Israel: Widersprüche im heiligen Land Reise-Special | 04.05.2020 | Sophie Radix

Blick auf Jerusalem

Israel hat es geschafft, mit seinen einzigartigen Vorzügen zu einem Reiseziel für Touristen aus aller Welt zu werden. Trotz Nahost-Konflikt. Zunächst wirkt es paradox, dass ein Staat voller politischer Spannungen von so vielen Menschen besucht wird, die Ruhe und Erholung suchen.Doch der besondere Reiz liegt darin, dass man einerseits tatsächlich entspannen kann – beim Schweben im Toten Meer, in endlosen Wüstengebieten, an der Strandpromenade von Tel Aviv – und gleichzeitig unglaublich viel lernt.

„Kaum ein Land besitzt so viele historische Stätten von immenser Bedeutung für Geschichte und Gegenwart“, erklärt uns Guide Jenny auf dem Weg zur Festung von König Herodes, Masada. In gefühlt jeder Stadt wird man in eine andere Zeit zurückversetzt: „Römer, Griechen, Osmanen, Kreuzritter – sie alle eroberten das ,Heilige Land‘ und hinterließen ihre Spuren.“ Die sind heute oft noch so gut erhalten, dass es sehr leicht ist, sich das Geschehene lebhaft vorzustellen. So auch Masada: Die Festung erlangte nach dem Ableben des verhassten Herrschers traurige Berühmtheit. Eine Gruppe von Juden beging hier kollektiv Selbstmord, um der weiteren Versklavung durch die Römer zu entgehen.

Schon die Fahrt dorthin durch die Judäische Wüste mit ihren Palmenoasen und dem umliegenden Judäischen Gebirge ist beeindruckend. Der Blick von oben schließlich auf das angrenzende Tote Meer ist atemberaubend. Die Entfernungen in dem kleinen Land sind so kurz, dass man danach problemlos noch den En Gedi Nationalpark besuchen kann. In der Oase En Gedi sprudeln verschiedene kleine Wasserfälle. „Deshalb steht hier so eine üppige Vegetation im kargen Wüstengebiet“, so Jenny. Von der Anhöhe des David-Wasserfalls blickt man über den Park mit seinen Johannesbrotbäumen, Palmen und dem dahinter liegenden Toten Meer. In den schroffen Felswänden entdeckt man mit etwas Glück kletternde Steinböcke und Klippschliefer, eine Murmeltierart.

Tel Aviv Strand

Der Stadtstrand von Tel Aviv gehört zu den schönsten der Welt. Hier wird das Leben in vollen Zügen genossen, von Einheimischen wie Touristen.

Das Tote Meer hat einen Salzgehalt von bis zu 33 Prozent (zum Vergleich: das Mittelmeer hat durchschnittlich 3,8 Prozent). Aber: „Leider trocknet es immer mehr aus – die Ufer ziehen sich zurück und Süßwasser dringt in die Sedimente ein. So entstehen Hohlräume, über denen die Oberfläche einstürzt – sogenannte Schlucklöcher“, erklärt Jenny. So sind immer mehr Bereiche um das Tote Meer abgesperrt. Noch gibt es aber genügend Strände, an denen man das Wasser genießen kann. Nach dem Besuch des Nationalparks und Masadas klingt der Tag gemütlich an einem solchen Strand aus.

Masada ist nur einer von vielen Orten, wo Geschichte in Israel greifbar wird. In Caesarea bestaunt man ein Aquädukt, ein Hippodrom und ein Theater, auch aus Zeiten von Herodes. 60 Kilometer weiter nördlich liegt Akko. Die Stadt war ein wichtiger Stützpunkt der Kreuzfahrer auf ihrem Weg nach Jerusalem. Die Gewölbe der Rittersäle wirken, als hätten hier eben noch die Mönche miteinander angestoßen. Während einer Tagestour ab Tel Aviv oder Jerusalem hat man genügend Zeit, um sich beide Städte entspannt anzuschauen.

Im Heiligen Land verschwimmen Gegenwart und Geschichte

Doch nicht nur über die Vergangenheit lernt man in Israel viel. Wohl nur vor Ort kann man wenigstens ansatzweise verstehen, was Nahost-Konflikt wirklich bedeutet, und begreifen, wie jahrhundertealte Geschehnisse die Gegenwart beeinflussen. In Jerusalem stehen bedeutende Heiligtümer der drei größten monotheistischen Weltreligionen: der Felsendom, wo der Prophet Mohammed seine Himmelsreise angetreten haben soll, die Klagemauer, Hauptheiligtum der Juden, und das Grab Jesu.

Unter anderem deshalb sehen sowohl Palästinenser als auch Israelis Jerusalem als Hauptstadt an – ob es jemals Frieden um die Heilige Stadt geben wird? Ein israelischer und ein palästinensischer Guide führen uns ins nahe Bethlehem. Sie möchten vermitteln, dass in ihren Ländern friedliche Koexistenz vorherrscht. Beide Guides sind sich einig: „Die Spannung wird in den Medien schlimmer dargestellt, als sie ist.“ Die Mauer, die die Palästinensischen Autonomiegebiete von Israel trennt und den Staat vor terroristischen Angriffen schützen soll, verdeutlicht aber die Realität des Konflikts.

Grafitti

Blumen statt Bomben: Ein Graffito auf der Grenzmauer bei Bethlehem drückt den Wunsch nach Frieden aus.

Trotz aller Spannung ist Israel heute ein sehr sicheres Land für Touristen. Auf keiner Israel-Reise sollte Tel Aviv fehlen, das „Silicon Valley“ des Nahen Ostens. Die Stadt steht im krassen Gegensatz zu Jerusalem. Inmitten von modernen Wolkenkratzern wird deutlich, wie hoch industrialisiert Israel ist. Kreativ, jung, modern – in Tel Aviv herrscht eine ganz besondere Dynamik. So sind die Bewohner gefühlt immer in Feierlaune, an jeder Ecke schießen Start-ups aus dem Boden. Ein Teil des Strandlebens spiegelt die allgemeine Lebenseinstellung der jungen Israelis wider: Nicht mal die eisige Wassertemperatur im Februar hält die Kitesurfer davon ab, den Wind und die Wellen zu genießen. Das Heilige Land ist eins voller Widersprüche.

Fotos: ©  freepik.com, Sophie Radix