Seeigel meets Kiefernzapfen – ein bioinspirierter Pavillon Innovationen | 17.08.2023 | Pascal Lienhard

Neuer Pavillon auf dem Gelände der Technischen Fakultät. Von der Natur inspiriert: An dem neuen Pavillon auf dem Gelände der Technischen Fakultät haben Freiburger und Stuttgarter Forscher gearbeitet.

Angeregt von der Natur hat ein Team aus Freiburger und Stuttgarter ­Wissenschaftlern einen innovativen Pavillon am Computer geplant und mit Hilfe von Robotern fertigen lassen. Seine Heimat hat er jetzt auf dem Campus der Technischen Fakultät in Freiburg gefunden. Dort wird interdiszi­plinär zum nachhaltigen Bauen mit lebensähnlichen Materialsystemen geforscht.

Energieneutral, ressourcenschonend, autonom und von Robotern gefertigt: Der Pavillon, der seit Mitte Juli den Campus schmückt, kommt futuristisch daher. Das Bauwerk wirkt im Freiburger Westen wie ein Fremdkörper aus einer anderen Galaxie. Dominiert wird es von Holz. In Zeiten von Klimawandel und Ressourcenknappheit gewinnt der Stoff als Baumaterial zunehmend an Bedeutung.

Der natürliche Rohstoff steht im Mittelpunkt eines Projekts zweier Exzellenzcluster. Die Freiburger Wissenschaftler von „Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials System“ (livMatS) entwickeln von der Natur inspirierte Materialsysteme. Die Stuttgarter Kollegen von „Integrative Computational Design and Construction for Architecture“ (IntCDC) nutzen digitale Technologien, um die Bauwirtschaft neu zu denken.

Thomas Speck erklärt, was das in der Praxis bedeutet. Der Direktor des Botanischen Gartens ist Mitglied vom livMatS-Sprecherteam. Als einer von vier federführenden Professoren berichtet er über den Bau des neuartigen Pavillons in Holzleichtbauweise. „Er ist unglaublich schön geworden“, freut sich der Forscher.

Gebaut mit hölzernen Hohlkassetten sank der Materialverbrauch im Vergleich zum konventionellen Holzbau um mehr als 50 Prozent. Verwendet wurden Lerche und Fichte. Die äußere Struktur des Pavillons ist mit zahlreichen Platten dem Skelett eines Seeigels nachempfunden. „Die Module wurden voll computergesteuert entworfen und gefräst“, berichtet Speck. Dafür kam eine transportable Roboterplattform zum Einsatz, auf der Freiburger Baustelle hatten automatisierte Spinnenkräne ihr Debüt. Der Pavillon kann jederzeit zerlegt werden, seine Bestandteile sind sortenrein trennbar.

Das Gebäude soll energieneutral betrieben werden. „Wir konnten bereits beim Bau rund die Hälfte an CO2 einsparen“, berichtet Speck. Auf dem Boden ist eine thermisch aktivierte Bodenplatte aus Recyclingbeton angebracht. „Völlig neu ist unser Konzept zur wetterresponsiven Verschattung“, erklärt Speck. Bei Hitze schließt sich die Verschattung in einem Fenster an der Spitze des Baus autonom, ansonsten scheint die Sonne hinein. Die Forscher haben sich von Kiefernzapfen inspirieren lassen: Auch sie öffnen und schließen sich feuchtigkeitsbedingt. In Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme soll der Pavillon mit einer Photovoltaikanlage ergänzt werden. Um den Bau herum entsteht ein Lehrpfad zum Thema Bionik.

Seine Heimat hat das Schmuckstück gefunden – fertig ist es noch lange nicht. Schließlich soll der Pavillon nicht nur Demonstrator für ressourcenschonendes Bauen sein. „Wir wollen noch mehr Systeme einbauen und auf ihre Verlässlichkeit testen“, sagt Speck. Zudem soll das Gebäude zum Think Tank für interdisziplinäre Forschungsgruppen werden. Das werden nicht nur Naturwissenschaftler sein, sondern auch Psychologen, Philosophen und Architekten. „Sie werden sich unter anderem mit Akzeptanzforschung beschäftigen“, sagt Speck. Schließlich müsse evaluiert werden, ob Neuerungen überhaupt ankommen. Er erwartet Großes vom Pavillon: „Wir hoffen, dass die Gedanken in dieser inspirierenden Umgebung noch freier fliegen.“

Fotos: © Universität Stuttgart – Conné van d‘Grachten