Genbänkle will alte Gemüsesorten vor dem Aussterben retten STADTGEPLAUDER | 09.06.2016

Golden Delicious oder Lollo Rosso sind bekannt – doch Neckarruhm, Forellenschluss oder Brauner Trotzkopf? Wenn es nach den Agronauten geht – einer Emmendinger Forschungsgesellschaft für die nachhaltige Landwirtschaft –, kennt diese Gemüsesorten bald jedes Kind. Zusammen mit der Nürtinger Hochschule für Wirtschaft und Umwelt haben sie das Genbänkle herangezogen: eine Datenbank, die auflistet, wo es in Baden-Württemberg Samen von alten und seltenen Gemüsesorten gibt. Einer dieser Orte ist Eichstetten am Kaiserstuhl: Hier hat der Agraringenieur Patrick Bilharz den Kampf gegen das Monopol der großen Saatguthändler aufgenommen.

 
260 alte und seltene Sorten: Die Samen für seinen Online-Handel gewinnt Patrick Bilharz in seinem Garten in Eichstetten.
 
Aus dem krümeligen Lössboden wachsen oberarmdicke Lauchstangen, die gelben Blüten des Kohls schaukeln im Wind und der Sellerie verströmt einen würzigen Duft – auf den ersten Blick unterscheidet sich das Gemüse von Bilharz gar nicht so sehr von dem aus dem Supermarkt. Doch während dort nur Sorten in die Auslage kommen, die einen hohen Ertrag versprechen, wachsen beim Biobauern keine wässrigen Einheitstomaten. Hier gedeihen rund 260 Pflanzen, die sich über Generationen hinweg an die Bedingungen in der Region gewöhnen konnten. Dieses Gemüse ist nicht nur besonders robust, sondern wächst auch langsamer und kann so mehr Nährstoffe bilden.
 
Kein Wunder, dass alte Sorten immer mehr Fans finden – wie Genbänkle-Gründer Roman Lenz. „In den meisten Supermärkten gibt es die gleichen sechs sieben Apfelsorten – dabei haben wir in Deutschland rund 3000“, bemängelt der Argonaut.
 
Grund sei das Monopol der großen Saatgutfirmen. Früher war es üblich, sein Gemüse selbst zu züchten: Die Samen sammeln, in die Erde stecken und sich über die nächste Generation freuen. Doch was sich nach einfachster Biologie anhört, ist heute die Ausnahme: Wer eine Tomate im Supermarkt oder ein Pflänzchen im Baumarkt kauft, hält meist eine Hybride in der Hand. Das sind unfruchtbare Hochertragspflanzen, die sich nicht weiter vermehren lassen. Landwirte und Gärtner werden dadurch gezwungen, Jahr für Jahr neues Saatgut von den großen Agrarkonzernen zu kaufen. Das Resultat: Drei Viertel der Sorten, die um 1900 noch angebaut wurden, sind heute ausgestorben.
 
Die Politik scheint darin kein Problem zu sehen. Vor sechs Jahren fragte Lenz bei der Landesregierung an, was für den Sortenerhalt getan werde. Zwei geförderte Projekte konnten ihm die Stuttgarter nennen: den Samengarten in Eichstetten und die Forschung zur Rettung der Alblinse. „Lächerlich wenig“, empört sich Lenz auch heute noch: „Das war eine schallende Ohrfeige für die Rettung der Gemüsesorten.“
 

 
So hat sich der 59-Jährige selbst der Mission angenommen: Seit ein paar Monaten ist das „Genbänkle“ am Start – für das es vom Land jetzt immerhin 8000 Euro gab. Samen-Anbieter und Sorten-Erhalter treffen hier aufeinander. Zudem können sich Hobbygärtner beraten lassen, welche Sorten bei ihnen besonders gut gedeihen – so eine Neckarkönigin wächst in Freiburg möglicherweise weniger gut als der Eichstätter Feldsalat. Bis Ende des Jahres sollen noch Steckbriefe der einzelnen Sorten folgen.
 
Gelistet ist auch Patrick Bilharz’ Onlinehandel „Samenfest“. Wie der Name schon sagt, können seine Käufer alle Pflanzen selbst nachzüchten. Doch geht der Kundenstamm dadurch nicht irgendwann ein? „Die Nachfrage nimmt sogar stetig zu“, so der ehemalige konventionelle Maiszüchter, der sich mit seinem Biogarten seit zehn Jahren etwas dazuverdient. „Nicht jeder möchte seine Pflanzen selbst vermehren, außerdem kann es auch bei samenfesten Sorten passieren, dass sich mal was dazwischen kreuzt.“
 
Klar, die Sache mit den Blümchen und Bienchen. Dadurch könnten eigentlich neue Sorten entstehen, doch der Demeter-Gärtner zeigt sich skeptisch: „Meist kommt nichts Gescheites dabei raus.“ Er weiß, dass es für eine neue Sorte einen langen Atem braucht: So kann er jetzt erstmals seinen Zuckermais „Dolcina“ verkaufen – nach zehn Jahren Zucht.
 
www.genbaenkle.de, www.samenfest.de
 
Text/Fotos: Tanja Bruckert