Ekstase, Gluthitze und rosa Flamingos: Nach zwei Jahren bringt das Sea You-Festival den Tunisee wieder zum Beben Kultur | 19.07.2022 | Philip Thomas

Am Sonntag ging es auf dem Sea You-Festival noch einmal heiß her: Hochkarätige DJs wie Paul Kalkbrenner, Boris Brechja, Klaudia Gawlas, Purple Disco Machine oder Hidden Empire gaben sich unter sengender Sonne ein Stelldichein.

Nanu? Netz am Tunisee? „WLAN am Eingang“, lautet die Antwort in der Chatgruppe. „Kannst du schon mal was zu trinken besorgen? Stehen noch in der Schlange. Und es ist echt heiß“, fragt die nächste Nachricht aufs Festivalgelände. Leichter gesagt als getan: Euro müssen nämlich erst gegen eine Service-Gebühr in sogenannte Beach-Coins getauscht werden. 15 aufgeladene Euro auf dem Armband reichen an einem der zahlreichen Stände nicht für zwei Flaschen Wasser und eine Cola. Dann zwei Pullen und einen Lolli mit Cola-Geschmack, bitte.

Noch größer: Dieses Jahr wurde das Festivalgelände um 10.000 Quadratmeter vergrößert.

Vollgas geben in der Hitze nur die wenigsten. Auf dem rappelvollen Festivalgelände – knapp 55.000 Besucher aus rund 65 Ländern tummeln sich drei Tage lang um den Tunisee – geht es noch vergleichsweise gemächlich zu. Sonnenanbeter lassen ihre Füße von rosafarbenen Flamingos in den See baumeln. Im Hintergrund ziehen Wakeboarder ihre Bahnen.

Für zusätzliche Abkühlung unter dem wolkenlosen Himmel und Temperaturen um 32 Grad sorgen dieses Jahr Wasser-Zerstäuber in den Bäumen vor der Hauptbühne. Schattige Plätzchen auf Sitzsäcken, Betten und Zelten sind zur Mittagszeit ebenfalls heiß begehrt.

Auf dem Tunisee zeigen Wakeboarder kleine Kunststückchen.

Auch an Land gibt es dieses Jahr allerlei zu entdecken. Das Karussell ist einem Riesenrad gewichen. Das Gelände ist größer, darauf gibt es mehr schattenspendende Sitzmöglichkeiten, der VIP-Bereich wurde aufgehübscht. Fotogelegenheiten säumen den Weg.

Die staubig gestampfte Goa-Stage liegt dieses Jahr abseits am Eingang. Zu psychedelischen Klängen lassen sich die Besucher vor der liebevoll gestalteten Bühne ein bisschen mehr Raum. Die wohl kleinste Stage der Welt steht heute vor der „Chill-out-Area“. Was in der abgeklebten Telefonzelle passiert, bleibt in der Telefonzelle.

Neben der Hauptbühne thront dieses Jahr ein schneeweißes Rieseniglu: ein 60 Meter breiter und 40 Meter breiter Techno-Tempel. Die Bassschläge daraus dröhnen bis weit über die Zeltgrenzen hinaus. Am Sonntag könnte die sogar noch weiter sein – das Zelt ist voll.

Zart bis hart: Für jeden elektronischen Musikgeschmack ist auf dem Sea You etwas dabei.

Wer es melodischer mag, zieht eine Bühne weiter. Dort baut gerade eine Influencerin großes Gerät auf, lächelt für ein Foto, räumt Ständer samt Kamera wieder ab und zieht weiter. Gar nicht so einfach, gesehen zu werden zwischen extravaganten Outfits und Paradiesvögeln.

Vor den Stages findet das Schaulaufen schnell ein Ende. Hier ist schick, was Schatten spendet: Hüte, Schirme, T-Shirt-Turbane, aber auch viel nackte und sonnenbecremte Haut vermengt sich im Rhythmus der durchdringenden Musik. Der Schweiß fließt in Strömen. Für kostenloses Trinkwasser ist derweil gesorgt. Das sprudelt dieses Jahr gleich aus mehreren Trögen. Gen Nachmittag leert sich der angeschlossene Tank. Kein Problem: Ein Lastwagen karrt neues Nass heran.

Der Adler ist gelandet: Dieses Jahr haben die Veranstalter der Mainstage eine neue Musik-Anlage spendiert.

Nur wenige kommen mit der Hydration nicht hinterher. Insgesamt zwölf Partygäste fährt das Deutsche Rote Kreuz bis zum Ende der Großveranstaltung aus. Versorgt werden Erschöpfung, Schnittwunden, Wespenstiche sowie übermäßiger Alkohol- oder Drogenkonsum. Die Freiburger Polizei zeigt sich „sehr zufrieden“ mit dem Festival-Verlauf. Rund 500 Delikte, überwiegend Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, dazu einzelne Handgreiflichkeiten, notierten die Beamten an drei Tagen rund um den Tunisee.

Bald werden die Schatten länger, die Bewegungen schneller. Die Arme gehen höher. Auf der Hauptbühne nimmt der überlebensgroße Sea You-Seeadler immer mehr Tanzende unter seine wabernden Schwingen. Das neue Soundsystem drückt bis in die hinteren Reihen, schneidet allerdings auch die Höhen ab. Geschenkt. Über dem Platz wirbelt der Staub, in der Dunkelheit tanzt und tobt die Menge.

Feuerwerk zum Schluss: Pünktlich ging das Sea You 2022 zu Ende.

Um Punkt halb elf am Sonntag ist Schluss mit der Sause. Raketen steigen in den Nachthimmel auf, die Musik dreht ab. Versprengte Grüppchen fallen sich am erleuchteten Treffpunkt Karussell in die Armee. Noch mal einen Schluck Wasser oder ein Glas Bier für den Heimweg, bald bildet sich ein Strom Richtung Ausgang. Fast 40.000 gelaufene, getanzte und gesprungene Schritte zeigt der Tracker am Handgelenk nach dem dritten Tag Tunisee. Ein Galopp, einmal in andere Sphären und zurück.

Fotos: © Eduard Urlacher