Zwischen Ländern und Stühlen: REGIOschönheit Weil am Rhein im Porträt Freizeit | 31.10.2019 | Arwen Stock
Weil am Rhein ist vor allem bekannt für den Vitra Campus mit Architektur und Design von Weltruhm. Welche vielfältigen Reize jedoch die westlichste Stadt Deutschlands hat, offenbart eine Rundfahrt vom Zentrum durch die Ortsteile.
Durch das herbstliche Laub der großen alten Bäume spielen Wind und Sonnenlicht. „Das ist hier der Lindenplatz von Alt-Weil“, startet Stadtführerin Sabine Theil auf dem Platz vor der Kirche. Wenn die 58-Jährige bei einer ihren Touren über Weil am Rhein und seine Geschichte spricht, wird schnell klar: Sie liebt ihre Heimatstadt. Oder besser: die vielen Orte, die zu Weil gehören. Diese Vielfalt möchte sie auf einer Rundfahrt – zu weit verstreut sind die Ortsteile – aufzeigen.
Alt-Weil war über Jahrhunderte ein idyllisches Markgräfler Weindorf. Davon zeugen die mittelalterlichen Fachwerkhäuser am Lindenplatz, die Weingüter an der Hauptstraße und die Reben am nahen Tüllinger Berg. „Beim Weihnachtsmarkt ist das hier eine ganz wunderschöne Atmosphäre“, beschreibt die Stadtführerin eine der vielen Veranstaltungen, die auf dem Lindenplatz stattfinden. Angesprochen auf ihre eigenen Wurzeln verrät Theil, dass sie oft als Kind unter den großen Bäumen spielte. Der Großvater wohnte gleich hinter der Kirche. Der Urgroßvater war Bürgermeister. Hinter seinem Haus begannen die Felder, dann die Weinberge. Damals hatte das Dorf noch einen sehr ländlichen Charakter.
Der Umbruch vom Dorf zur Stadt begann Anfang des 20. Jahrhunderts: Entlang der Hauptstraße Richtung Schweiz entstand die erste Gartenstadt für „Bähnler“ mit schönen Einzel-, Doppel- und Reihenhäusern und einem Garten zur Selbstversorgung. Vorausgegangen war der Ausbau der Eisenbahn. 1929 wurde das Rebdorf Weil zur Stadt ernannt und bekam den Zusatz: „am Rhein“. Weitere Bauten auf der benachbarten Leopoldshöhe kamen nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach hinzu. Geschäftshausreihen entstanden entlang der Hauptstraße und bilden heute die langgezogene, bunte Einkaufsstraße Weils.
Von dort geht es rechts ab zum Rathaus, wo seit 2000 Wolfgang Dietz (CDU) Oberbürgermeister ist. Der gebürtige Weiler sieht den Reiz seiner Kommune vor allem in der einzigartigen Lage im Dreiländereck: „Zwei Kilometer zu Fuß und ich bin vom Rathaus in der Schweiz, 2,5 Kilometer und ich bin in Frankreich.“ Als „Europäer des Alltags“ bezeichnet er die Bürger aus 111 Nationen gern.
„Umgekehrt sind wir für viele Schweizer der erste Anlaufpunkt zum Einkaufen“, betont er. Doch die Nähe hat auch ihre Nachteile: Knapp 12.000 Arbeitsplätze gibt es in Weil. Rund 3500 der 8600 Auspendler arbeiten in der Schweiz. Deren Kaufkraft sorgt für ziemlich hohe Mieten. Politisch wird versucht, gegenzusteuern: Im Neubaugebiet hat die Stadt für zwei große Flächen vorgegeben, dass ein Drittel der Wohnungen für den sozialen Wohnungsbau bestimmt ist.
Sonst fehlt es in Weil für Dietz an nichts: potente Wirtschaftsunternehmen, sämtliche Schularten, Einkaufsmöglichkeiten, ein breites Gastronomieangebot, ein üppiges Kulturprogramm, ein dezentrales Museumskonzept, das Laguna-Badeland, der DreiLänderGarten, ehemals Landesgartenschaugelände, das internationale Bläserfestival im Sommer, Kino-Open-Air im Kieswerk, das Vogelschutzgebiet – der Bürgermeister könnte noch weiter aufzählen. Aktuell freut ihn, dass Weil die erste deutsche Stadt ist, die sich um das UNICEF-Siegel „Kinderfreundliche Kommune“ beworben hat und nun Pilot- und Referenzstadt ist. Stolz ist er auch, dass seit fünf Jahren die Tram-Linie 8 – als erste grenzüberschreitenden Linie nach dem Zweiten Weltkrieg – von Basel bis Weil am Rhein fährt.
Und Richtung Westen geht es bei der Rundfahrt auch weiter: über das Gelände des Verladebahnhofs nach Friedlingen. Die Ansiedelung Schweizer Textilbetriebe sorgte dort für Wachstum. Stadtführerin Theil zeigt in eine Seitenstraße der Hauptstraße, wo die Shedhallen der einstigen Textilindustrie stehen. „Die Stadt wollte die Brachen nutzen“, berichtet sie über die Industriehallen mit Kulturzentrum Kesselhaus, Café, Museum Weiler Textilgeschichte, Künstlerateliers und Büros für Start-ups.
248 Meter lang spannt sich die mehrfach ausgezeichnete Dreiländerbrücke ans andere Rheinufer. Sie ist die längste freitragende Fußgängerbrücke der Welt. Frankreich und Schweiz berühren sich auf der anderen Seite. Überhaupt, berichtet Theil, „ist Weil die westlichste Stadt Deutschlands und auch die am weitesten von Berlin entfernte“. Dass diese Lage fürs Urlaubsfeeling taugt, zeigt sich auch rheinabwärts: am Yachthafen, wo im Sommer Konzerte stattfinden, oder am Stauwehr mit Kraftwerksanlage und der wie in Urzeiten des Rheintals gestalteten Insel.
Märkt, ein einstiges Fischerdorf, gehört wie Friedlingen und Ötlingen seit der Gemeindereform in den 1970er-Jahren zu Weil und feiert aktuell sein 850-jähriges Bestehen. Wieder zurück über den Schienen geht es hoch zum Wein- und Artdorf Ötlingen. Eine fantastische Aussicht auf den gesamten Sundgau eröffnet sich. In dem Rebdorf startet auch der Weiler Weinweg. Zahlreiche Kunstobjekte, Ateliers und Cafés laden zum Verweilen ein und lassen erahnen, dass hier im Zwei-Jahres-Rhythmus das Artdorf mit viel Kunst, offenen Ateliers und Ausstellungen stattfindet. „In Ötlingen haben sich schon immer gerne Künstler aufgehalten“, berichtet Theil. Auch eine sehr seltene und gut erhaltene Inka-Tapete wurde dort bei Renovierungsmaßnahmen gefunden – ein kulturhistorischer Schatz versteckt im Rebdorf. Unterhalb zeigt der Ortsteil Haltingen in der Hauptstraße seinen ländlichen Charme. Viele Selbsterzeugerhöfe bieten in eigenen Läden ihre Produkte feil. Bunt prangen tausende Kürbisse in einer Einfahrt. Vor der Genossenschaft der Haltinger Winzer steht – wie in allen Ortsteilen – ein überdimensionaler Stuhl des Möbeldesigners Jasper Morrison.
Solche Ikonen der Sitzkultur stehen an rund 20 Stellen in Alt-Weil, Leopoldshöhe, Friedlingen, Märkt, Ötlingen und Haltingen. Kein Wunder, bei dem Firmengelände, das der Möbelhersteller in Weil am Rhein erbaut hat. Beim Vitra Campus angekommen, ist das VitraHaus mit seinen zwölf ineinander gebauten Häusern von Herzog & de Meuron, den Architekten der Elbphilharmonie, der zentrale Punkt. Doch auch andere Architekten von Weltgeltung wie Frank Gehry und Tadao Ando haben sich hier verewigt. Kinder lieben das begehbare Kunstwerk mit Rutschbahn von Carsten Höller. Ein großer architektonischer Schatz versteckt sich im hinteren Teil des Geländes: die Fire Station von Zaha Hadid von 1993, mit dem die verstorbene Architektin und Designerin nach einem Großbrand auf dem Werksgelände beauftragt wurde. Es war das erste Gesamtbauwerk überhaupt, das die einzige weibliche Trägerin des Pritzker-Preises realisiert hat. Sie soll einmal gesagt haben: „Ein Kreis umfasst 360 Grad, warum sollte man bei einem bleiben?“ Mit seinem Facettenreichtum in allen Himmelsrichtungen gibt ihr Weil am Rhein recht.
Ortsinfos
Lage: Landkreis Lörrach, gegenüber von Basel am Rhein. Mit dem Auto knapp eine Stunde nach Freiburg
Gründung: Vor 2000 Jahren als Siedlung entlang einer Römerstraße entstanden, wurde Weil am Rhein 786 erstmals urkundlich erwähnt.
Ortsteile: Haltingen, Märkt, Ötlingen (mit Ortsverwaltung), Weil-Ost, Otterbach, Leopoldshöhe, Friedlingen
Bevölkerung: 30.175 Einwohner (Stand 31.12.2018)