Die Erfolgsgeschichte des Freiburger Barockorchesters Kultur | 04.11.2016

Sieben Echos, zwei Schallplattenpreise, einen Gramophone Award, eine Nominierung für den Grammy … Das Freiburger Barockorchester (FBO) hat quasi ein Dauerabo auf Auszeichnungen. Und für Einladungen auf internationales Parkett. Vom Studentenprojekt in den 80ern hat es sich zum weltweit gefragten Klangkörper entwickelt. Anfang Oktober spielte das FBO in Mexiko, jetzt geht’s nach Japan. Das chilli hat bei den Proben reingeschaut.

Die 43 Musiker schauen gebannt auf den Lockenkopf im weißen Hemd. „In die 83 muss ein bisschen Wahnsinn rein“, ruft der groß gewachsene Dirigent. Gottfried von der Goltz. Musikalischer Leiter des FBO. Und Mitbegründer. Die Arme reißt er nach oben, die Blicke lodern. Plötzlich tuscheln Schüler auf den Zuschauerplätzen im Saal des Ensemblehauses. „Sccchhhht“, raunt ihnen eine Geigerin zu.

Höchste Konzentration ist gefragt bei den Proben an diesem Donnerstagvormittag. In drei Tagen geht’s nach Mexiko. Dort spielt das Orchester alle neun Beet-
hoven-Sinfonien in fünf Tagen. „Das ist nie Routine“, sagt der musikalische Leiter in einer kurzen Pause. Musiker huschen vorbei, die Konzentration steht von der Goltz ins Gesicht geschrieben, angespannte Vorfreude liegt in der Luft.

Barockorchester

Schon zwei Mal war er mit dem FBO in Mexiko. Aber: „Wir haben noch nie einen so groß angelegten Zyklus gespielt.“ Für den Konzertmarathon bleibt zwischen dem Start in eine neue Spielzeit und den Vorbereitungen einer Japantournee nur wenig Zeit zum Proben. „Wir haben einen Fahrplan aufgestellt, müssen uns schnell finden“, sagt von der Goltz. Acht Probetage hat der 53-jährige Barockgeiger, um 44 Musiker auf das Abenteuer in Mexiko City vorzubereiten. Nervös sei er nicht. Beethoven will er seinen eigenen Stempel aufdrücken: „Wir werden in Mexiko für Überraschungen sorgen.“ Um zu erklären, welche das sind, bleibt keine Zeit. Die Probe ruft.

In der dritten Reihe sitzt Daniela Lieb. Die Flötistin spielt seit mehr als 15 Jahren im FBO. „Ich bin total stolz, Mitglied dieses tollen Ensembles zu sein“, schwärmt die 41-Jährige. Seit sie das Orchester zum ersten Mal gehört habe, sei es ihr Traum gewesen, dabei zu sein. In den ersten Jahren hat sie nur vereinzelt mitgewirkt. Seit Januar sind es nun 80 bis 100 Auftritte pro Jahr, Lieb ist neuerdings eine von 28 Gesellschaftern des FBO.

Seit 1990 ist das Orchester eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Musiker werden somit auch Unternehmer und können die Entwicklung des Klangkörpers mitbestimmen. An der Spitze stehen zwei musikalische Leiter: Petra Müllejans und Gottfried von der Goltz. „Diese Basisdemokratie hat sich bewährt“, sagt er. Klar, gebe es auch mal Enttäuschungen. Aber das sei für alle ein Lernprozess und unheimlich gut für das Ensemble.

Viel Mitsprache, viele Reibereien? „Es fliegen auch mal die Fetzen“, sagt von der Goltz. Es sei Utopie, immer in Harmonie und Glückseligkeit zu arbeiten. „Ein bisschen Streit gehört dazu!“ Den scheint es in der Doppelspitze Goltz-Müllejans kaum zu geben. „Da gab es bisher noch nie Probleme“, sagt Gregor Herzfeld, der beim FBO für Dramaturgie, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. „Irgendwie wissen die beiden immer, wer der Richtige dafür ist“, sagt Herzfeld.

Beide sind seit Tag eins dabei. Als Freiburger Musikstudenten hatten sie 1985 die Idee, mit weiteren Mitstreitern auf historischen Instrumenten Barockmusik zu spielen. Den ersten Auftritt als Freiburger Barockorchester gab’s im November 87 in Lahr. Schon damals träumte von der Goltz von Welttourneen: „Wir hatten einen hohen Anspruch, man muss aber mit Demut an den Dingen arbeiten.“ Mittlerweile spielten sie auf den großen Bühnen der Welt. 2009 wurde es als erstes Barockorchester überhaupt eingeladen, die Salzburger Festspiele zu eröffnen.

Das Repertoire ist in den fast 30 Jahren stetig gewachsen – und längst nicht nur barock. „Wir verstehen uns als Orchester historischer Praxis“, sagt von der Goltz. Auch Klassik, Romantik und Gegenwart sind im Programm. Doch allein das macht keinen berühmt. „Wir sind eine große Familie, die unglaublich viel Stärke beweist“, sagt Daniela Lieb. Gregor Herzfeld lobt die Fähigkeit der Musiker, sich immer wieder neu zu erfinden. „So schaffen sie es, auch die bekanntesten Stücke so klingen zu lassen, dass man das Gefühl hat, man höre sie zum ersten Mal.“

Von der Goltz

Weltklasse: Gottfried von der Goltz (rechts) ist einer der zwei musikalischen Leiter des Freiburger Barockorchesters. Der Geiger träumte schon in den 80er Jahren von Welttourneen.

Für das Erste-Mal-Gefühl ist insbesondere Gottfried von der Goltz verantwortlich. Nach der Pause steht er wieder vor seinen Musikern und dirigiert. Mit den Flöten ist er unzufrieden: „It’s too heavy, let’s keep it crescendo“, ruft er ihnen zu. Die Streicher sollen dafür emotionaler werden. Den Geigerinnen macht er Komplimente: „Ganz toll.“ In der dritten Reihe sitzt Daniela Lieb und ist begeistert vom Chef: „Er reißt durch seine Art alle mit und kann unheimlich toll musizieren.“

Von der Goltz, der als Professor an der Hochschule für Musik Freiburg arbeitet, sieht das FBO als Lebensaufgabe. Aufhören. Warum sollte er? Die vielen Preise empfindet er als große Ehre. Der größte Coup sei jedoch das Ensemblehaus gewesen. Seit 2012 hat das FBO damit an der Schützenallee einen festen Standort. Die Erfolgsfrage will er demütig beantworten: „Es ist ein stetiger Prozess, die Kreativität hochzuhalten. Die Kombination aus Bescheidenheit und Wahnsinn.“ Und eine ordentliche Portion Disziplin. Nach zwei Stunden Probe geht ein Lächeln über sein Gesicht. „Es ist fast gut“, sagt er, „nochmal“.

Text: Till Neumann / Fotos: © Annelies van der Vegt

Info:
Das FBO ist im November zweimal in Freiburg zu hören:
4. November, 20 Uhr: Sonderkonzert im Konzerthaus mit Philippe Jaroussky
24. November, 20 Uhr: Abokonzert im Konzerthaus – Mozart Requiem