Freiburgs Filmfestmacher werfen völlig überraschend hin – gibt es 2017 ein Filmfest reloaded? STADTGEPLAUDER | 14.03.2016

Ziemlich schlechte Nachrichten: Kurz nach der Berlinale wenden sich die Kinobetreiber Michael Wiedemann, Ludwig Ammann und Michael Isele direkt an die örtliche Tageszeitung und erzählen, dass sie das Freiburger Filmfest nicht mehr machen werden. Todesgrüße aus dem Mensagarten. Aus heiterem Himmel. So dekoriert das Trio in der Filmbranche auch ist, so wenig preisverdächtig war die Kommunikation. Es ist bezeichnend, dass es auf der Homepage noch lange danach heißt: „Bis nächstes Jahr, Ihr Festivalteam.“ Ist das Freiburger Filmfest eine Mission impossible? Nein. Sagen Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach, Stadtrat Atai Keller und Stadtmarketingchef Bernd Dallmann. Sie wollen alles tun, um das beliebte Event zu retten.

Die drei Herren vom Filmfest: Michael Isele, Michael Wiedemann und Ludwig Ammann (v.l.) haben nicht erst laut um Hilfe gerufen, sie haben das Filmfest direkt und ziemlich still beerdigt. Nun soll versucht werden, es wiederzubeleben. Ausgang offen.

Seit 2004 veranstaltet der Harmonie- und Friedrichsbau-Betreiber Michael Wiedemann das Freiburger Filmfest. Erst allein, seit vier Jahren zusammen mit Ammann und Isele. Zur zwölften Auflage im vergangenen Juli kamen 7265 Besucher. Es war nach 2013, als 7486 Cineasten in den Mensagarten und die beiden Lichtspielhäuser strömten, das bestbesuchte Filmfest überhaupt. Und nun das Aus. Sie haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, so Hauptorganisator Ammann, haben „ein Jahr lang hin und her überlegt“, wie sie eine Lösung finden könnten. Für das Fest, das ihnen „sehr ans Herz gewachsen“ sei. Um dann festzustellen, dass es ihnen auch „über den Kopf gewachsen“ sei: Die Einnahmen hätten in keinem Verhältnis zum Aufwand und zu den strukturellen Ausgaben gestanden. Es würde 15.000 bis 20.000 Besucher brauchen, um wirtschaftlich auf sicheren Beinen zu stehen. Oder eben öffentliche Zuschüsse.

Nicht nur für das kinobegeisterte Publikum war die Entscheidung sehr überraschend. Auch Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach, Kulturliste-Stadtrat Atai Keller oder Bernd Dallmann, Chef der Freiburg Wirtschaft Tourismus und Messe GmbH (FWTM), wussten von nichts. Von Kirchbach erzählt dem chilli, dass das Filmfest ihm „sehr am Herzen“ liege und er die Entscheidung nicht als endgültig hinnehmen will. Er sei dabei auszuloten, was nötig und machbar ist, damit das Filmfest im kommenden Jahr fortgesetzt werden kann und 2016 „nur eine Unterbrechung“ ist.

Eine Pause, die dazu genutzt werden sollte, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und „in Ruhe zu überlegen“, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um die Fortführung dieses „mit viel Idealismus organisierten zentralen Ereignisses in Freiburgs kulturellem Leben“ zu gewährleisten.

„Das ist ein schmerzhafter Verlust für die Kulturstadt Freiburg“, sagt Keller. Auch er hätte zuvor einen Hilferuf erwartet. Keller kündigt gegenüber dem chilli an, dass seine Fraktion „sehr sicher“ dafür stimmen würde, dass die Macher einen größeren städtischen Zuschuss bekommen.

Es wäre nicht der erste Anlauf: Dem chilli liegt ein zehnseitiger Antrag der Friedrichsbau-Lichtspiele GmbH & Co. KG auf Erhöhung der institutionellen Förderung vom 12. November 2012 vor. Darin fordern die Filmfest-Macher zusätzlich zum Mietzuschuss in Höhe von 3940 Euro einen jährlichen Barzuschuss in Höhe von 11.060 Euro. Der Antrag war ans Kulturamt gerichtet. Die Rathausspitze schüttelte den Kopf, nahm ihn nicht mit in die Planung des Doppelhaushalts 2013/2014. Das aber machten – in der Summe leicht gekürzt – die Unabhängigen Listen. Und holten sich im Gremium in der zweiten Lesung des Haushalts dann eine Abfuhr. Schon damals sprachen die Macher von einem „minimalistischen Budget“, von einem Monat Mehrarbeit für jeden aus dem Trio, der „nicht honoriert wird“. Davon, dass das Fest keinen Gewinn abwirft.

Ganz zu schweigen vom Risiko, dass es nach einem meteorologisch stürmischen Filmfest beim Blick auf den Umsatz auch mal heißen kann: Vom Winde verweht.

Auch für Annette Boegel, Chefin der Unternehmenskommunikation in der Freiburger Volksbank, kam die Entscheidung überraschend, sie war allerdings vor der offiziellen Entscheidung informiert worden. Denn die Bank stiftet für jedes Filmfest den mit 5000 Euro dotierten Publikumspreis. Boegel kann die Argumente der Organisatoren zwar „gut nachvollziehen“, findet den Entschluss dennoch bedauerlich: Das Filmfest mit seiner ausgezeichneten Qualität sei für Freiburg „absolut wertvoll“, und es wäre sicher „sehr lohnenswert“, es weiterzuführen. Falls es zu einem Filmfest reloaded komme, könne sie aber über das weitere Engagement der Volksbank noch nichts sagen. Es komme immer auf die „Macher und deren Konzept“ an. Bei den jetzigen Machern habe das „Gesamtpaket“ gepasst.

Das bisherige Konzept hat der beschaulichen Stadt Freiburg auch ohne rote Teppiche, aufmerksamkeitsheischende Abendroben und Blitzlichtgewitter ein Stück Weltoffenheit gegeben. Etwas von dem besonderen Flair, das über den großen internationalen Festivals schwebt: Das Gefühl, zu den ersten zu gehören, die einen neuen, möglicherweise bald preisgekrönten Film zu sehen bekommen. Die Möglichkeit, selbst an einer Preisverleihung mitzuwirken. Die Gelegenheit, mit prominenten Gästen ins Gespräch zu kommen, mit Regisseuren, Schauspielern und anderen illustren Figuren des Filmgeschäfts.

Dieses große Projekt mit jeweils rund 40 brandneuen, deutschen und untertitelten Originalfassungen internationaler Produktionen wurde von einer Handvoll Leute mit einem sehr hohen Aufwand auf die Beine gestellt, erzählt Ammann. Und trotz des schmalen Budgets hätten sie immer ein Programm zustande gebracht, das mithalten konnte mit ähnlichen Veranstaltungen in anderen, größeren Städten, die über viel mehr Mittel und Manpower verfügen.

Das Filmfest fand auch außerhalb Freiburgs Beachtung, war der Zeit zuweilen voraus: Die im vergangenen Juli gezeigte Feel-Good-Komödie Bach in Brazil etwa kommt erst jetzt im März in die deutschen Kinos. Es schmerzt besonders, wenn ausgerechnet die Stadt, in der die Menschen bundesweit am häufigsten ins Kino gehen, ihr Filmfest verliert.

„Vielleicht haben die gar nicht gesehen, wie wichtig das Filmfest ist“, sagt Dallmann. Tatsächlich war Ammann von der Resonanz „überrascht“, er und seine Kollegen hätten das Ende „eigentlich schon abgehakt“. Doch nun wolle man sich alles anhören. Und wenn „etwas ganz Unerwartetes vorgeschlagen wird“, werde zumindest er „nicht dogmatisch ausschließen“, dass es weitergehen kann.

Dallmann bietet im Gespräch mit dem chilli erstmals öffentlich an, bei einer Wiederauflage mehr zu unterstützen als bisher: „Wir können neben dem Marketing und den Unterbringungskosten für die Gäste auch bei der Kasse, beim Auf- und Abbau, bei der Technik, bei den Genehmigungen helfen.“ Das Filmfest sei wichtig für Freiburg, „das ist ja nicht nur was Lokales“. Es gab bereits ein Treffen mit den Filmfestmachern. Denn in einem sind sich von Kirchbach, Dallmann oder auch Keller einig: Eine Wiedergeburt gibt es nur mit Wiedemann, Ammann und Isele.

Auch von Kirchbach setzt alle Hebel in Bewegung: In der jüngsten Sitzung des Kulturausschusses hat er bereits erklärt, dass das Rathaus sich ein höheres Engagement vorstellen kann. Auch von den Fraktionen sei Diskussionsbereitschaft über mögliche Zuschüsse signalisiert worden. Er redet mit dem Studierendenwerk, das zwar seinen Teil des Mensagartens kostenlos zur Verfügung stellt, dafür aber die Einnahmen aus der Gastronomie bislang alleine einstreicht. Und auch mit der FWTM. Der Kulturbürgermeister könnte sich den Open-Air-Teil des Fests zudem auch gut auf dem neuen Platz der Alten Synagoge vorstellen. Keller auch. Dallmann gibt sich da eher skeptisch.

Egal wo, viele wollen, dass es weitergeht. Und wenn, dann müsse auch über ein neues Konzept gesprochen werden, findet Keller. Dann müsse man das Filmfest noch einmal neu denken. Dabei gibt es inhaltlich kaum etwas zu verbessern. Die Veranstalter besuchen im Vorfeld die großen internationalen Filmfestivals in Berlin, Cannes, Locarno und anderswo, sichten Filme von Regisseuren, die sich direkt an die Macher wenden, verhandeln mit den deutschen Verleihern, die die Festivalfilme später auf den deutschen Markt bringen. Am Ende gibt es ein Potpourri für eingefleischte Cineasten, die den besonderen Film suchen, aber auch was fürs breit aufgestellte Publikum, das einfach nur intelligent unterhalten werden will. „Spiel mir das Lied von der Wiedergeburt“ möchte man den Verantwortlichen zurufen. Wenn es ein Filmfest reloaded gäbe, dann wären das ziemlich gute Nachrichten.

Text: Erika Weisser, Lars Bargmann / Foto: © Michael Bamberger, Gestaltung Bild 2: www.buero-magenta.de