Zeitzeugnis eines Zweiflers: Lesetipp „Fenster ohne Aussicht“ Kultur | 27.10.2024 | Erika Weisser
Die Nachricht vom brutalen, für mindestens 1200 Menschen tödlichen Massaker, das Hamas-Anhänger am 7. Oktober 2023 in Südisrael anrichteten, ging schnell in die Welt. Dror Mishani überraschte sie in Toulouse, wo der international erfolgreiche Krimi-Autor beim Festival des Littératures Noires einige Talkrunden zu absolvieren hatte.
„Scheiße, der große Krieg hat begonnen“, ist sein erster Gedanke, als er das ganze Ausmaß des Anschlags samt seiner seitens der Netanjahu-Regierung angekündigten Folgen begreift. Und der zweite: Zurückkehren, bei der Familie sein – Ehefrau Martha und die beiden Kinder haben dauerhaft Zuflucht in einem der Schutzräume gesucht, über die in Tel Aviv jedes Wohnhaus verfügt.
Er bricht seinen Aufenthalt ab, beginnt noch am Flughafen von Toulouse mit einem Tagebuch, das sich nun als persönlich und gesellschaftlich hellsichtiges Zeitzeugnis erweist. Mishani dokumentiert die Ereignisse der folgenden Wochen und Monate, die Ängste, die wachsenden Zweifel an der Richtigkeit der Ankündigung, „die Hamas zu vernichten“ – und dabei Gaza dem Erdboden gleichzumachen. Er gibt seiner – und der vieler anderer Israelis – Unsicherheit und Ohnmacht einen Ort. Und auch der Überzeugung, dass Rache keine Zukunftslösung bietet.
Fenster ohne Aussicht
Tagebuch aus Tel Aviv
Von Dror Mishani; Übersetzung: Markus Lemke
Verlag: Diogenes 2024
216 Seiten, gebunden
Preis: 26 Euro
Foto: © Diogenes 2024