Das perfekte Wochenende in Prag Reise-Special | 04.07.2021 | Lars Bargmann

Prag Moldau Ausblick Die Moldau: Anziehungspunkt im Herzen der Stadt.

Anfang September 2020: Die bevölkerungsreichste Stadt der Tschechischen Republik, in die in normalen Jahren weit über fünf Millionen Touristen kommen, ist nicht gähnend, aber so gut wie leer. In diesen Tagen gibt es zwar keine Reisewarnung, am Tag unserer Abreise aber erklärt die Bundesregierung die „Goldene Stadt“ zum Risikogebiet. Wir hören die Nachricht auf dem Weg in die Heimat.

So viel Freiraum auf der weltbekannten Karlsbrücke haben Abermillionen Gäste nicht gehabt: Kein Gedränge und Geschiebe, eher ein majestätisches Schreiten über die 516 Meter, die die Moldau überspannen. Die aus Stein gehauene Bogenbrücke – eine der ältesten in Europa – mit ihren 30 zumeist barocken Säulenheiligen und Patronen, verbindet die Altstadt mit dem Stadtteil Kleinseite. Man schrieb das Jahr 1357 als Kaiser Karl IV. den Grundstein für den Bau legte, gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 war die Brücke Schauplatz heftiger Kämpfe, als die schwedischen Truppen vom Westufer der Moldau aus Prag belagerten. Heute liegt sie in der Nachmittagssonne und genießt den Status des nationalen Kulturdenkmals. Nur eine Handvoll fliegender Händler, Porträtmaler, Souvenirhändler und Heimatfotografen wartet unaufgeregt auf Kundschaft. Eine Frau schleppt ihr Cello heran, auf dem Fluss unten fahren ein paar verlorene Passagierboote.

Prag klein Venedig

In eines steigen wir ein und schippern dann durch kleine Kanäle rund um die Moldauinsel Kampa, wenngleich „Klein Venedig“, was wir irgendwo gelesen haben, sicher ein Euphemismus der besonderen Art ist. Auf Kampa gibt es übrigens das engste Gässchen der Stadt – es misst von Hauswand zu Hauswand 50 Zentimeter. Eine Fußgängerampel soll verhindern, dass die Menschen in der Mitte übereinander kraxeln müssen oder sich dichter als erwünscht kommen.

Prag Maps

Unter der Regentschaft des allgegenwärtigen Karl IV. wurde die Goldene Stadt zu einem kulturellen und politischen Zentrum in Europa. Die Karls-Universität wurde noch 109 Jahre vor der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität (1457) gegründet und ist die älteste in Mitteleuropa. Das alte Zentrum Prags ist von der UNESCO als eine der 14 Welterbestätten Tschechiens anerkannt.

Prag ist auch die Stadt Franz Kafkas, dessen kubistischer Grabstein auf dem Neuen Jüdischen Friedhof steht. Am 11. Juni 1924 wurde er beigesetzt – ohne einen einzigen Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft. Wer möchte, der kann einen ganzen Tag lang Kafkas Wohnorte und Arbeitsstätten besuchen, allein an der Zeltnergasse (heute: Celetná) hatte die Familie vier unterschiedliche Adressen. Für das Museum des bedeutenden Schriftstellers wurde in der 1,3-Millionen-Einwohner-Stadt nahe der Karlsbrücke am Moldau-Ufer eine Ziegelei umgebaut.

Prag Uhr

Wäre beinah mal verschrottet worden: Die astronomische Uhr von 1410.

Wir radeln weiter zum Rathausplatz, wo vor der berühmten Rathausuhr an der Südfassade nur eine kleine Touristengruppe steht und die Gästeführerin über die reiche Geschichte der astronomischen Uhr aus dem Jahr 1410 erzählt – ein Meisterwerk gotischer Wissenschaft, ein nationales Kulturdenkmal. Oberhalb des Ziffernblatts sind zwei kleine Fenster, in denen die 12 Apostel erscheinen. Man schrieb das Jahr 1787, als die Uhr in einem so beklagenswerten Zustand war, dass der Prager Magistrat sie als Altmetall-Schrott verkaufen wollte. Der Uni-Professor Antonín Strnad redete sodann so lange auf die Politiker ein, bis diese unter dessen Leitung die Sanierung beschlossen.

Wir fahren auf den Hradschin, wo wir vor dem größten, geschlossenen Burgareal der Welt stehen.

Die Prager Burg wurde im 9. Jahrhundert gegründet und ist heute Residenz des Präsidenten der Tschechischen Republik, Miloš Zeman. Wir lösen Eintrittskarten und verlieren uns dann für drei Stunden auf dem staunenswerten Areal mit Burghöfen, Veitsdom samt Königsgruft, Königspalast, Lusthaus von Königin Anna, Basilika, dem Mrákotíner Monolith zum Gedenken an die Opfer im Ersten Weltkrieg und dem Goldenen Gässchen (Zlatá ulička) mit seinen farbenfrohen Häuschen aus Gotik und Renaissance. Im Haus mit der Nummer 22 lebte 1917 vorübergehend auch Kafka. Zwei Millionen Menschen besuchen die Anlagen jedes Jahr, davon ist bei unserer Stippvisite nichts zu merken. Die Wachablösung im Ehrenhof macht aber auch ohne großes Publikum den festen Eindruck des Erhabenen.

Prag Tanzendes Haus

Das tanzende Haus: Die Prager nennen es auch Ginger und Fred.

Hinter der ersten Brücke südlich der Karlsbrücke liegt ein weiteres Inselchen mit dem Sophienpalais, das eine Konzerthalle beherbergt und pittoreske Magnolienbäume. Hinter der nächsten Brücke (Jirasku Most) liegen am Westufer die Tanzenden Türme, ein Bürokomplex aus der Feder der Architekten Vlado Milunić und Frank Gehry, der 1996 eröffnet wurde und in dem heute vor allem internationale Konzerne unter einem Restaurant im obersten Stock residieren. Geplant war es zunächst als Kulturzentrum, allein, es fehlte ein Investor. 

Noch weiter südlich liegen am Westufer zu Restaurants oder Cocktailbars umgenutzte Schiffe. Auf so einem Kahn ein Glas zu trinken, zählt zu den wünschenswerten Ereignissen in Prag. Ganz anders als es das Münchner Abkommen 1938 war, das Schicksal der Stadt und vor allem das seiner Zigtausenden jüdischen Einwohner tragisch veränderte. 78.000 ermordeten die Nazis, nach Kriegsende wurden die meisten Deutschen aus Prag vertrieben, viele interniert, etwa 5000 umgebracht. Prag geriet 1948 unter kommunistisches Regime.

Nationalmuseum Wenzelsplatzes

Nationalmuseum am Ende des Wenzelsplatzes. Das Reiterstandbild ehrt den Heiligen Wenzel, den Patron von Böhmen.

20 Jahre später wurde die Bewegung Prager Frühling durch die Waffengewalt der Warschauer-Pakt-Truppen niedergeschlagen, es dauerte noch einmal gut 20 Jahre, bis die Goldene Stadt zum Schauplatz der Samtenen Revolution wurde und das Ende des sozialistischen Regimes in der Tschechoslowakei einleitete. Drehort war der sechs Fußballfelder große Wenzelsplatz (1848 nach dem Heiligen Wenzel von Böhmen benannt) im Zentrum der Prager Neustadt. Der 750 Meter lange Platz war früher der Pferdemarkt, die Gäule konnten dem zahlungswilligen Publikum auch im Galopp vorgeführt werden. Von 1885 bis 1890 wurde am südwestlichen Ende das Nationalmuseum im Stil der Neorenaissance errichtet. Vor dem entzündete sich am 16. Januar 1969 der Student Jan Palach selbst und rannte dann brennend auf den Wenzelsplatz – so protestierte er unvergessen gegen den Niederschlag des Prager Frühlings. Unterhalb der Wenzel-Statue erinnert ein Denkmal an Palach.

Turm bei dem Petrín-Hügel

Während einer Massenkundgebung am 24. November 1989 sprachen Václav Havel und Alexander Dubček auf dem Balkon des Hauses 56 am Wenzelsplatz und forderten die politische Umgestaltung des Landes – mit Erfolg. Der Wenzelsplatz war erst am 20. Mai wieder Schauplatz einer Demonstration, auf der mehrere Tausend Menschen den Rücktritt von Justizministerin Marie Benešová forderten, die den Rücktritt des im Volk geschätzten obersten Staatsanwalts Pavel Zeman erzwungen habe. Die Proteste richten sich aber auch gegen den immer mehr umstrittenen Staatspräsidenten Miloš Zeman, nicht nur wegen dessen pro-russischer Haltung. Europäisch orientierte Denker befürchten einen Rückfall des Landes in Verhältnisse, die schon einmal überwunden werden mussten, für die viele Prager ihr Leben gelassen haben.

Kapelle Prag

Auf dem Petřín-Hügel: Die kleine Kapelle steht unweit des Eiffelturm-Nachbaus.

Wer es beschaulicher mag, dem sei der grüne Petřín-Hügel in Kleinseite empfohlen. Auf der Spitze steht der gleichnamige Aussichtsturm, ein gut 63 Meter hoher Stahlfachwerkturm – die Bonsai-Ausgabe des Pariser Eiffelturms. Wer die obere Plattform mit einer herrlichen Aussicht auf Prag erreicht, hat nicht nur Anflüge von Höhenangst, sondern auch 299 Stufen auf einer doppelläufigen Wendeltreppe überwunden. Das Naherholungsgebiet ist eine natürliche Oase mit vielen kulturell bedeutsamen Gebäuden, es gibt eine Standseilbahn, runter sollte man auf jeden Fall zu Fuß gehen. Wieder an die Moldau und die Karlsbrücke, an der sich ein goldener Abend in der Goldenen Stadt genießen lässt. 

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