Unter Dauerstress – Kulturschaffende unterwegs im Kosmos Kultur | 16.07.2020 | Erika Weisser
Auf Klingel? Das klingt nach Stress, innerem und äußerem Dauerstress. Wie bei auf Achse, auf Entzug, auf Bereitschaft, auf Schicht. Und wer auf BibliomedPflege, dem Portal für Auszubildende in Pflegeberufen, nachschaut, wird feststellen, dass es da durchaus vergleichbare Symptome gibt.
„Wenn der Patient die Klingel betätigt“, ist dort zu lesen, „muss unverzüglich nach dem Patienten geschaut werden. Da gibt es nur eine Ausnahme: Es wird gerade ein Notfall versorgt.“ Und weiter: „Fast jeder andere begonnene Arbeitsvorgang darf unterbrochen werden, denn es kann beim Patienten um Leben und Tod gehen.“
Das bedeutet, dass die Menschen, die in Krankenhäusern, Heimen oder im ambulanten Bereich für die Pflege alter, kranker und anderer hilfebedürftiger Menschen verantwortlich sind, während ihrer Dienstzeit eigentlich nie wirklich zur Ruhe kommen, selbst in den kurzen Pausen nicht: Sie müssen ständig auf dem Sprung sein, ihre Aufmerksamkeit muss immer auch für den Moment geschärft sein, in dem die Klingel plötzlich schrillen könnte. Damit sie „jederzeit alles stehen und liegen lassen können“, wie es auf dem Portal weiter heißt.
Der Buchtitel deutet also schon an, was Kathrin Feldhaus, Michael Kaiser und Margarete Mehring-Fuchs bei ihren Gesprächen mit Gesundheits- und Altenpflegerinnen und während ihrer eigenen Hospitanz in verschiedenen Pflegestationen in Baden-Württemberg in Erfahrung gebracht haben. „Tiefenbohrungen“ im „Kosmos Pflege“ wollten die Freiburger Kulturschaffenden vornehmen, um ans Licht zu bringen, „wie dieses System funktioniert – und welche Dinge im Argen liegen“. Was es also mit dem Schlagwort Pflegenotstand auf sich hat. Und wer die Menschen sind, die aus Überzeugung und trotz enormer Belastung und geringer Anerkennung mit großer Zuwendung „uns, unsere Kinder, Eltern oder Großeltern pflegen“.
Ein Jahr lang waren sie in den verschiedenen Galaxien dieses Kosmos unterwegs. Etwa auf einer Kinderkrebsstation, wo Michael Kaiser auf Michi traf, der findet, dass „Pfleger wie Freunde“ sind und der gerne mehr Zeit für diese Freundschaften hätte. Von Michis Kollegin Anna-Lena erfuhr er, dass Pfleger „eigentlich gar nicht so richtig schlecht verdienen“. Dass es für „die Verantwortung, die wir täglich übernehmen müssen … jedoch zu wenig“ sei.
In dem sehr lesenswerten, facettenreichen Buch kommen insgesamt 14 Pflegerinnen und Pfleger zu Wort. Und sie sind sich einig, dass mehr Zeit für die Patienten, also mehr Personal nötig und wichtig wäre. Nicht nur in Zeiten weltweiter Pandemien.
Auf Klingel
von Kathrin Feldhaus, Margarete Mehring-Fuchs, Michael Kaiser
Verlag: Patmos, 2020
160 Seiten, gebunden
Preis: 18 Euro
Foto: © Britt Schilling