger Werbegrafiker so wenig einbringt, dass er chronisch pleite ist.

Die vage Aussicht auf ein wenig Geld für ihre Mitarbeit veranlasst sie schließlich dazu, auf das Angebot einzugehen. Innerhalb von Sekunden werden sie zu Omar und Tito, die der höchst zufriedenen Journalistin frei erfundene klischeehafte Storys aus ihrem angeblichen Alltag in der sozialen Hängematte auftischen – und abstruse Lügen über das Leben anderer Migranten. Dabei merken sie zunächst gar nicht, wie durch die Ausstrahlung der Serie die Stimmung kippt, die Ausländerfeindlichkeit zunimmt.

Ein erfrischend anderer Film im Genre der Multikultikomödien: Er bedient keine fragwürdigen Klischees, sondern zeigt, wie sie für die Entstehung einer Anti-­Stimmung eingesetzt werden – und welche Rolle die Medien dabei spielen.

Zum Kinostart der scharfsinnig-skurrilen und inzwischen preisgekrönten Komödie kommt Regisseur Arman T. Riahi am 7. September zu der Vorstellung um 20.50 Uhr in das Friedrichsbau-Kino in Freiburg; nach der Vorstellung gibt es Gelegenheit zu einem Gespräch mit ihm.

Text: Erika Weisser / Fotos: © Camino Filmverleih

Die Migrantigen
Österreich 2017
Regie: Arman T. Riahi
Mit: Aleksandar Petrovic, Faris Rahoma, Josef Hader u.a.
Verleih: Camino
Laufzeit: 98 Minuten
Start: 7. September 2017